chapter 19 - leere

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Zuerst nahm ich die kleine braun-weiß-schwarz-gemixte Katze wahr, die einige Meter vor der Wohnungstür saß. Sie sah meiner Katze, die sich zur Zeit zu Hause befand, verblüffend ähnlich. Aber was sollte meine Katze hier machen? Und vor allem, seit wann konnten Katzen an Haustüren schellen?

Ich schüttelte verwirrt meinen Kopf, um meine Gedanken etwas zu klären. Als ich wieder zur Katze schaute, war diese einige Meter weitergelaufen. Im selben Moment öffnete sich neben der Tür, in der ich stand, eine weitere und Rewis Nachbar trat heraus.

"Ah, da bist du ja, Kitty", meinte er erleichtert und die Katze kam sofort auf ihn zugelaufen. Als er mich sah fügte er hinzu: "Oh, Entschuldigung, hallo! Sie müssen ein Freund von Sebastian sein?"

Sebastian. Das klang echt komisch, da ihn niemand so nannte. Für mich war er immer Basti oder Rewi gewesen.

Ich nickte dem jungen Mann freundlich zu und bejahte: "Genau, ich bin... Ein Freund. Ich bleibe für eine Weile hier und besuche ihn."

"Das ist schön! Viel Spaß! Ich muss dann auch mal wieder...", lächelte er mir zu und lockte dann seine Katze mit einem Leckerli in seine Wohnung.

Ich wusste nicht, warum ich nicht sagte, dass ich Rewis fester Freund war. Vielleicht war es einfach noch zu frisch. Vielleicht hatte ich aber auch Angst vor der Reaktion. Manchmal ist es echt schwierig, Menschen einzuschätzen. Besonders fremde Menschen - deswegen ist es auch schwierig, die Reaktion der Community zu fassen.

Grinsend schüttelte ich meinen Kopf. Dieses Treffen mit Rewis Nachbar war wirklich lustig gewesen. Er war genauso verpeilt, wie Rewi ihn mir einige Male vorher beschrieben hatte.

Gerade, als ich die Tür zu machen wollte, erschien auf der Treppe erneut eine Person, die ich anhand der Umrisse ausmachen konnte. Ich kannte diese Person sehr gut.

Kaum war von ihr die Rede, hörte ich auch schon ihre laute Stimme nach mir rufen. Ich verstand nicht, was sie hier wollte. Wahrscheinlich wollte sie mir nur wieder deutlich machen, wie schlecht das Internet für mich sei. Von wegen.

Wie eingefroren stand ich in der halbgeöffneten Tür. Es war zu spät dafür, einfach wieder hineinzugehen. Also hielt ich die Luft an, trat aus der Tür heraus und wappnete mich innerlich vor ihren Vorwürfen.

"Felix!", kam sie auf mich zugelaufen und zog mich in eine enge Umarmung. Ihre Arme waren fest um meinen Oberkörper geschlungen. Ich hingegen rührte mich überhaupt nicht und ließ es nur über mich ergehen. Meine Passivität schien sie aber nicht weiter zu stören. Sie beugte sich wieder ein Stück zurück, hielt aber mit ihren Händen noch meine Oberarme auf beiden Seiten fest.

Dann schaute sie mir eindringlich in mein Gesicht und ich erkannte ein paar Tränen in ihren Augenwinkeln. Warum weinte sie? Weinte sie etwa wegen mir?

"Ich bin so glücklich, dich wiederzuhaben." Ihre Stimme brach am Ende und sie wischte sich mit ihrem Zeigefinger eine Träne, die ihre Wange herunterlief, weg.

"Mom...", setzte ich leise an, aber da ich nicht wirklich wusste, was ich sagen sollte, verstummte ich wieder.

Sie drückte meine Schultern verständnisvoll und meinte dann: "Komm bitte wieder mit nach Hause, Felix. Ich vermisse dich und dein Vater hat mich gestern sogar auch schon angerufen um sich zu erkundigen, wo du bist. Du weißt, wie ungern ich mit ihm spreche."

"Ja, schon. Aber du verstehst mich immer noch nicht. Ich möchte noch ein bisschen hier bleiben, ich kann hier noch nicht weg, Mom."

