chapter four

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"We cannot become what we want by remaining what we are."


Evelyn

„Ich frage mich wirklich, warum ich meine Kraft so gut beherrsche. Meinest du nicht, das benötigt eine Menge Training?"

Verwirrt blickte ich auf meine Fingerspitzen und dann zu Cathy, die sich gerade von der Matte in unserem improvisierten Fitnessstudio erhob. Stöhnend strich sie sich die schwarze Leggins und das weiße Shirt glatt. „Du warst eben schon immer gleich in allem gut", erklärte sie und zuckte mit den Schultern. Gleich daraufhin verzog sie schmerzvoll das Gesicht. Ich hatte sie wirklich heftig am rechten Arm erwischt.

„Du weißt, dass das nicht stimmt", korrigierte ich sie und lief dann auf sie zu. Prüfend blickte ich an ihrem Arm hinab. „Tut es doll weh?"

Meine Schwester schüttelte den Kopf und drehte sich dann von mir, um aus ihrer Wasserflasche zu trinken. „Mittlerweile bin ich es gewohnt, Schwesterherz."

Das tat sie immer. Cathy erfüllte zu einhundert Prozent den Ältere-Schwester-Kodex. Nichts konnte ihr etwas anhaben und sie spielte immer die Unverwundbare. Dabei konnte ich den Schmerz ganz genau in ihren Augen erkennen.

Seufzend trat ich von der Matte, lief zu dem kleinen Kühlschrank in der Ecke und griff nach einer kalten Limodose. „Hier", warnte ich Cathy und warf ihr das Getränk zu. Sie fing es locker mit der anderen Hand und runzelte die Stirn.

„Was soll ich damit?" Auf ihre Worte hin, verdrehte ich die Augen.

„Na was wohl?" Ich zeigte auf ihren Arm. „Du sollst damit die Stelle kühlen, an der ich dich erwischt habe."

Sie wollte etwas erwidern, aber ich schnitt ihr das Wort ab. „Ich trainiere gerade mal seit ein paar Wochen und beherrsche meine Kräfte schon perfekt."

Cathy seufzte erneut, gab nach und hielt sich die Dose gegen ihren Arm. „Warum wundert dich das? Es gibt immer Menschen, die schneller als andere lernen."

„Aber ich bin normalerweise nicht so ein Mensch", erwiderte ich und schaute an ihr vorbei gegen die kühle Betonwand. Vor ein paar Monaten hatten Cathy und ich einen großen Streit. Er war so sehr ausgeartet, dass ich sie leicht von mir schubste. Als sie jedoch fünf Meter von mir flog und mit Glück nur auf meinem Bett landete, bemerkte ich, dass etwas mit mir nicht stimmte.

Cathy erklärte mir, ich sei eine Ordeal. Im ersten Moment lachte ich sie aus. Doch als sie weitererzähle, wurde mir der Ernst der Lage schnell bewusst. Ich konnte tatsächlich mit einer bloßen Berührung, Menschen verletzten und das nur, weil dieses Gen scheinbar in unserer Familie lag. Zumindest war unsere Großmutter eine Ordeal. Das Gen wurde eigentlich nur an jedes zweite Mädchen weitergegeben. Irgendwie hatte es aber mich und Cathy erwischt.

Unsere Eltern hatten keinen blassen Schimmer von all dem. Ich musste meiner Schwester schwören, dass ich es ihnen nicht erzählte und auch sonst keiner Menschenseele.

Also hatten wir unter dem Vorwand, dass wir mehr für unsere Fitness tun wollten, den Keller zu einem Trainingsraum umgebaut. Um ehrlich zu sein, hatten wir einfach das ganze alte Zeug rausgeräumt, eine Matte auf den Boden gelegt, einen Minikühlschrank angeschlossen und das war es dann auch schon.

„Dann bist du eben ab jetzt so ein Mensch. Du bist neunzehn, Eve. In dem Alter kann sich das doch ständig ändern."

Cathy öffnete entspannt die Dose und trank einen Schluck daraus. Anschließend warf sie sich ein Handtuch über die Schulter und lief zu den Treppen. „Wir müssen gleich in die Schule. Ich geh duschen und das solltest du auch!"

Condition - BedingungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt