Kapitel 13.1 - Letzte Tränen

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Letzte Tränen

Es war wirklich erstaunlich, was Cyrians Magie bewirkt hatte. Alles war so, wie ich es in Erinnerung hatte. Von unseren Häusern bis hin zum letzten Grashalm. Nichtmal ein winziger Blutfleck war zu finden, weswegen ich nicht anders konnte, als Respekt zu empfinden. Dass wir das Leben so schnell wieder auffassen konnten, hatten wir ihm zu verdanken. Unabhängig davon, dass er der Auslöser des Kampfes gewesen war, schuldeten wir ihm etwas.

Nachdem ich unzählige Male aufgehalten worden war und sich sämtliche Bewohner nach meinem Befinden erkundigt hatten, stieß mir der altbekannte Geruch von Kräutern entgegen, als ich die Tücher am Eingang der Höhle zur Seite strich und Galchas Heim betrat.

Auch sie hatte sich nicht im geringsten verändert. Noch immer waren sämtliche Regale mit Tränken und Mixturen gefüllt, deren Duft sanft meine Nase umtanzte, während Galcha an dem kleinen Tisch saß, der mit Tee und Gebäck ausgestattet war. Tatsächlich hatte sich der alte Troll Cyrian als Gesellschaft genommen, so kniete der silberhaarige Gott etwas nervös gegenüber von ihm und beantwortete jede Frage, die er stellte.

Überrascht beobachtete ich, wie Cyrian weiter gelöchert wurde. Völlig eingetaucht in ihre hitzige Diskussion, hatten sie nicht einmal mein Eintreten bemerkt. Stattdessen fiel eine Frage nach der anderen, während sich auf dem Gesicht des Trolls mehr und mehr Erstaunen ausbreitete. Wahrscheinlich sprachen sie über den zweiten Götterkrieg, denn es fielen immer wieder Wörter, die verdächtig danach klangen. Allerdings schien Cyrian dieses Verhör nur geringfügig Spaß zu machen, denn bei jedem weiteren Satz, den Galcha unverfroren von sich gab, verzog er den Mund. Der Wissensdurst hatte den Troll offensichtlich blind für seine Gefühle gemacht. Anders als ich, denn ich spürte sein Unbehagen deutlich.

Mit einem Seufzen schüttelte ich den Kopf, bevor ich mich räusperte und somit auf mich aufmerksam machte. Sofort richteten die beiden ihre Blicke auf mich und kaum waren die alten Gehirnzellen des Trolls wieder in Takt, erhob er sich. Mit einem breiten Grinsen und feuchten Augen steuerte auf mich zu und hob die Arme. Noch im selben Moment ging ich auf die Knie und schloss Galcha in eine Umarmung.

»Pandora«, flüsterte der Heiler beinahe ehrfürchtig, dennoch wirkte seine Stimme beruhigend auf mich. Es war erleichternd Galcha wohlauf zu sehen. Auch sein Tonfall ließ keine weiteren Wunden hören. Lediglich die kleinen, verlorenen Tränen, die über seine rauen Wangen liefen, waren ein Überbleibsel der Schlacht.

Kaum spürte ich den Troll in meinen Armen, schien auch die letzte Last von meinen Schultern zu gleiten. Voller Erleichterung konnte ich auch die letzte Träne nicht mehr halten, die mit ihrem Zerspringen diesem schrecklichen Abschnitt ein Ende setzte.

»Ich bin so froh, dass es dir gut geht. Wir hatten solche Angst, als Tirion wieder kam und vom Schatten erzählte«, sprach Galcha mit erdrückter Stimme, bevor er seine Lippen aufeinander presste und zu mir aufsah. Liebevoll, wie ein Vater, der sich um sein Kind sorgte, wischte er die Perle von meiner Wange, noch bevor sie zu Boden fiel.

»Und ihr seid ebenfalls wohl auf. Ich bin so froh«, antwortete ich und strich über Galchas Hand, um ihm zu zeigen, dass ich ebenfalls unversehrt war. Zurzeit gab es wichtigere Sorgen. Die Zukunft hielt etliche Hürden bereit.

Ein Lächeln erschien im Gesicht meines Gegenübers: »Du hast großes vollbracht. Ich bin stolz auf dich.«

Es erfüllte mich mit Zuversicht, diese Worte zu hören. Als wären sie die Bestätigung, dass alles gut wird. Es war einfach beruhigend.

Der fünfte GottWhere stories live. Discover now