Meine Eltern hatten sich direkt nach meiner Geburt scheiden lassen. Seitdem hatte meine Mutter ihre Energie in ihre Karriere gesteckt. Es gab nie neue potenzielle Väter für mich. Nur meine Mom. Mein Vater lebte in Berlin und ich verbrachte meistens einen Teil der Sommerferien bei ihm. Eigentlich hätte ich auch nach meinem 18. Geburtstag im letzten Jahr zu ihm ziehen können, aber ich mochte ihn nicht besonders. Er war sehr streng und wollte alles unter Kontrolle haben. In diesem Punkt waren sich meine Eltern schon recht ähnlich, nur mit meiner Mutter ließ es sich einfach besser auszuhalten. Die beiden verstanden sich nicht sonderlich gut. Manchmal fragte ich mich, warum sie überhaupt zusammen gewesen waren und ein Kind gezeugt hatten, wenn sie sich gar nicht geliebt hatten.

"Du kannst hier nicht weg?"

"Nein, noch nicht. Es geht mir echt gut hier", versuchte ich sie zu überzeugen. Rewis Gesicht tauchte in meinen Gedanken auf. Ich konnte ihn nicht verlassen. Nicht jetzt, wenn alles so neu und schön zwischen uns war.

Der Blick meiner Mutter wurde härter und nun sprach sie mit ihrer eiskalten Berufsstimme: "Felix. Du bist mein Kind. Ich bin deine Mutter. Du kommst jetzt mit mir mit. Oder soll ich deinen Vater anrufen?"

Warum musste mir meine Mutter eigentlich immer drohen? Und super, sie würde meinen Vater anrufen - na und?

"Mom, ich bin 18! Ich bin volljährig! Ich kann selbst für mich entscheiden!", schrie ich sie an und ließ damit die aufgestaute Wut seit unserem letzten Gespräch heraus.

Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper. Für einen Moment blieb sie still, bis sie ihre Gedanken geordnet hatte. Dann setzte sie ihren nächsten Schachzug: "Hier will dich doch eh niemand haben."

"Alle hier nutzen dich nur aus. Für ihre Zwecke. Niemand denkt an dich. Und wenn du denkst, dass dich dieser Rewi liebt... Du bist so naiv! Er fühlt nichts für dich. Das Einzige, was er möchte, ist die Aufmerksamkeit. Und die bekommt er, wenn er genau das macht, was die Fans von euch erwarten. Aber es hat nichts mit euch zu tun. Alles dreht sich nur um Anerkennung", meinte sie eiskalt und durchbohrte mich mit ihren Augen.

Ich spürte nichts mehr. Weder wie mein Herz herausgerissen und auf den Boden geschmissen wurde, bis er zersplitterte. Noch wie mir Tränen ununterbrochen meine Wange hinunterliefen. Ich spürte nur noch eine Leere. Ein großes, leeres Nichts.

Ich wurde von meiner Mutter nach hinten in die Wohnung geschoben. Dann zog sie mich hinter sich her. Ich war nicht mehr fähig zu laufen, geschweige denn einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Der einzige mögliche Gedanke, mit dem mein Kopf überfüllt war, war: Was ist, wenn sie recht hat?

Vor meinen Augen packte meine Mutter meine Sachen und schob mich dann wieder zur Tür. Meine Schritte waren schwerfällig und ich nahm alles in Zeitlupe war. Konnte das wirklich das Ende sein? Andererseits gab es überhaupt einen Anfang, wenn es nur ein Schauspiel war?

Trotzdem konnte ich nicht einfach so gehen. Bevor ich die Wohnung verließ, ging ich noch einmal in die Küche. Ich schnappte mir einen Zettel und einen Stift und ließ meine Gefühle aus mir herausfließen. Die Tränen in meinen Augen versperrten mir die Sicht und ließen mich nicht einmal meine eigene Schrift erkennen. Das, was ich dort schrieb, ergab wahrscheinlich nicht einmal einen Sinn, aber ich durfte Rewi nicht einfach so verlassen.

Als auf dem Blatt kein Platz mehr war, ließ ich es auf den kleinen, mit Geschirr überfüllten Tisch fallen und verließ die Küche. Meine Mutter wartete an der Tür mit meinen Sachen auf mich. Sie umarmte mich noch einmal und flüsterte mir beruhigend zu: "Ich bin jetzt für dich da! Ich bin diejenige, die sich um dich kümmert. So wie schon immer."

Zusammen mit ihr verließ ich das Haus, stieg in ihr Auto ein und brach auf dem Sitz zusammen. Meinen Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt, ließ ich meinen Tränen und Schluchzern freien Lauf. Ich wollte das alles nicht. Ich wollte, dass alles so unkompliziert war wie früher. "Früher". Ein Gedanke, den ich nicht begreifen konnte. Es hatte sich so vieles geändert.

erdbeersüß. | rewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt