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Jaemin:

Zögerlich bleibe ich vor Studio Nummer sieben stehen und atme ein paar mal durch, bevor ich leise klopfe.
Ich war in den letzten Tagen häufiger hier, aber immer wieder bin ich verunsichert, wenn ich mich auf den Weg zu Jeno mache.

Ich denke, er kann eigentlich ganz nett sein, vielleicht bin ich nur einfach nicht seine Sorte Mensch, mit der er gut klar kommt. Vermutlich liegt es auch an seinen unheimlich hohen Ansprüchen an seiner Musik, dass wir beide irgendwie nicht wirklich warm werden. Die meiste Zeit wirkt er sehr desinteressiert, aber ich versuche, sein Verhalten nicht persönlich zu nehmen, was mir zugegebenermaßen ziemlich schwer fällt.

Im Studio regt sich immer noch nichts und ich klopfe erneut, bevor ich prüfend die Klinke herunter drücke, weil ich vermute, dass der junge Producer vielleicht noch unterwegs ist. Aber entgegen meiner Erwartung lässt sich die Tür öffnen und ich spähe unsicher in den Raum. Die Bildschirme auf Jenos Schreibtisch sind angeschaltet und werfen schwaches Licht auf den Producer, der den Kopf auf der Tischplatte abgelegt hat und... schläft er?

Leise schließe ich die Tür hinter mir und laufe näher auf ihn zu. Tatsächlich, Jeno schläft. Er sieht unglaublich friedlich aus, hat das Gesicht halb in den Ärmel seines viel zu großen Hoodies vergraben. Seine braunen Haare sind verwuschelt und hängen ihm tief in die Stirn, werfen Schatten auf seine blassen Wangen.

Eine Weile stehe ich einfach nur da und betrachte den schlafenden jungen Mann. Er hat plötzlich eine ganz andere Ausstrahlung als sonst, wirkt nicht kalt und abweisend, sondern entspannt und lieb. Ich habe irgendwie das Bedürfnis, durch seine fluffigen, weichen Haare zu fahren, aber ich habe Angst ihm zu wecken. Deshalb löse ich mich nach ein paar Augenblicken von dem Anblick und ziehe mich aufs Sofa zurück.

Was mache ich jetzt? Warten, bis er aufwacht?

Ich könnte ihm einen Kaffee holen. Ja, das mache ich.

Moment, warum genau will ich jetzt Lee Jeno einen Kaffee holen? Wir kennen uns eigentlich längst nicht gut genug, um soetwas zu machen. Ich weiß ja noch nicht einmal, wie er seinen Kaffee trinkt? Spontan würde ich sagen, dass er bestimmt der Typ schwarz ohne Zucker oder Milch ist, aber plötzlich bin ich mir unsicher.

Blöder Plan, Jaemin.

Aber leider tragen mich meine Beine schneller als geplant in die Cafeteria und natürlich ist am späten Nachmittag kein Betrieb mehr hier, sodass ich direkt mit Bestellen dran bin.

Ich stottere meine Bestellung runter und bekomme von der netten Dame wenig später zwei Kaffeebecher in die Hand gedrückt.

Das Betreten des Studios gestaltet sich mit zwei vollen Tassen in der Hand als etwas schwierig, aber ich schaffe es irgendwie, ohne dass wieder ein Kaffee-Missgeschick passiert. Jeno schläft immer noch tief und fest und ich stelle seinen Becher neben ihm ab, dann setze ich mich wieder auf meinen Lieblingsplatz.

Überraschenderweise mag ich das Studio, es ist sehr gemütlich eingerichtet mit vielen Bildern, die definitiv Jeno hier aufgehängt haben muss. Vielleicht hat er sie sogar selbst gemacht?

Nun habe ich endlich die Zeit, mir die Fotos mal genauer anzuschauen. Es sind hauptsächlich Landschaftsbilder, nur auf wenigen sieht man Personen und diese nur von hinten.
Jeno erkenne ich auf keinem der Bilder, ich vermute, dass er ausschließlich hinter der Kamera steht. Er ist ziemlich talentiert, die Bilder strahlen eine unglaublich stimmige Harmonie aus.
Es ist nur schade, dass Jeno selbst auf keinem der Bilder zu sehen ist. Rein objektiv betrachtet muss ich zugeben, dass er wirklich sehr hübsch ist. Er könnte selbst Idol sein. Dann würde er Anerkennung für seine unglaubliche Arbeit bekommen...

Wenig später ist mein Kaffee leer, alle Bilder sind angeschaut und Jeno schläft immer noch tief und fest, also beschäftige ich mich mit meinem Handy. Aus Langeweile poste ich ein Selfie auf Instagram, weil ich schon wieder ewig nicht aktiv war und die Fans sich beschweren, bevor mein Blick auf den Block fällt, der auf dem Tisch vor mir liegt. Es ist unser Lied.

'Fire whatever' steht anstelle eines Titels auf der oberen Seite des Blattes, weil Jeno und ich uns nicht auf einen Namen für den Song einigen konnten. Mein einziger Vorschlag war irgendwas mit Fire, weil es ja schließlich ein Lied für meine Fans werden soll, allerdings habe ich bereits einen Song Namens Fireflies. Diese Idee ist sowieso nicht sehr originell, aber Jeno meinte, dass wir den Titel auch noch zig mal ändern können, also spielt es ja erstmal keine so wichtige Rolle.

Ich bin vertieft in die Lyrics und ergänze hier und da ein paar Ideen, Vorschläge, als vom Tisch her ein leises Gähnen ertönt.
Jeno braucht offensichtlich ein paar Augenblicke, bevor er begreift, wo er sich befindet, da fällt sein Blick auch schon auf mich, und er zieht überrascht seine Augenbraue hoch. Sein Gesicht, das im Schlaf so weich und liebevoll ausgesehen hat, wirkt wie hinter einem kalten Schleier, und ich erwarte schon fast, dass er mich anmeckert. Eigentlich ziemlich dumm, immerhin ist Jeno mir gegenüber noch nie irgendwie ausfallend geworden. Er ist vielleicht nicht sehr offen, aber auch nicht gemein oder so.

Und auch jetzt wird er nicht laut oder wütend, sondern schaut auf seine Uhr, trinkt einen Schluck Kaffee, der vermutlich mittlerweile schon abgekühlt ist, aber sogar das scheint ihm nichts auszumachen.

Unschlüssig bleibe ich auf der Couch sitzen und lege den Block wieder auf den Tisch zurück, warte darauf, dass Jeno etwas sagt.

Fast zucke ich zusammen, als nach der Stille ein "Danke", ertönt, seine Stimme noch kratzig und voller Schlaf. Ich schaue überrascht auf und sehe soetwas wie ein Lächeln auf Jenos Gesicht, bevor er aufsteht und sich streckt.

"Wenn du willst kannst du gehen, ich bleibe auch nicht mehr lange. Sorry, dass ich-"

"Alles gut", unterbreche ich ihn, weil ich nicht will, dass er sich fürs Schlafen entschuldigt. Es wird einen Grund geben, warum er so müde ist, ich sehe die Erschöpfung auf seinem Gesicht immerhin bis hier rüber.

"Danke nochmal."

Ich nicke nur, bevor ich mich leise verabschiede und das Studio verlasse.

Das war... komisch. Diese Begegnung, diese Atmosphäre zwischen uns. Es war ungewohnt, ganz anders als sonst und doch irgendwie... entspannt und leicht.
Fast so, als wären wir Freunde, oder wenigstens gute Bekannte.

Vielleicht verstehen wir uns ja doch irgendwie?

~

¹⁰⁰ ᵘʷᵘ

puzzle piece • nct nominWo Geschichten leben. Entdecke jetzt