Kennenlernen im Waschsalon - Teil 1

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‚Ich und Jonas' Aïcha, wer's glaubt. Bestimmt hatte mich mein Kumpel nur mal wieder verarscht. Ja, so musste es sein', redete ich mir ein, während ich mir meine Maske mit einer Hand aufzog und dann mit meinem großen Korb unterm Arm die Tür des Waschsalons aufdrückte. Es war kurz nach acht Uhr abends und dementsprechend wenig los. Ich stellte den Korb neben eine Waschmaschine und fing an, die Wäsche hineinzuschmeißen. Das war halt das Problem, wenn man längere Zeit im Hotel wohnte, dort keine Waschmaschine hatte und tagsüber keine Zeit zum Waschen hatte. Ich schaltete die Maschine an und setzte mich auf eine der langen Holzbänke. In vier Tagen ging es wieder nach Hause nach Hamburg und ich freute mich schon wahnsinnig darauf, meine WG und somit auch meine Freunde wiederzusehen. Seit März hatten wir nur noch telefoniert und geskypte, da ich es im Lockdown vermieden hatte, groß zu verreisen. Die Sing Offs würden erst Ende Oktober aufgezeichnet werden, das hieß, die Vorbereitungen würden ab der dritten Oktoberwoche starten. Aber bis dahin war es noch mehr als einen Monat hin und ich hatte genug Zeit, alles nachzuholen, was ich in Hamburg verpasst hatte. Ich zog mein Handy aus der Tasche und snapte Nico ein Bild von der Reihe Waschmaschinen und meinen Füßen. „So spät noch im Waschsalon? Du weißt, dass du auch zu mir kommen kannst", lautete die Antwort keinen zwei Minuten später. Ich grinste und tippte zurück: „Alles gut. Wollte dich nicht stören und so spät ist es auch noch nicht. Wir sehen uns morgen früh im Studio." Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche und sah mich im Waschsalon um. Ein Stückchen weiter saßen zwei Typen, die sich angeregt unterhielten und dabei viel lachten. Irgendwie kamen die mir bekannt vor, aber so genau konnte ich das durch meine Kurzsichtigkeit nicht beurteilen. So spät am Abend hatte ich selten noch Kontaktlinsen drin und meine Brille beschlug die ganze Zeit durch die Maske, weswegen ich sie abgenommen hatte. Der größere von den Männern hatte mich scheinbar entdeckt und winkte mir zu, sicher war ich mir aber nicht. „Hallo Jenny", hörte ich und erkannte die Stimme von Maël. Ah, okay, dann ist der andere bestimmt Jonas. Ich winkte freundlich zurück, blieb aber sitzen und schaute in eine andere Richtung. Ich wollte die Beiden wirklich nicht stören. Plötzlich fiel ein Schatten auf mich und als ich hoch sah, standen sie beide vor mir. „Ignorierst du uns etwa?", fragte Jonas mit anklagendem Unterton in der Stimme. Ich hob abwehrend die Hände und meinte: „Nein, ich..." „Dann ist ja gut." Er ließ mich den Satz nicht zu Ende sprechen und setzte mich neben mich. Ich lachte. „Mann, Jungs, ich wollte euch nicht stören. Ich dachte, vielleicht habt ihr auch mal genug von den The Voice-Leuten. Außerdem hab ich euch nicht richtig erkannt." „Kurzsichtig?", fragte Maël, der sich auf meine andere Seite setzte. „Ich sehe, du kennst das Problem", bestätigte ich. „Hoffentlich stört es dich nicht, wenn wir dir Gesellschaft leisten." Ich sah wieder zu Jonas und schüttelte den Kopf. „Nein, es freut mich ehrlich gesagt sogar", gab ich unsicher grinsend zu. Ich versank kurz in seinen blauen Augen. Als es mir auffiel, sah ich schnell weg und fragte: „Was macht ihr eigentlich noch hier? Ihr hättet heute doch schon nach Hause fahren können." „Weißt du, durch das ganze Proben und die vielen neuen Eindrücke hatten wir noch gar nicht richtig die Chance, mehr von Berlin zu sehen. Deswegen bleiben wir bis morgen hier", erklärte Maël mir. Ich runzelte die Stirn. „Und ein Waschsalon in Berlin ist etwas, was ihr unbedingt einmal gesehen haben müsst?" Wir lachten alle drei und Maël fuhr kichernd fort: „Quatsch, eigentlich wollte Johnny hier nur ein paar Bilder für Insta schießen. Und da dachten wir uns, wir können das Spaßige auch gleich mit dem Praktischen verbinden und unsere Sachen waschen." „Das war übrigens die Idee von Maël", fügte Jonas hinzu, „Manchmal kommt einfach der Vater zu sehr in ihm durch." „Komm du erstmal in mein Alter. Dann denkst du auch so wie ich." „Niemals." Es war schön zu sehen, wie die beiden sich neckten. Man merkte, dass sie sich schon wahnsinnig lange kannten und gut verstanden. „Und was verschlägt dich um acht Uhr abends in einen Berliner Waschsalon?" „Wie wär's mit schmutziger Wäsche? Immerhin fahre ich erst in vier Tagen wieder nach Hause", stellte ich klar. „Stimmt ja", Maël machte eine Pause, bevor er zögernd sagte: „Vielleicht geht uns das nichts an, aber wie bist du eigentlich zu dem Job hier gekommen?" Ich sah zwischen den beiden hin und her. „Habt ihr Zeit mitgebracht?" Jonas deutete nur vielsagend auf die stetig rumpelnden Waschmaschinen. Ich lachte und begann dann zu erzählen: „Ich studiere eigentlich in Hamburg Eventmanagement und halte mich mit Kellnern über Wasser. Als dann im März alles zu gemacht wurde und meine Vorlesungen von da an nur noch online stattfanden, wurde es mit dem Geld ein bisschen knapp. Ich hab Nico davon erzählt, den ich Anfang 2019 durch meine Straßenmusik kennenlernen durfte und der wiederum kam prompt mit der Idee um die Ecke, dass ich mir mein Geld verdienen könnte, indem ich ihm ein bisschen unter die Arme greife. Ich habe zum Beispiel seine Tour zusammen mit seinem Management umgeplant und all diese Probleme, die Corona ihm brachte, versucht zu beseitigen. Als er mich fragte, ob ich ihm bei The Voice auch helfen würde, habe ich sofort ja gesagt. Nico hat mich von März an bis jetzt zu den Dreharbeiten bei sich in seiner Wohnung aufgenommen, weil ein Hotel auf die Dauer zu teuer geworden wäre und ich bin ihm so dankbar, dass er so viel für mich getan hat. Zusammen mit euch Talenten bin auch ich in das The Voice-Hotel eingezogen. Ich wollte ihm nicht mehr auf der Tasche liegen und fand es außerdem besser, mitten im Geschehen zu sein. Immerhin wohnen dort alle Talente, Coaches und Mitarbeiter, die nicht in Berlin leben, aber mit The Voice zu tun haben. Und wie ihr selbst wisst, sind die Waschmaschine dort entweder dauerhaft belegt oder kaputt. So viel dazu, warum ich hier im Waschsalon sitze und meine Wäsche wasche. Könntet ihr bitte aufhören, mich so anzustarren?" Maël und Jonas hatten während meiner Erzählung aufmerksam zugehört und mich dabei nicht aus den Augen gelassen. „Und wie geht es jetzt weiter?", wollte Maël wissen. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich fahre nach Abschluss der Dreharbeiten wieder nach Hamburg in meine WG. Und dann, denke ich, werde ich sehr viel Musik machen und mit Nico die Sing Offs planen. Deswegen sollt ihr ihm ja auch schon nächste Woche eure Sing Off-Wunschsongs schicken." „Bist du Wahlhamburgerin oder wohnst du schon immer da?", fragte Jonas und ich schüttelte den Kopf. „Ich bin in Limburg an der Lahn aufgewachsen. Meine Eltern wohnen immer noch da." Seine Augen wurden groß. „Echt jetzt?" Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, wieso?" „Mann, dann kommen wir ja quasi aus der gleichen Gegend." Ich runzelte die Stirn und beugte mich zu Maël, zu dem ich leise sagte: „Freut er sich immer so über Kleinigkeiten?" „Joa, kommt schon häufiger mal vor." Wir quatschten immer weiter über die verschiedensten Themen, über Maëls Tochter und sein Studium, über Jonas' anstehendes Abitur, über ihre Auftritte bei The Voice und ihre Eindrücke und natürlich über die Zukunft. Jonas knipste noch die Bilder für Instagram, auf denen sie sehr viel herumblödelten und auch mich bekam er einige Male vor die Linse. Es machte irre Spaß, Zeit mit den Beiden zu verbringen. Nach einiger Zeit verließen wir den Waschsalon wieder und liefen zurück zum Hotel. Erleichtert zog ich mir die Maske vom Gesicht und setzte meine Brille wieder auf. Maël ging ein Stück vor Jonas und mir und telefonierte mit seiner Freundin, den Korb der beiden Freunde unterm Arm. Jonas fotografierte das nächtliche Berlin. „Guck mal", sagte er und ich sah im Laufen zu ihm. Der Blitz der Kamera blendete mich und ich murmelte sarkastisch: „Vielen Dank für die Vorwarnung", während ich immer noch Sternchen sah. „Sorry, war wohl doch ein bisschen zu hell", entschuldigte er sich sofort. Mit einem Blick auf das Display seiner Kamera gab er zu: „Sah auch ehrlich gesagt nicht so gut aus, wie ich gehofft hatte. Darf ich noch einmal versuchen?" Ich seufzte, nickte aber und stellte den Korb ab. „Ich bezweifle allerdings, dass du bei dem Aussehen deines Models ein zufriedenstellendes Ergebnis bekommen wirst." Jonas sagte nichts dazu, was vielleicht auch besser war, und stellte nur konzentriert seine Kamera ein. Er sah durch den Sucher der Kamera und ich nahm eine Pose ein, mit der ich wohl einigermaßen passabel aussehen sollte. Er schoss zwei Bilder, sah wieder auf das Display und pfiff anerkennend. „Alles klar, das nehmen wir." „Hey, ich will das aber auch sehen", protestierte ich, während er seine Kamera wieder in den Rucksack packte. „Nix da. Ich bearbeite das erst und schicke es dir dann zu", sagte er bestimmt, während er den Rucksack wieder schulterte. Dann griff er blitzschnell an mir vorbei nach meinem Wäschekorb und lief damit davon. „Hey, was soll das?", rief ich überrascht und jagte ihm dann lachend hinterher. Wir überholten Maël, der uns kopfschüttelnd hinterher sah. Kurz vor dem Hotel überholte ich Jonas und blieb abrupt stehen, sodass er fast in mich hinein krachte. „Mann, bist du schnell", stellte er keuchend fest und ich nahm ihm lachend den Korb ab. „Danke für's Tragen." „Kein Ding." Und schon wieder war da etwas zwischen uns, das ich nicht deuten konnte. „Was hat euch denn eben gestochen?", fragte Maël, der auf einmal neben uns aufgetaucht war und ich riss mich abrupt von Jonas' blauen Augen los, in denen ich kurzzeitig versunken war. Ich machte erschrocken über mich selbst einen Schritt nach hinten und stammelte: „Ich,...äh... Vielen Dank, dass ihr mir Gesellschaft geleistet habt. Ich sollte echt schlafen gehen. Morgen wird ein anstrengender Tag. Tschüss. Kommt gut nach Hause." Ich drehte mich auf den Absätzen um und ging den Korb in der Hand ins Hotel, unfähig zu verstehen, was da eben passiert war.

Don't leave me, Johnny || Maël und Jonas FFWhere stories live. Discover now