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Auf dem großen Sofa im Wohnzimmer warte ich nun geduldig auf Danny, der sich noch schnell etwas anziehen wollte. Nervosität umgibt meinen gesamten Körper, doch ich versuche diese bemüht unter Kontrolle zu halten. Um auf andere Gedanken zu kommen, sehe ich mich neugierig um. Es hat sich nicht viel verändert, seit ich das letzte mal hier war. Neben dem Fernseher steht nun ein Regal, der vorher nicht da war und auf dem hat wiederum ein Bilderrahmen Platz gefunden, auf dem man Danny im Alter von dreizehn mit der vierjährigen Bella in seinen Armen sieht, die so viele Ähnlichkeiten zu ihrem großen Bruder hat. Sie hat ebenfalls seine rehbraunen Augen, aber im Gegensatz zu Dannys dunkler Mähne, sind ihre kurzen Haare hellbraun. Auf dem Bild sind diese zu zwei Zöpfen zusammengebunden, was sie umso niedlicher aussehen lässt. Beide tragen ein breites Lächeln auf den Lippen und sehen überaus glücklich aus. Das Bild weckt zwar Freude in mir, aber dennoch macht sie mich auch irgendwie traurig zugleich. Zudem weiß ich auch nicht mehr, was ich überhaupt machen soll. Für sein Glück würde ich alles tun, aber Bella ist seine Schwester und wer bin ich denn, um ihm von der Suche abzuraten, oder?

Durch das Öffnen der Tür werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Danny betritt mit zwei Tassen den Raum, die er dann auf dem Tisch vor uns abstellt. Mit einem kleinen Lächeln bedanke ich mich und er nimmt neben mir Platz.
"Wie geht es dir?", fragt er mich in einem ruhigen Ton.
"Besser. Mach dir um mich keine Sorgen..", antworte ich lächelnd. "..Und tut mir Leid nochmal. Ich wollte dich nicht aus deinem Schlaf wecken."
"Schon gut. Habe eh genug geschlafen." Er nimmt einen Schluck aus seiner Tasse, während ich ihn dabei zögernd beobachte. Nicht sicher, ob ich das Thema überhaupt erwähnen soll oder wie ich das machen kann. Auch er scheint meine Blicke zu bemerken und richtet seine rehbraunen Augen fragend auf mich.
"Was bedrückt dich?"
"N..Nichts. Was sollte mich denn bedrücken?", antworte ich verunsichert und mir ist bewusst, dass dies nicht mal annähernd glaubhaft klingt. Vor allem nicht, wenn derjenige vor mir gerade Danny ist, der mich wie ein offenes Buch lesen kann.
"Worüber willst du mit mir so plötzlich sprechen? Ist etwas passiert?"
"Nein, das nicht. Ich wollte nur.. nun ja.. sehen, was du so machst", murmle ich leise und meide seine Augen, die mich nun noch verwirrter betrachten. Warum kann jeder gut lügen, außer ich?
"Du wolltest sehen, was ich mache? Obwohl wir uns erst vor ein paar Stunden noch gesehen haben? Grace, wenn du schon lügst, dann bitte auch etwas glaubwürdiger.."
Zögernd drehe ich meinen Kopf zu ihm, während er weiterhin seine Blicke nicht von mir nimmt. "..Was ist der wahre Grund? Nun sag schon."
Früher oder später muss ich es ihm eh sagen, also je schneller, desto besser. Mutig fasse ich meinen ganzen Mut zusammen.
"Habt ihr den Koffer schon diesen Typen gegeben?"
Sein Gesicht zeigt mir direkt deutlich seine Abneigung gegenüber diesem Thema. Ohne zu antworten, widmet er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Tasse und versucht damit meine Frage zu überhören. Die Rechnung macht er da aber nicht mit mir.
"Ich weiß, du magst dieses Thema nicht und willst, dass ich mich da raushalte, aber ich kann nicht anders. Nach all den Jahren bist du wieder hier bei mir und ich habe Angst davor, dich noch einmal verlieren zu müssen, Danny. Den Verlust einer weiteren Person kann ich nicht ertragen. Bitte rede mit mir", füge ich hoffnungsvoll hinzu, woraufhin er seinen Kopf wieder zu mir dreht.

