Kapitel 19.2 - Der Mond in dunkler Nacht

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Anscheinend war ich nicht lange bewusstlos gewesen, denn als ich die Augen wieder aufschlug, befand ich mich in einer Gasse, die sich von dem Platz absonderte.

Ich blinzelte ein paar mal, bevor ich mir meiner Umgebung bewusst wurde. Von hinten drückte der kalte Stein einer Hausmauer in meinen Rücken und als mein Blick von links nach rechts glitt, hinein in die Dunkelheit der Gasse, hin zu dem freien Platz, erkannte ich, dass Leiche des Tigers noch immer auf diesem lag. Sein Leben verloschen und der letzte Herzschlag lange verklungen, auf das einzig der Tod sein Dasein bestimmte.

In meinem Kopf begann es zu rattern, doch die starken Kopfschmerzen ließen es nicht zu, dass ich einen sinnvollen Gedanken fand. Es pulsierte unangenehm in meinem Schädel und erst nach einigen Sekunden, konnte ich mein Umfeld klar erkennen.

Augenblicklich erkannte ich Cyrian. Ich hatte ihn zuerst übersehen, denn seine Gestalt war noch schemenhafter, als bei unserem Ausbruch aus dem Abyss. Tränen hatten sich in seinen Augen gesammelt, ließen seine Iriden glänzen wie ein Meer von Sternen, die den dunklen Nachthimmel mit ihrer unendlichen Schönheit füllten. Sein Blick war von Sorge gezeichnet und obwohl er sein Limit längst überschritten hatte, heilte er mich weiter. Sanft umhüllte das silberne Licht seiner Magie meinen Brustkorb und ich spürte, wie sich eine wohlige Wärme in mir breit machte. Sie war nicht stark, trotzdem spürte ich ihre Anwesenheit. Meine gebrochenen Rippen fügten sich zusammen und der Riss, der meine Lunge durchzogen hatte, verschloss sich wieder, trotzdem verschwand der Schmerz nicht. Er blieb, ganz so, als wäre er ein Teil von mir.

»Cyrian...«, flüsterte ich, doch meine Stimme war nur ein schwacher Laut, der sich in der Dunkelheit der Nacht verlor. Fortgetragen, von dem eisigen Wind, der meine Haare schwach bewegte.

Ich versuchte meine Hand zu heben, um ihn davon abzuhalten noch mehr Magie zu verbrauchen, doch ich scheiterte bereits bei der kleinsten Bewegung. Sofort drang ein gequälter Laut aus meiner Kehle und mein Brustkorb erzitterte, während ich mit einem Würgereflex kämpfte.

Meine unkontrollierten Bewegungen zogen die Aufmerksamkeit des Gotts auf sich und seine Miene erhellte sich, kaum hatte erkannt, dass ich wieder bei Bewusstsein war.

»Pandora«, murmelte er, doch ob in seinen Worten die gewünschte Lösung lag, konnte ich nicht erahnen. Zwar war er froh, dass ich wieder bei Besinnung war, gleichzeitig konnte ich mich noch immer nicht bewegen. Es war wie ein Fluch, der über mir lag und selbst seine göttliche Magie abwerte. Ich schätzte, auch seine Rasse konnte nicht über alle Dinge befehligen. Genauso wenig, wie er den Tod einer Person abwenden könnte, wenn er unausweichlich geschrieben stand. Manche Dinge waren nun mal unvermeidlich, doch ich glaubte, dass Cyrian diese Erkenntnis nie gehabt hatte. Er glaubte fest, dass er dem Fluch nur unterlag, weil er zu schwach war. Weil er der schwächste aller Götter war.

Ich zwang meine Lippen zu einem Lächeln, um ihm zu zeigen, dass es mir gut ging. Er musste sich keine Sorgen machen und schon gar nicht noch mehr seiner wertvollen Magie verschwenden. Anderenfalls könnte ein derart unkontrollierter Verbrauch zu Schäden führen. Schäden, die schwerer wiegen würden, als ein erlösender Stich ins Herz.

Als der Silberhaarige meine kraftlose Stimme vernahm, entsprang die Quelle seiner Tränen erneut. Unkontrolliert und in unendlicher Vielzahl rannen sie über seine Wangen, bevor seine Hände nach den Meinen tasteten. Seine Berührung war so schwach wie der Flügelschlag eines Schmetterlings und genauso vergänglich wie das Rot der Abendsonne, trotzdem vernahm ich, wie sich eine wohlige Wärme auf mich übertrug. Gleichzeitig überkam mich ein seltsames Gefühl der Geborgenheit und endlich war es mir möglich durchzuatmen.

»Du lebst.« Seine Stimme war wie eine in sich zusammenbrechende Welle. Sie erhob sich, ließ einen nahezu aufbrausenden Ton erschallen, bevor sie absank und mit schwächelnder Stärke den Boden berührte. Noch immer erschienen seine Berührungen voller Sorge, doch nach einem weiteren aufmunternden Lächeln, schlang er seine Arme vorsichtig um meinem Hals. Sofort schmückte ein herzzerreißendes Schluchzen den Moment und selbst nachdem ich es geschafft hatte, seine Umarmung zu erwidern, verklag der Ausdruck seiner Erleichterung nicht. Es waren zwar nur wenige Minuten, trotzdem waren sie mit einer Vielzahl an Emotionen gefüllt, deren Anwesenheit zu hoch war, um sie in einer klaren Summe zu benennen. Sie regierten und bestimmten den Moment, ließen selbst einen Gott nach ihrer Pfeife tanzen, trotzdem bewegte ihre Grausamkeit unserer beider Herzen.

Der fünfte GottWhere stories live. Discover now