Abendliche Mauergespräche

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Beim Abendessen ein paar Stunden später tauchte Paula als einzige nicht auf, aber ich machte mir keine großen Gedanken darum. Jedes Talent hatte unterschiedliche Zeitpläne und so kam es selten vor das alle Talente gleichzeitig Pause machten. Ich hörte gerade zusammen mit den restlichen Finalisten Ollis Geschichten über die Touren seiner Band zu, als Johnnys Handy klingelte. „Paula“, sagte er und nahm ab, „Hi… Ja, die sitzt gerade zufällig auch hier. Kommst du nicht zum Essen?... Achso, okay. Warte, ich reiche dich mal weiter.“ Er gab mir sein Handy. „Richter?“ „Jenny, bist du’s? Hier ist Paula“, hörte ich. „Sorry, macht der Gewohnheit.“ Ich musste selbst über mich den Kopfschütteln. Paula kannte mich nicht sonderlich gut, also wusste sie natürlich auch nicht, wie ich mit Nachnamen hieß. „Alles gut. Hättest du jetzt eben Zeit? Ich bin gerade fertig geworden.“ „Ja, klar. Wo bist du?“ „Ich stehe draußen vor dem Eingang. Brauchte mal frische Luft.“ „Alles klar. Ich mache mich auf den Weg. Bis gleich.“ Ich legte auf und gab Johnny sein Handy zurück. „Alles gut?“, fragte er mich mit gerunzelter Stirn. „Ja, Paula wollte nur mal reden. Ich geh mal los, muss noch an der Garderobe vorbei, meine Jacke holen.“ Er griff nach seiner Jacke, die über seinem Stuhl hing. „Kannst meine nehmen. Wir sehen uns nachher.“ Ich grinste. „Danke dir.“ Ich winkte noch einmal zum Abschied in die Runde, zog mir Johnnys dicke Winterjacke über und machte mich dann auf den Weg zum Eingang. Paula saß auf der kleinen Mauer direkt am Eingang und rauchte. „Hey. Na, wie geht’s?“, begrüßte ich sie und setzte mich neben sie. „Joa, soweit ganz in Ordnung. Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich rauche. Ich wollte es mir eigentlich abgewöhnen, aber gerade klappt das nicht so wirklich.“ „Aufregende Zeit, was?“ Sie nickte und zog noch einmal an der Zigarette, bevor sie den Stummel weg schnippte. „Weißt du, jetzt gerade, wo das Finale immer näher rückt, habe ich irgendwie das Gefühl, ich schaffe das nicht. Alle erwarten so viel von einem und die anderen Talente sind so krass gut. Ich hab einfach Angst, dass das doch eine Nummer zu groß für mich ist.“ Sie sah zu mir und ich legte den Kopf schief, dann sprach sie weiter: „Normalerweise sind bei so wichtigen Dingen immer meine Eltern dabei und jetzt gerade fehlen sie mir einfach total. Klar, ich bin hier die ganze Zeit umringt von Leuten, aber es ist trotzdem nicht dasselbe.“ Ich streichelte ihr mitfühlend über den Unterarm. „Das kann ich sehr gut verstehen. Aber deine Eltern werden am Sonntag von zu Hause aus mitfiebern und dich anfeuern und du kannst sie immer anrufen, wenn du mit ihnen reden willst. Für alle hier ist die Situation mehr als nur komisch. Obwohl man die ganze Zeit von Menschen umringt ist, fehlt einem irgendwie der Kontakt. Alle haben es gerade so eilig und man nimmt sich gerade kaum noch die Zeit, einfach mal stehen zu bleiben und sich zu unterhalten. Mir fehlt das auch und deshalb genieße ich solche Gespräche, in denen einfach nur erzählt wird, ohne dass das Thema irgendwas mit der Show zu tun hat.“ Sie sah mich wieder an und ich fuhr fort: „Und was deine Angst vor dem Finale und den Erwartungen angeht, du hast schon so oft bewiesen, dass du hier hingehörst. Bei jedem deiner Auftritte stand ich im Backstage und dachte mir ‚Woah, die kann echt krass gut singen.‘ Du hast dich gegen alle im Team SamuRea durchgesetzt, die Leute da draußen haben dich weiter gevotet, weil du sie genauso mit deiner Stimme umhaust wie mich und deine Coaches sind unfassbar stolz auf dich.“ Ich nahm meine Hand von ihrem Arm und lächelte sie weiter aufmunternd an. „Danke. Wow, jetzt komme ich mir voll kindisch vor“, meinte sie leise. „Musst du nicht. Jeder hat mal Zweifel.“ „Aber Olli, Jonas und Maël ja scheinbar nicht.“ Ich lachte und meinte: „Olli kannst du nicht ganz als Vergleich heranziehen. Der ist Berufsmusiker und macht gefühlt nichts anderes als auf der Bühne stehen. Und bei Jonas und Maël ist es eigentlich nur Johnny, der das Ganze eher entspannt sieht. Maël ist vor jedem Auftritt so unsicher und aufgeregt wie du jetzt.“ „Wirklich?“, fragte sie nach und ich nickte.  „Weißt du, vielleicht solltest du mehr daran denken, was du schon alles erreicht hast und dich auf deine Auftritte am Sonntag freuen. Du performst deinen eigenen Song zusammen mit Samu und Rea. Das ist total krass.“ Sie lächelte, sah mich an und meinte: „Danke, dass du mir zugehört hast. Wenn ich ehrlich bin, wollte ich schon eine ganze Weile mal mit dir reden. Jedes Mal, wenn wir uns über den Weg gelaufen sind, wollte ich dich unbedingt kennenlernen. Du wirkst so wahnsinnig sympathisch. Und heute auf der Bühne mit dir hat es total Spaß gemacht.“ „Fand ich auch. Wir können jetzt gerne noch weiter quatschen. Ich habe gerade nichts vor. Drinnen kommen die auch mal ohne mich klar. Also was möchtest du wissen?“ „Oh, ähm, okay.“ Sie wirkte überrascht. „Also dann, wo kommst du her und was machst du neben The Voice?“ „Da hast du dir aber gleich eine Frage ausgesucht, die nicht so einfach zu beantworten ist“, lachte ich, „Ich studiere in Hamburg Eventmanagement, mache aber gerade ein Praxissemester. Vor Corona habe ich in einem Café gearbeitet und eine WG-Zimmer in Hamburg gehabt. Als das ganze Drama dann losging, bin ich nach Berlin zu Nico gezogen, weil der mir in seinem Management einen Job angeboten hat. So bin ich auch zu diesem Assistentinnen-Job gekommen. Mein WG-Zimmer habe ich neulich gekündigt und nach dem Finale ziehe ich wieder zu meinen Eltern nach Limburg an der Lahn. Mein Studium findet nächstes Semester vermutlich eh wieder online statt und da ich gerade eh ein bisschen knapp bei Kasse bin, ist es so am Einfachsten.“ „Oha, voll krass. Da hat dich die Pandemie ja voll erwischt, was?“, sagte Paula mit großen Augen. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich gebe zu, ich hatte eigentlich auch nicht geplant, mit 22 wieder bei meinen Eltern einzuziehen, aber über Vieles, was in diesem Jahr passiert ist, bin ich echt dankbar. Ohne Corona würde ich sonst vermutlich nicht hier sitzen und hätte auch nicht so viele coole Leute kennengelernt.“ „Wie zum Beispiel Jonas.“ Sie grinste mich vielsagend an. „Wie zum Beispiel Jonas“, bestätigte ich und wir lachten beide. „Ihr habt vorhin wirklich alle total überrascht. Mich auch“, sagte sie. Ich runzelte die Stirn und sie fuhr fort: „Naja, weißt du, wenn man euch beide sieht, denkt man nicht, dass ihr zusammenpassen könntet. Jonas ist halt immer ein bisschen verpeilt, während du immer alles im Blick hast, über alles Bescheid weißt und Situationen mega gut koordinieren kannst. So wie heute auch. Wenn man dich sieht, denkt man, du bist ein Model oder so, weil du so unfassbar hübsch bist und auch die passende Ausstrahlung hast. Man denkt eher, dein Freund wäre ein Bodybuilder oder Sportler und nicht jemand wie Jonas.“ Ich lachte laut. „Ja, manchmal ist er echt ein bisschen unorganisiert. Und was das optische angeht, ich war schon mit Typen zusammen, die eben Sportler waren oder denen die Mädchen zu Hauf hinterhergelaufen sind. Aber diese Typen waren total eingebildet und haben mich nur als Statussymbol gesehen. Mit so jemandem will ich nicht zusammen sein. Außerdem…“ Ich sah vor mir auf den Boden und wurde rot. „Ich finde Jonas wahnsinnig attraktiv. Ich liebe es, ihm zuzusehen, wenn er Gitarre spielt oder auf der Bühne steht. Ich liebe seine langen Haare, die blauen Augen und sein Lachen.“ Ich sah sie an. „‘Tschuldige, dass ich hier so rumschwärme.“ Sie lächelte mich an. „Alles gut. Es ist schön zu sehen, dass er dich glücklich macht. Und ich glaube, du machst ihn auch ziemlich fertig. Er wusste vorhin gar nicht, wo er hingucken sollte, als du ihn angetanzt hast“, kicherte sie und auch ich lachte schallend. „Ja, ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen.“ In dem Moment öffnete sich die Eingangstür und ein The Voice-Mitarbeiter rief: „Ach, da seid ihr beiden. Paula, du sollst gleich nochmal auf die Bühne kommen. Samu und Rea wollen mit dir noch irgendetwas besprechen.“ „Komme gleich“, rief sie zurück und der Mitarbeiter verschwand. „Tja, dann muss ich wohl mal wieder arbeiten gehen. War echt cool, mal mit dir reden zu können.“ Sie sprang mit Schwung von der Mauer. „Hey, wir können das gerne wiederholen. Ich geb dir meine Nummer, dann kannst du immer anrufen, wenn du willst“, meinte ich. Sie lächelte. „Das wäre echt cool. Hier.“ Sie gab mir ihr Handy, ich speicherte meine Nummer ein und gab es ihr zurück. „Achso, tu mir mal einen Gefallen und erzähl nicht herum, dass ich wieder nach Limburg ziehe. Außer dir weiß das nämlich nur noch Nico.“ „Meine Lippen sind versiegelt“, meinte sie augenzwinkernd und verschwand dann wieder ins Studio.

Don't leave me, Johnny || Maël und Jonas FFWhere stories live. Discover now