Max und zu viele Emotionen

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Die Sing Offs begannen zwei Stunden nach dem Streit zwischen Jonas und mir. Ich saß wieder im Publikum und beobachtete die Aufnahmen. Mir ging es immer noch nicht wirklich gut. Jonas sprang die ganze Zeit in meinem Kopf rum und ich konnte irgendwie nicht fassen, was ich da getan hatte. Maël und er hatten gerade einen Hot Seat von Nico bekommen und nun kam der vorletzte Auftritt von Max. Dieser kam auf die Bühne, sah mich kurz lächelnd an, dann wurde das Licht gedimmt. Er sang ‚This City', eines der emotionalsten Lieder dieses Jahres. Ich beugte mich vor und hörte ihm aufmerksam zu. Ich hatte zwar die Proben mitverfolgt und begleitet, aber dennoch fieberte ich mit jedem Talent mit. Die Härchen auf meinem Arm stellten sich auf, so sehr berührte er mich mit seinem Gesang. Da ich an der Seite der Bühne saß, konnte ich Nico sehen, der genauso berührt war wie ich. Er hörte aufmerksam zu, sang den Text aber zum Teil mit, während auf seinem Gesicht die verschiedensten Emotionen wechselten. Die Coaches waren absolut sprachlos und genossen nur die Darbietung, die sich ihnen bot. Ich drehte den Kopf und sah zu den drei Talenten auf den beiden Hot Seats. Am meisten schockte mich Jonas' Reaktion. Selbst aus der Entfernung konnte ich sehen, dass in seinen Augen die Tränen schimmerten. Ich sah schnell weg. Ich wüsste, dass die Situation für ihn auch nicht einfach sein musste. Er musste seine wahren Gefühle verstecken, die Wut auf mich und vermutlich auch die Enttäuschung, um den eigenen Song vernünftig rüber bringen zu können. Natürlich mussten diese Emotionen irgendwann auch raus. Ich merkte, wie mir eine Träne über die Wange lief, doch ich wischte sie nicht weg. Max berührte mich wie niemand sonst in dieser Show. Er zeigte mir nur dadurch, dass er sang, wie schmerzvoll und gleichzeitig wunderschön das Leben war und mir wurde mit einem Schlag klar, dass ich vor zwei Stunden den größten Fehler meines Lebens gemacht hatte. Es gab Wichtigeres als einen Job und wer sagte überhaupt, dass jemand von der Produktionsleitung erfahren würde, dass ich Jonas mochte und er mich auch. Und Nico würde Maël und ihn bestimmt auch so noch weiter unterstützen. Aber für diese Einsicht war es vermutlich schon zu spät. Ich konnte jetzt oder nach der Show nicht zu Jonas gehen und sagen „Hey. Ich hab's mir anders überlegt.“ Dafür war meine Abfuhr zu hart, das wusste ich selbst. Ich ärgerte mich über mich selbst und ließ den Tränen weiter leise freien Lauf, während Max den Song zu Ende brachte. Alle im Studio standen auf und applaudierten ihm, mich eingeschlossen. Die Tränen liefen immer noch und ich ließ es passieren. Ich wusste, dass die Kameras mich nicht aufnehmen würden, da ich, deutlich erkennbar an meinem Crew-Ausweis, ein Teil des Teams war. Ich bemerkte, dass Jonas kurz zu mir sah, doch als ich seinen Blick erwiderte, sah er schnell weg. Es tat so unfassbar weh. Max bekam keinen Hot Seat von Nico, was ich absolut nicht verstehen konnte, aber etwas machen konnte ich dagegen auch nicht. Nico sah zu mir und entdeckte mein verweintes Gesicht. „Es tut mir so leid“, formte er mit den Lippen. Ich stand kopfschüttelnd auf und ging hinter die Bühne, wo Max gerade interviewt wurde. Dabei kam ich an Michael vorbei, der die Auftritte wie immer hinter der Bühne verfolgte. „Hallo Cordula. Lange nicht gesehen“, begrüßte er mich grinsend. Dann sah er mein verheultes Gesicht und sein Blick wurde ernst. „Oh je, was ist denn mit dir passiert?“, fragte er mich. „Ein bisschen viel heute“, meinte ich und wischte mir mit einem Zipfel meines Pullis über die Augen, „Sieh bloß zu, dass du dir Max holst. Der darf einfach nicht nach Hause gehen.“ Ich wandte mich Max zu, der mit seinem Interview fertig war. „Hey“, sagte ich und musste wieder schniefen. „Oh Gott, Jenny, hab ich dich so mitgenommen?“, fragte er und streckte die Arme nach mir aus. Ich ging zu ihm und ließ mich von ihm in die Arme schließen. „Du bist echt ein unfassbar guter Sänger, Max. Ich bin seit deinen Blinds ein riesengroßer Fan von dir und du hast mir heute so unfassbar viel gegeben und klar gemacht, nur dadurch, dass du gesungen hast. Bitte hör bloß nicht auf. Du bist so unfassbar gut und ich muss schon wieder heulen, weil ich so fassungslos darüber bin, was heute alles so verkehrt gelaufen ist“, sagte ich und brach wieder in Tränen aus. „Oh Jenny. Du bist so unfassbar lieb.“ Er wiegte mich hin und her, während die Tränen weiter meine Wange herunterliefen und sein Hemd an der Schulter nässten. Irgendwann löste ich mich von ihm und wischte mit meinem Ärmel über die Augen. „‘Tschuldige. Jetzt ist dein Hemd total nass.“ „Das macht nichts. Trocknet ja wieder.“ Er lächelte mich an. „Auch wenn für mich die Reise hier jetzt zu Ende ist, bin ich wahnsinnig froh. dass ich her gekommen bin. Ich habe so viele neue Leute hier kennengelernt. Wie dich. Danke, dass du für mich da warst, als es mir neulich nicht so gut ging.“ „Keine Ursache.“ Er lächelte noch einmal, dann meinte er: „Ich geh mich mal umziehen. Wir sehen uns nachher bei der After Show-Party auf dem Dach.“ Ich nickte und er verschwand durch die große Tür, die aus dem Studio führte. Ich sah ihm hinterher und steckte meine Hände in meine Hosentaschen. Er war so ein unfassbar toller Mensch. Leider erkannte man das erst, wenn man zu ihm durchgedrungen war, was gar nicht so einfach war. Ich hoffte, er machte weiter Musik. Ich würde ihn auf jeden Fall im Auge behalten. Ich schüttelte lächelnd den Kopf und ging wieder zurück auf meinen Platz, um mir den letzten Auftritt anzusehen.

Don't leave me, Johnny || Maël und Jonas FFWhere stories live. Discover now