Kapitel 14.2 - Die Stadt hinterm Horizont

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Die Wachen stellten sich als keine Bedrohung heraus. Nachdem wir ordentlich geprüft worden waren, konnten wir Kaikuono betreten und ein neuer Abschnitt unseres Abenteuers begann.

Augenblicklich fanden wir uns in unzähligen Menschenmassen wieder. Alte und junge Leute tummelten sich an den verschiedensten Ständen oder in den kleinen Nebengassen, die das Netz an Straßen und Wegen noch verzweigter machten. Wie das komplexe Netz an Adern zogen sie sich an den Häusern vorbei, verbanden Ort mit Ort.

In der Luft schwirrten allerlei Stimmen. Die lauten Rufe der Händler, vermischten sich mit den unzähligen Gesprächen und Wortfetzen, die der Wind mit sich zerrte und vereinzelt an mein Ohr dringen ließ. Unterschwellig ertönten Geräusche, wie das stetige Laufen der Menge oder das laute Scheppern von Bechern, die sich im Wirtshaus, nur eine Ecke weiter, füllten. Hinzu kamen die vielseitigen Gerüche, die uns noch eindringlicher umgaben, als die Vielzahl von Menschen. Ein paar davon, hatte ich schon lange nicht mehr vernommen, abgeschottet im Wald, wo lediglich morgens der Geruch von Tau, die vielzähligen der Tier- und Pflanzenwelt überdeckte. Darunter war Lavendel, der von einem kleinen Strauch ausging, mit tausenden von violetten Blüten. Die Blumen thronten neben einigen anderen ihrer Art, die sich jedoch grundlegend in Form und Farbe unterschieden. Dabei sonderte sie einen lieblichen Geruch ab, der meine Nase umtanzte, wie die muntere Melodie eines Vogels. Im Kontrast dazu stand der stechende Geruch von Alkohol, der beständig aus dem offenen Fenster einer Kneipe trieb. Im Inneren dieser herrschte eine ausgelassene Stimmung, trotz der Tageszeit.

Gähnend wandte ich mich von dem Geschehen ab und steuerte auf Cyrian und Avril zu, die nur wenige Meter vor mir im Zentrum des Marktes einen freien Platz gefunden hatten. Als ich sie zwischen den Leuten erkannte, bemerkte ich, dass sich Avril auf dem Rand eines Brunnens gesetzt hatte, während Cyrian abermals mit größter Mühe versuchte über die Köpfe der Menschen zu sehen, die sich vor ihm erstreckten, wie ein ungebändigtes Meer.

»Hast du Leon ein Guru geschickt, dass wir kommen?«, wandte ich mich der Rothaarigen zu und ließ den Gott getrost in seiner kindlichen Neugierde die Vielzahl an Ständen und deren exotischen Wahren begutachten.

Guru waren magische Nachrichten, die selbst von denjenigen geschickt und empfangen werden konnten, in deren Seele sonst keine Magie innewohnte. Die Entdeckung hatte einst ein genialer Magier, am Hofe des Palastes des Windgottes gemacht, doch mittlerweile war dieser Zauber über ganz Cytron verteilt. Er hatte unseren Alltag revolutioniert und schnelle Kommunikation über größere Distanzen möglich gemacht. Oftmals formte sich der Zauber in der Gestalt eines Vogels, die von Nachricht zu Nachricht und Anwender zu Anwender, unterschiedliche Gestalten erlangten. Charakteristisch sind jedoch die kleinen, runden Augen, die wie Kristalle erscheinen und die Präzision, mit der sie ihre Arbeit verrichten.

Avril antwortete mit einem leichten Nicken, während ihr Blick weiterhin auf die Vielzahl an Menschen lag. Zwanghaft versuchte sie die Umrisse ihres Mannes zu erkennen, was mich folgern ließ, dass wir uns hier verabredet hatten.

Auch meine Blicke folgten den ihren und suchten nach einer vertrauten Person, doch unter dem Gemenge erblickte ich niemanden, der Leon ähnlich war. Nach einer Weile ließ ich mich neben der Kriegerin nieder und obwohl Langeweile in mir aufstieg, hatte ich sowohl ein wachsames Auge für die Menge, als auch für Cyrian, der nur gezwungenermaßen nicht in der Masse verschwand.

Langsam und zähflüssig zog sich die Zeit daher und auch als zum Mittag hin der Platz leerer wurde, entdeckten wir die gesuchte Person nicht.

»Vielleicht ist er wieder nach Akelicis gegangen?«, warf Cyrian die Frage auf, bevor er beherzt in sein Brötchen biss, das mit einer gelben Soße und kleinen Fischstücken belegt war. Ich hatte es ihm erst kurz zuvor gekauft, zumal uns alle der Hunger quälte, zum anderen, weil ich ihm wenigstens den Luxus geben wollte, wo er so lange im Abyss eingesperrt gewesen war.

Der fünfte GottWhere stories live. Discover now