Kapitel 7.2 - Morgenröte im Schlund

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Die Macht, die mich plötzlich durchflutete, erinnerte an die Kraft, die ich während meines Kampfes mit dem Schatten erhalten hatte und doch war sie stärker, wilder und brannte sich in jede Zelle meines Körpers, als wolle sie zu einem Teil meiner Seele werden.

Kaum hatte ich gespürt, wie sich unsere Hände berührten, war seine gebündelte Energie in mich übergegangen, womit unser Vertrag, als seine vorläufige Verwandte, besiegelt worden war. Deutlich vernahm ich das Band, das zwischen uns gesponnen wurde. Es war etwas Unsichtbares und doch ein Faden, der aus einem Material entstanden war, stärker als jeder Diamant. Rein, klar und robust.

Kaum verschlungen sich unsere Finger miteinander, spürte ich seine Wärme, die langsam auf mich überging und unsere Handflächen brennen ließ. Ein angenehmes Gefühl, das meinen beschleunigten Herzschlag zur Normalität brachte, überkam mich und obwohl ich mich gerne dieser Ruhe hingegeben hätte, erkannte ich, dass wir handeln mussten.

Ein letztes Mal mal blickte ich mich im Abyss um, bevor ich Cyrian zunickte, der mich aufmerksam musterte. Seine Magie sammelte sich in Form einer silbernen Aura, die unbekümmert um seine Gestalt tanzte. Wie Flammen, umgab die Energie seinen Körper, hob und senkte sich immer wieder. Kleine Funken flogen durch die Luft, während der unwiderlegbare Geruch seiner Kraft sich durch diese zog. Ein süßlicher Duft, mit einem bitteren Kern, der trotz allem, Frische und Zuversicht schenkte. Tief füllten sich meine Lungen mit neuer Luft und ich verinnerlichte den Geruch seiner Magie; der Magie eines Gottes.

Kaum hatte Cyrian meinen Zuspruch vernommen, verließen ein paar unverständliche Worte seinen Mund. Eine leise Zauberformel in einer fremden Sprache, die ich nicht zu verstehen vermochte.

Im selben Moment erfasste mich dasselbe Licht, das von ihm ausging, doch seltsamerweise hinterließen die Flammen nicht viel mehr als ein seichtes Kribbeln. Das einzige, was durch meinen Körper fuhr, war ein Gefühl, das an pure Euphorie grenzte.

Als ich zu Boden sah, erkannte ich, dass unsere Füße bereits über dem grünen Gras schwebten und tatsächlich war mein Körper federleicht, als könnte mich ein einzelner Windstoß über ganze Städte ziehen lassen.

Ein kleiner Laut kam über meine Lippen. Ein Ausdruck meines Überraschens sowie Freude. Das Gefühl überwältigte mich vollkommen und beinahe vergaß ich den Ernst der Lage.

Cyrian, der meine Gefühle mühelos deutete, warf mir ein Lächeln zu: »Danke. Endlich kann ich den Abyss verlassen.«

»Habe ich gerne gemacht«, antwortete ich wahrheitsgemäß, immerhin konnte ich nachvollziehen, dass er sich nach Freiheit sehnte, wenn er doch bereits so viele Jahrtausende eingesperrt verbracht hatte. Unsere Flucht musste für ihn deutlich aufregender sein, als sie es für mich war.

Zwar plagten mich noch immer leichte Zweifel, als wir stetig höher stiegen, doch da es die einzige Möglichkeit war, dem Abyss zu entkommen, blieben nicht viele andere Optionen offen. Ich hatte richtig gehandelt, zumindest hoffte ich das sehr.

Immer schneller flogen wir empor und bald peitschte der Wind durch mein Haar. Wir befanden uns erneut in dem bunten Strudel aus Farben, der uns jenseits aller Naturgesetze weiter nach oben katapultierte.

Schon bald erkannte ich, wie sich eine Art Pforte über uns eröffnete. Gleißendes Licht fiel uns entgegen und ich musste blinzeln, um nicht gänzlich die Orientierung zu verlieren.

»Ist das der Ausgang?«, rief ich und meine Stimme schnitt durch das Stürmen des Windes. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, wie der Zeitgott sich schützend eine Hand vor das Gesicht hielt und dennoch das Grinsen auf seinen Lippen behielt.

»Ich schätze mal«, erwiderte der Gott und versuchte gar nicht erst die überschwängliche Freude in seinem Tonklang zu verstecken.

Ich wünschte mir, ich könnte ebenso beherzt lachen, doch je näher wir dem Ende kamen, desto mehr flammte die Sorge auf, die zuvor von Cyrians Magie in Zaum gehalten wurde. Erneut blitzten die schrecklichen Fantasien vor meinem inneren Auge auf, worauf ein beklemmendes Gefühl von mir Besitz ergriff.

Nervös biss ich mir auf die Unterlippe und nach gefühlten Ewigkeiten erreichten wir das Licht. Sanft strichen die Strahlen über meine Haut und verstärkten das Gefühl der Wärme. Erst, als wir vollends von dem Licht eingeschlossen waren, es uns ummantelte wie eine Decke, in die man sich Abends einkuschelte, verschwand das Gefühl und auch meine Verbindung mit Cyrian verlor deutlich an Kraft.

Nur wenige Sekunden später landeten meine Füße auf dem trockenen Waldboden, während unsere Landung Staub und Steine aufwirbelte. Eine kleine Wolke fegte über die Lichtung und kaum hatte ich begriffen, dass wir endlich entkommen waren, löste ich mich von Cyrian, ebenso wie das Band brach, das uns zuvor verbunden hatte.

Für einen kurzen Moment musterten meine Blicke die Umgebung, ganz so, als könnte es sich um eine Illusion handeln, doch es war genau die Stelle, bei der ich in den Abyss gefallen war. Tatsächlich befand sich hinter uns die Wand mit den seltsamen Symbolen, die Tirion entdeckt hatte und obwohl es alles echt war, schien mir die Begegnung mit dem Zeitgott immer noch wie ein Traum. Allerdings stand genau jener Zeitgott neben mir.

Mit großen Augen starrte der Silberhaarige in den Himmel, an dem eine Sonne emporkletterte und dabei den gesamten Himmel in den schönsten Farben erstrahlen ließ. Gelb wurde zu Orange und schließlich zu Rot, als würden tausende Rosenblätter den Himmel schmücken. Gebannt folgten seine Pupillen dem leuchtenden Ball im Zentrum des Farbenspiels und plötzlich schien seine Gestalt wie die eines Kindes, das erstmal die Wunder der Natur erblicken durfte. Verübeln konnte ich es ihm nicht.

»Wunderschön«, es war nur ein Hauch von Wörtern, der sanft in meine Richtung wehte und meine Wange kitzelte wie der Kuss eines Schmetterlings, doch ich war zu aufgeregt, um zu antworten.

Ich war wieder im Wald, also musste ich so schnell wie möglich zurück zum Dorf. Von einer Sekunde zur anderen erwachte die übermenschliche Stärke der Diavis in meinen Muskeln, bevor ich losstürmte. Erfüllt von Panik rannte ich in den Wald, während mit jedem weiteren Schritt die Steintafel mehr und mehr hinter den Bäumen verschwand.

Alles flog an mir vorbei und mein Mantel flatterte hinter mir her, dennoch war nur eins bedeutend: Meine Familie.

Tief in meinem Herzen flehte ich zum Göttervater, dass sie allesamt wohlauf waren, während der Gedanke, sie sterben zu sehen, mich zu Höchstleistungen beflügelte. Schweiß perlte von meiner Stirn und obwohl Cyrian die Wunde sauber geheilt hatte, vernahm ich mit jedem Schritt, wie sich meine Muskeln zusammenzogen. Ich merkte deutlich die Strapazen des letzten Kampfes. Mein gesamter Körper rief nach Schlaf, doch diesem Wunsch konnte ich nicht nachgehen. Die Rettung meiner Familie stand an erster Stelle. Alles andere war unwichtig.

»Pandora«, hörte ich es plötzlich hinter mir brüllen, »So warte doch!«

Als ich zur Seite schielte, erkannte ich Cyrian, der unter Leibeskräften neben mir herflog. Erst jetzt fiel mir auf, dass sein Körper seltsam durchsichtig war, wie die Gestalt eines Geisterwesens. Als ich genauer hinsah, konnte ich durch sogar durch ihn blicken.

Ich schüttelte den Kopf und beschleunigte mein Tempo nochmals: »Warum folgst du mir und was ist mit deinem Körper geschehen?«

»Nun«, setzte der Gott an und sammelte all seine Kräfte, bevor er wieder zu mir aufschloss, »Ich kenne den Weg nicht, außerdem will ich helfen. Immerhin bin ich dir etwas schuldig. Und ich bin so, weil die Magie, die ich durch unseren Vertrag, aufbauen konnte, durch die Flucht aufgebraucht ist. Ich brauche Zeit, um sie zu regenerieren, dann werde ich auch wieder normal.«

Zwar war ich nicht wirklich damit einverstanden, doch als Antwort gab ich ihm ein stummes Nicken. Zu mehr fehlte mir die Zeit, denn als erstes musste die Gefahr gebannt werden. Anschließend könnten wir noch immer disskutieren.

Inzwischen wusste ich nicht mehr, wie viele Meter ich schon überwunden hatte, aber als flüchtig ich aus den Augenwinkeln eine Markierung - eingeritzt in der Rinde eines Baumes - erkannte, verstand ich, dass es nicht mehr weit sein konnte. Ich legte nochmals an Geschwindigkeit zu, während das Blut in meinen Ohren dröhnte. Mein Herz raste in meiner Brust, bevor es zeitgleich mit einem ohrenbetäubender Knall einen Schlag aussetzte.

Ich zuckte zusammen, stoppte auf der Stelle und mit Schrecken in den Augen sah ich Flammen, die in den Himmel empor schlugen. Gigantische, nach Blut gierende Flammen.

Der fünfte GottWhere stories live. Discover now