Kapitel 11.2 - Im Bann des Fluchs

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Der Schock fraß sich bis in das Erbgut meiner Zellen, während das Zittern immer präsenter wurde unter der bloßen Macht, die Cyrian zum Ausdruck brachte. Das, was er hier veranstaltet hatte, war kein Krieg, sondern reine Abschlachtung. Nicht der kleinste, erkennbare Fetzen war von den Feinden übriggeblieben. Nur ihr Blut umspülte den Boden, sickerte tief und verdarb jegliches Leben, das hier wieder hätte entstehen können. Gedärme und einzelne Knochensplitter lagen verteilt, vollendeten das grausame Bild, dessen Künstler der Teufel in Person sein musste, während sich der Anblick tief in meine Seele brannte. Wie etliche Narben ritzte es sich in meinen Schädel und ich war mir absolut sicher, dass nicht einmal das Schlachtfeld, auf dem ich meine Eltern verloren hatte, von derartiger Grausamkeit gezeichnet war.

»Jetzt sind wir ungestört«, flüsterte Cyrian und schenkte den gefallenen Soldaten nicht mehr als einen abfälligen Seitenblick. Noch immer schimmerte in seinen Augen blanker Wahnsinn, der von den Tränen, die unzählbar über meine Wangen liefen, stetig genährt wurde.

Meine schreckliche Situation hatte er mir mehr als deutlich gemacht. Ich wusste, es brauchte nur ein falsches Wort und er würde meine Existenz so einfach beenden, als könnte er mit einem einzigen Hieb meinen Lebensfaden kappen. Mit Sicherheit war der einzige Grund, dass er mich noch nicht getötet hatte, die Möglichkeit, dass er noch sowas wie Verwendung für mich fand, doch wie lange dies anhalten würde, stand nur in meinen tiefsten Albträumen geschrieben.

»Pandora!«, brüllte plötzlich eine tiefe Männerstimme aus dem Hintergrund. Lautstark und mit einem Ausdruck wahrer Besorgnis schallte sie über den Platz und sofort erkannte ich, dass es Diamird war. In Begleitung von Avril und einigen anderen Kriegern, standen sie in der Mitte des Schlachtfelds, geschunden und mit Blut übersät. Sie alle hatten tiefe Narben davon getragen im Zuge der etlichen Kämpfe, die in Akelicis getobt hatten.

Erneut zersprang mein Herz in Scherben, die unzählbar zu Boden fielen, als ich ihre Mienen erkannte. Sie spiegelten eine Flut der Trauer, Wut und des Schmerzes wider, als würde die Tatsache unseres Triumphs nicht existiert. Zwar hatten wir den Feind vernichtend geschlagen, doch dass es noch nicht vorbei war, spürten wir mit jeder Zelle unseres Körpers. Die Verluste, die wir davon getragen hatten, waren dabei weitere tausende Stiche in unsere Seelen, dessen Gemüter im endlosen Regen der Qual versanken.

»Geh weg von ihr!«, folgte Avrils Ruf. Aus voller Kehle und Wangen, die von immerwährenden Tränenströmen gezeichnet waren, stützte sie einen Krieger, dessen Tod nahte. Beinahe leblos hing er in ihren Armen, die Augen starr und einem Loch in der Brust, aus dem dunkelrotes Gewerbe blickte.

Nein, ich wollte nicht wissen, wie viele wir verloren hatten.

Kaum waren ihre Worte verklungen, richtete sich die Aufmerksamkeit des Silberhaarigen auf meine Familie und beinahe im selben Moment festigte sich sein Griff um meine Kehle. Er übte Druck aus, in Form eines stechenden Schmerzes, der mich nach Atem ringen ließ. Aus Reflex versuchte ich seinen Griff zu lösen, doch die Schwäche hatte meine Muskeln mit einem unsichtbaren Fluch belegt.

»Lass sie in Ruhe«, kämpfte ich atemlos hervor, während sich vor meinem geistigen Auge erneut das Szenario Cyrians gewaltiger Macht abspielte. Trotz des Angriffs der Soldaten hing das Leben meiner Familie noch nie so am seidenen Faden. Hauchdünn und zum Zerreißen gespannt, könnte uns ein einziger Angriff das Verderben bringen, das wir so sehr gefürchtet hatten.

Cyrian erwiderte mit einem erstickten Lachen: »Warum sollte ich das tun? Sie haben keinen Wert für mich.«

Der Mangel an Sauerstoff ließ schwarze Flecken vor meinen Augen tanzen, dennoch kämpfte ich weiterhin gegen die Ohnmacht. Auch, wenn meine Lage aussichtslos schien und die Chancen gegen den Zeitgott anzukommen gegen null liefen, musste ich ihn irgendwie von meiner Familie ablenken.

Der fünfte GottWhere stories live. Discover now