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Schweigend beobachte ich die vorbeiziehenden Bäume, die von der Sonne am Himmel erhellt werden. Gleichzeitig versuche ich die Spannung in mir unter Kontrolle zu halten und mich innerlich auf alles vorzubereiten. Heute ist es sogar so schlimm, dass ich seit heute morgen heftige Kopfschmerzen habe. Wie schnell die Gefühle den Körper doch beeinflussen können.
Ich drehe meinen Kopf wieder in Bellas Richtung. Sie schenkt mir jedoch keinerlei Aufmerksamkeit und ist mit ihrem Handy beschäftigt. Katrin hat mich beim Abholen schon vor ihrer schlechten Laune gewarnt. Sie hätte überhaupt keine Lust auf Nachhilfe und wolle nicht mit mir sprechen. Ich weiß jedoch, dass dies nicht lange anhalten wird.
"Hast du schon zu Mittag gegessen?", frage ich sie, was sie mit einem desinteressierten Nicken bejaht. Seitdem wir hier im Taxi sitzen, hat sie noch kein richtiges Wort mit mir gewechselt. Ich schiebe das alles mal auf die beginnende Pubertät bei ihr.
"Keine Sorge. Wir sind schon bald da", meine ich, was sie unkommentiert lässt.
Die schlechte Laune bleibt also weiterhin bestehen. Gut, dann nutze ich mal meine Geheimwaffe, mit der ich ihre Laune verbessern werde.
"Bella, kannst du gut Geheimnisse für dich behalten?"
"Warum?", gibt sie gelangweilt von sich, ohne ihre Aufmerksamkeit von ihrem Handy zu nehmen.
"Weil ich dir etwas sagen werde, was du für dich behalten musst. Es ist eine Überraschung und damit sie auch langfristig anhalten kann, musst du mitmachen und niemandem davon erzählen. Vor allem nicht deinem Vater. Kannst du mir das versprechen?"
Nun dreht sie ihren Kopf interessiert zu mir.
"Was für eine Überraschung?"
"Erst musst du es mir versprechen..", erwidere ich grinsend. "..Aber es wird dich sehr glücklich machen. Darauf kannst du dich verlassen. Vertrau mir."
"Ich werde nichts sagen. Versprochen..", entgegnet sie gespannt. "..Also? Was für eine Überraschung?"
"Vermisst du deinen Bruder?", frage ich sie, woraufhin sie mich einige Sekunden schweigend und verwirrt zugleich betrachtet.

"Ja, sehr sogar, aber warum fragst du? Und woher weißt du von meinem Bruder Bescheid?"
"Nun ja, Bella.. Sagen wir mal so.. Dein Bruder und ich sind alte Freunde. Zudem wirst du ihn in ein paar Minuten sehen können", antworte ich lächelnd, woraufhin ihre Augen sich weiten, während sie mich sprachlos ansieht.
"Du.. Du lügst doch, oder? Das ist überhaupt nicht lustig. Falls dieser Mann mich für mein Verhalten wieder bestrafen will, dann soll er wissen, dass er mich nicht auf Kosten meines Bruders nerven soll", gibt sie mit zitternder Stimme von sich, während ihre rehbraunen Augen sich mit Tränen füllen.
Mein Herz leidet, als ich den Schmerz in ihrer Stimme dabei höre. Sie hat mindestens genauso gelitten wie Danny.
Ich lege meine Hand auf ihre und schüttle lächelnd den Kopf.
"Es ist die Wahrheit, Bella. Danny hat dich all die Zeit gesucht und ich wollte ihm diesen Wunsch erfüllen. Er weiß nichts davon, also wird es ihn auch ziemlich überraschen. Dein Bruder wartet schon auf dich."
Mit großen Augen sieht sie mich an, während ihr eine Träne schließlich über die Wange kullert und sie vor Freude zu schluchzen beginnt. Bevor ich etwas sagen kann, fällt sie mir glücklich um den Hals.
"Danke, Grace. Ich freue mich so. So lange habe ich darauf gewartet", schluchzt sie erfreut, was mir ein großes Lächeln auf die Lippen zaubert. Nachdem sie sich von mir trennt, wischt sie ihre Tränen weg und kann sich ihr Grinsen nicht abstellen.
"Wann sind wir denn da? Dauert es noch lange?", fragt sie mich ungeduldig, was mich zum kichern bringt.
"Ungefähr zehn Minuten noch..", antworte ich und packe mein Handy aus der Tasche.
"..Ich frage mal Alex, ob Danny immer noch bei ihm ist. Er weiß von alldem schon Bescheid und wollte ihn ablenken. Gehen wir aber lieber auf Nummer sicher und vergewissern uns mal, dass alles noch okay ist."
Sie nickt nervös und gespannt, während ich seine Nummer wähle.
Nach einigen Sekunden nimmt er auch schon ab.

"Alex? Grace, hier. Ist alles noch okay? Wir sind in circa zehn Minuten da."
"Ja, alles wie immer. Danny ist gerade im Bad. Ich werde nicht zulassen, dass er das Haus verlässt. Keine Sorge. Ist Bella auch wirklich bei dir?"
"Ja, sie ist hier und kann es schon kaum abwarten..", antworte ich lächelnd, während Bella und ich erfreute Blicke austauschen. "..Wir sehen uns dann in circa zehn Minuten. Bis gleich."
"Ich kann es auch kaum abwarten. Bis gleich", meint er erfreut und legt auf.
Ich packe mein Handy wieder in meine Tasche.
"Grace?.."
Fragend richte ich meine Blicke auf Bella.
"..Hat Danny mich überhaupt wirklich gesucht? Ich meine, wenn er mich gesucht hat.. Warum konnte er mich bis heute nicht finden? So schwer kann das doch nicht sein, oder?"
Traurig senkt sie ihre Blicke auf ihre Hände, die ihr Handy umfassen.
"Es gab keine Sekunde, in der er es nicht getan hat..", antworte ich in einem ruhigen Ton. Sie hebt ihren Kopf und starrt mich gespannt an. "..Seitdem deine Mom dich mitgenommen hat und gegangen ist, hat er alles versucht, um dich finden zu können. Vor allem, nachdem ihr dann einfach umgezogen seid. Er hat wirklich alles versucht. War so oft bei der Polizei, doch es hat nichts gebracht. Dein Dad hat ihm alle Wege blockiert, doch Danny hat bis heute nicht aufgegeben. Du bist und warst schon immer sein größtes Ziel."
Ein erleichtertes Lächeln bildet sich auf ihren schmalen Lippen, welches jedoch nicht lange anhält.
"Deshalb hasse ich diesen Mann. Schon seit meiner Kindheit redet er nur schlecht über Danny und Dad und verletzt damit auch oft Mom."
Trauer spiegelt sich in ihren rehbraunen Augen wieder, während sie mich nicht mehr ansehen kann.
"Kopf hoch, Bella..", rede ich aufmunternd zu. "..Alles im Leben hat einen Sinn. Halte deine Laune also immer aufrecht. Außerdem wirst du gleich deinen Bruder sehen. Willst du ihn etwa mit einer schlechten Laune begrüßen?"
Bei dem Wort 'Bruder' leuchten sofort wieder ihre Augen und sie schüttelt den Kopf. Ein breites Grinsen verziert wieder ihr Gesicht.
"Genau so geht das. Danny will dein Lächeln sehen..", meine ich stolz, als das Taxi auch schon in Alex Straße abbiegt und vor seiner Tür hält.
"..Und da sind wir."
Während Bella gespannt aus dem Fenster schaut, bezahle ich und schließlich steigen wir aus. Erfreut nehme ich sie an der Hand und führe sie. Ich schließe die Außentür mit dem Schlüssel, den Alex mir planmäßig zukommen lassen hat, um das Klingeln zu vermeiden, auf und wir laufen die Treppen nach oben, bis wir schließlich vor der Wohnungstür stehen.
"Grace?..", höre ich sie leise sagen und werfe ihr einen fragenden Blick zu.
"..Ich habe Angst. Was wenn er sich nicht freuen wird? Was wenn er mich gar nicht vermisst hat? Vielleicht ist er sogar sauer auf mich, weil dieser Mann mein Vater ist?"
Nervös spielt sie mit ihren hellbraunen Haarsträhnen ihres langes Zopfes und die Verzweiflung ist ihr dabei regelrecht ins Gesicht geschrieben.

StrangerWhere stories live. Discover now