"Warum tust du das? Ich habe dir ein Versprechen gegeben, also lebe doch einfach damit. Bringe dich nicht in Gefahr, Grace."
"Ich soll mich nicht in Gefahr bringen, während du dein Leben aufs Spiel setzt? Wie kannst du so etwas von mir verlangen?..", erwidere ich in einem ruhigen Ton und unterdrücke die Tränen, die sich wieder bemerkbar machen. Meine Worte scheinen ihn zum Nachdenken zu bringen, doch sein Stolz steht ihm deutlich im Weg.
"..Bitte Danny. Ich will doch nur wissen, was in deinem Leben passiert. Mehr nicht."
Nach einer kurzen Stille gibt er schließlich nach.
"Nein, haben wir noch nicht. Das Treffen ist morgen Abend erst."
"Und was passiert, nachdem ihr den Koffer ihnen gegeben habt? Wie kannst du dir sicher gehen, dass er dich zu Bella führen wird?", frage ich ihn mit großen Augen.
"Sie bekommen den Koffer erst, wenn sie sich an ihr Wort halten. Die anderen müssen ihr Geld bekommen und ich zu Bella gelangen. Erst dann, gibt es den Koffer. Morgen Abend werden wir uns treffen und sie werden das Geld mitbringen für Stephen und die anderen. Danach führen sie uns zu Hansons Wohnort und bekommen den Koffer auch dort. Der Plan steht und niemand wird ihn ändern."
"Hanson hasst Danny und wird regelrecht bewusst dazu tendieren, seine Wut zu steigern und ihn dadurch bloß zu stellen vor seiner geliebten Schwester. Er wird alles dafür tun, dass er ein Monster in ihren Augen wird, da er den Kontakt seiner Tochter mit ihm nicht will und er wird es auch schaffen. Dieser Kerl kriegt immer, was er will. Wenn Bella ihn dann schließlich auch noch ablehnen sollte, wird Danny zerbrechen."
Mit den Worten von Stephen in meinen Ohren, senke ich meine Blicke auf die Tasse in meinen Händen. Verzweiflung umhüllt mich, ohne zu wissen, wie ich es dämpfen kann. Noch nie habe ich dieses Gefühl vorher gespürt. Jemanden zu lieben und ihn mit allem schützen zu wollen, doch nicht in der Lage sein, diesen Zustand überhaupt zu erreichen. Diese extremen Verlustängste bringen mich noch um. Wer weiß, vielleicht habe ich durch meine Erfahrungen auch eine krankhafte Phobie dagegen entwickelt.
"Was hast du?", fragt er mich plötzlich und im Augenwinkel entgeht mir nicht, dass er mich zu beobachten scheint.
"Ich habe Angst, Danny. Angst vor dem, was noch kommen wird. Sagen wir mal, dass du Bella gefunden hast, doch was ist mit Hanson?"
"Was soll mit ihm sein?"
"Kannst du es wirklich ertragen, ihn mit deiner Mutter zu sehen? Ihren neuen Lebensstil akzeptieren und dabei verkraften, dass sie dein Leben kaputt gemacht hat? Ruhe bewahren, obwohl Hanson dich eventuell extrem provozieren wird? Es verkraften, dass Bella einen anderen Mann als Vater betitelt und nicht mehr mit dir leben wird? Kannst du das, Danny? Kannst du deine Wut kontrollieren? Sei bitte ehrlich", gebe ich mutig von mir und drehe mich zu ihm. Er jedoch meidet meine Augen und sagt nichts dazu, was die Zweifel in mir steigen lässt. Statt mir eine Antwort zu liefern, steht er auf und will sich mal wieder davor drücken. Bevor er den Raum verlassen kann, packe ich ihn aber am Arm, sodass er mit dem Rücken zu mir steht.
"Rede mit mir, Danny. Ich bitte dich."
"Was willst du von mir hören?! Eine Lüge, um deine Zweifel zu senken oder doch eher die Wahrheit?..", seufzt er zornig, befreit sich aus meinem Griff und dreht sich um. Seine rehbraunen Augen funkeln vor Wut. "..Ich kann es nicht ertragen, verstehst du?! In mir tobt schon alleine bei dem Gedanken daran ein großer Sturm. Dieser Mistkerl und diese Frau, die sich meine Mutter nennt, können mir am liebsten fernbleiben. Ich werde es nicht ertragen können, wenn Bella diesen Typen Vater nennt und mir ist bewusst, dass dieses Treffen mich an meine Grenzen führen wird. Das weiß ich, aber trotzdem hält mich niemand davon ab! All die Zeit habe ich auf den Tag gewartet. Und auch wenn ich sie am Ende nur von Weitem sehen kann, wäre ich schon zufrieden damit. Hauptsache ich sehe, dass es ihr gut geht. Mehr will ich nicht. Ich werde alles runterschlucken, wenn Bella damit glücklich ist. Deshalb würde ich alles für dieses Treffen geben. Also was willst du von mir hören, Grace?!"

StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt