Kapitel 21.2 - Nach dem Sturm

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Als das kühle Nass entlang meiner Kehle lief, war es wie Balsam für meine Seele. Wir hatten ausgemacht, Avril nicht zu wecken. Sie brauchte die Ruhe, andernfalls könnte sich ihr Zustand verschlechtern. Auch wenn Cyrians Magie sie vor dem Tod bewahrt hatte, so war die Verwandlung zu einem Blank etwas, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte und solange Enja keine Wachen schickte, die uns suchen sollten, konnten wir in dem Wald solange ruhen, wie es nötig war. Trotzdem änderte das nichts an meinen Sorgen. Leons Tod lastete schwer auf meinem Gewissen. Allein bei dem Gedanken spürte ich, wie das Brennen zurück in meine Augen trat und sich mein Herzschlag verdreifachte. Lediglich Cyrians Worte hielten mich davon ab, erneut der Trauer zu verfallen. Ich hatte alles geben, was ich hatte geben können. Auch mit dem Blut einer Diavi besaß ich Grenzen, egal wie sehnlich ich mir wünschte, sie zu sprengen.

»Wie geht es ihr?« Ich hob meinen Kopf, nachdem ich mir die Tränen mit einer unauffälligen Bewegung aus den Augenwinkeln gewischt hatte. Cyrian hatte bereits genug geleistet, da sollte ich ihn nicht noch mehr belasten.

Der Zeitgott saß an einem gegenüberliegenden Baum und spielte mit einer Strähne seines silbernen Haares. Er schien über etwas nachzudenken, denn sein Blick war matt und er reagierte nicht auf meine Ansprache. Erst als ich mich räusperte, zog ich ihn aus seiner Gedankenwelt.

»Oh«, murmelte er und ein beschämtes Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Ich war in Gedanken. Tut mir leid.«

Ich legte den Kopf schief und tastete unsere Verbindung ab, aber irgendeine unsichtbare Macht verhinderte, dass ich in seine Gedankenwelt eintauchte. Es war, als würde ich gegen eine starke Strömung schwimmen, die mich immer wieder zurück an meinem Ausgangsort drückte. Ich versuchte es eine ganze Weile, bis ich schließlich aufgab. Ein leises Seufzen entfloh mir, was Cyrian nur mit einem Kopfschütteln kommentierte. Er hatte recht. Nur weil ich seine Verwandte war, bedeutete das nicht, dass er mir all seine Sorgen anvertrauen musste. Auch wenn er sich manchmal nicht wie ein erwachsener Mann benahm, so wusste er um die Schrecklichkeit, die in Cytron herrschte.

»Ich fragte, wie es ihr geht«, wiederholte ich meine Worte und nahm einen tiefen Atemzug. Es war schon einige Zeit vergangen, seitdem ich aus meiner Ohnmacht erwacht war und noch immer regte sich Avril nicht. Cyrians Magie hatte ihren Zustand zwar stabilisiert, aber das bedeutete nicht, dass sie vor einem weiteren Fall geschützt war.

»Gib ihr Zeit, Pandora. Wir haben getan, was wir tun konnten. Der Rest liegt bei ihr.«

»Und was, wenn sie es nicht schafft?« Meine Stimme versagte, während sich meine Kehle erneut wie ausgetrocknet anfühlte. Ich wusste, dass diese Gedanken toxisch waren, trotzdem verhinderte dieses Wissen nicht, dass sie immer wieder aufkamen. Es wäre eine Lüge, wenn sie sich nicht zurück nach Akelicis wünschte. Zurück in die Zeit, in der sie noch keine Verwandte gewesen war. Aber das konnte sie Cyrian nicht antun. Er brauchte schließlich.

»Sie ist eine Kämpferin.« Der Zeitgott richtete sich im Sitzen auf und blickte mich mit einem ernsten Gesichtsausdruck an. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen und das typische Lächeln war verschwunden. »Es steht überhaupt nicht zur Debatte, dass sie es nicht schafft. Ich gebe zu, wir hatten nicht den besten Start, aber ich werde sie hier nicht sterben lassen. Das bin ich dir und den Leuten in Akelicis schuldig.«

Ich schluckte und meine Augen verschwanden in einem Schatten. Es waren einfache Worten, aber ihre Intensität erreichte mich mit voller Stärke. Was war mir nur in den Sinn gekommen, an ihr zu zweifeln? Cyrian hatte recht. Sie würde es schaffen. Eine andere Option gab es nicht.

Kurz biss ich mir auf die Unterlippe, spürte den metallenen Geschmack meines eigenen Blutes, bevor ich meine Haltung richtete. Ich legte die Schale mit dem Wasser zur Seite und krallte mich an der Rinde des Baums fest. Tief atmete ich durch, bevor ich mich mit zitternden Knien erhob. Dank meiner Stütze gelang es mir, im Gleichgewicht zu bleiben, trotzdem merkte ich, wie sich die Anstrengung durch meine Muskeln zog. Für einen kurzen Moment hielt ich inne, versuchte mich an die plötzliche Belastung zu gewöhnen, während ich aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Cyrian aufsprang.

Der fünfte GottWo Geschichten leben. Entdecke jetzt