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Am nächsten Tag schleppe ich mich bemüht in die Universität und besuche alle notwendigen Vorlesungen, da ich eh noch so viel nachholen muss und es mir nicht leisten kann, dass sich da noch einiges ansammelt. Nach dem Ende der ersten Vorlesung, packe ich dann all meine Sachen ein, während Sara ihre morgendlichen Gespräche mit mir führt. Schließlich kommt sie auf ein bestimmtes Thema zurück.
"Warum hat Danny dich eigentlich gestern so böse angeguckt? Ist zwischen euch irgendwas vorgefallen?", fragt sie mich neugierig und richtet ihre blauen Augen auf mich.
"Ich habe sein Vertrauen missbraucht, indem ich ihn gestern ins Krankenhaus gebracht habe."
"Wie? Ich verstehe nicht ganz."
"Er wollte nicht ins Krankenhaus und hat mir vertraut. Doch ich habe dennoch den Notruf gewählt, da mir sein Leben nicht egal ist", antworte ich ernst und mache meine Tasche zu.
Völlig verwirrt beobachtet sie mich dabei.
"Du hast aber sein Leben gerettet. Er sollte doch glücklich sein..-"
"Ist er aber nicht. Anscheinend ist ihm sein Leben scheiß egal, aber mir? Mir nicht und ich würde es auch immer wieder tun", erwidere ich ernst, woraufhin sie erstmal nichts sagen kann. Schließlich richtet sie ihre Blicke auf mich.
"Warum?"
"Warum?", frage ich sie verwirrt. Ihre ernste Miene kann ich dabei nicht übersehen.
"Warum Danny? Warum liebst du gerade ihn so sehr? Er hat dich damals einfach so verlassen, behandelt dich jetzt wie ein Stück Dreck und ist angepisst, weil du sein Leben gerettet hast. Ich verstehe es einfach nicht. Warum sind dir all diese Dinge egal? Warum hängst du noch so sehr an diesem Jungen, wenn er das nicht zu schätzen weiß?"
"Weil ich bei ihm atmen kann. Bevor ich mich selber kennenlernen konnte, trat er damals in mein Leben. Wir sind zusammen aufgewachsen, Sara. Und vor allem.." Ich halte inne und suche nach den richtigen Worten, um die Gefühle in meinem Inneren erklären zu können. Sara beobachtet mich derweil ungeduldig.
"Vor allem?"
"..Vor allem sehe ich ihn als Familie, da er von klein auf an meiner Seite war." Ich richte meine Blicke nachdenklich auf den Boden.
"Er ist aber nicht deine Familie, Grace..", gibt Sara schließlich ernst von sich. Geschockt schaue ich sie an. "..Er ist unser Kindheitsfreund und wir lieben ihn alle. Doch wenn dich dieser Freund so fertig macht, solltest du auch mal Grenzen ziehen."
"Ich kenne meine Grenzen und weiß auch, wann ich sie ziehen muss. Du sprichst hier nicht mit einem kleinen Mädchen, Sara", erwidere ich in einem ruhigen Ton.
"Wollte ja nur helfen. Anscheinend brauchst du aber keinen Rat von deiner besten Freundin."
Mit diesen Worten packt sie ihre Tasche und steht schließlich auf.
"So habe ich das nicht gemeint. Das weißt du doch."
"Ist gut, Grace. Auf eine Zickerei habe ich gerade echt keinen Bock. Wir sehen uns morgen wieder."
"Wohin? Willst du nicht noch in die nächste Vorlesung?", frage ich sie verwirrt.
"Nein, ich habe starke Kopfschmerzen und möchte mich lieber mal daheim ausruhen. Bis dann." Sie nimmt ihre Tasche und verlässt den Saal. Seufzend lasse ich mich auf meinen Stuhl fallen. Sie hat meine Worte komplett falsch aufgenommen. So habe ich das nicht gemeint und das sollte sie wirklich wissen.
Zickerei? Habe ich sie in letzter Zeit wirklich angezickt, ohne es zu bemerken?
Diese Frage quält mich und ich weiß, dass ich definitiv mal mit ihr sprechen muss. Nicht nur über das heute, sondern auch über den Zustand allgemein. Irgendwas hegt sie in letzter Zeit gegen mich und ich verstehe nicht was. Vielleicht habe ich sie unbemerkt verletzt mit meinen Worten? Zwar wüsste ich nicht wann, aber dennoch habe ich keine Lust auf unnötigen Stress. Je schneller das geklärt ist, desto besser. Zudem muss ich auch noch mit Danny sprechen, damit alles wieder 'gut' zwischen uns wird. Eigentlich haben wir heute morgen abgemacht, dass wir ihn nach der Universität zusammen besuchen wollen, doch Alex musste seine Schicht wechseln und Sara wollte ihr Projekt vorbereiten. Deshalb werde ich das wohl alleine machen müssen. Das wird noch ein sehr langer und anstrengender Tag werden.

Nach der letzten Vorlesung packe ich meine Sachen zusammen und begebe mich auf den Weg ins Krankenhaus, um das Problem zwischen uns zu klären. Dort angekommen, laufe ich durch den Flur und sehe schon die Tür zu seinem Zimmer, die auch in dem Moment geöffnet wird. Die Person, die dann vor mir steht, hätte ich hier definitiv nicht erwartet.
"Sara?!"
Sie steht ebenfalls geschockt vor mir und schaut mich mit großen Augen sprachlos an.
"Was machst du denn hier? Du hast doch gesagt, dass du an einem wichtigen Projekt arbeiten musst und nicht kannst."
"J..Ja, muss ich auch noch. Ich habe mir aber die Zeit genommen, um unseren alten Kindheitsfreund doch zu besuchen. Ist das schlimm?"
"Nein, natürlich nicht. Bin nur überrascht. Warum hast du mir nicht Bescheid gegeben? Wir hätten doch zusammen kommen können." Fragend richte ich meine Blicke auf sie. Sie streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und ich könnte schwören, dass sie die Augen dabei verdreht hat.
"Es war eine kurzfristige Meinungsänderung und sowieso kann ich heute nicht lange hier sein. Deshalb habe ich nichts gesagt", antwortet sie ernst.
"Achso, schade. Nächstes mal dann vielleicht. Wie geht es ihm?", frage ich sie neugierig, um das Thema und die unangenehme Atmosphäre zwischen uns zu ändern. Ich weiß wirklich nicht, was sie gebissen hat. Ihr komisches Verhalten kann ich mir einfach nicht erklären.
"Besser. Der Arzt hat sogar gemeint, dass mein Besuch ihm gut getan hätte", antwortet sie und grinst. Das 'Mein' betont sie, warum auch immer, dabei sehr stark. Länger kann ich mir das echt nicht mehr geben.
"Sara, was ist dein Problem? In letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass du irgendwas gegen mich hast. Habe ich etwas gesagt oder getan, was dir nicht gepasst hat? Wenn, dann sag es mir, damit wir das aus dem Weg räumen können. Ich habe keinen Nerv für unnötige Konfrontationen am Ende, verstehst du?"
Diese Worte waren ehrlich und direkt. Das ist mir klar, doch so bin ich nun mal. Lieber direkt ins Gesicht, statt hinter dem Rücken zu labern.
"Was sollte ich denn gegen dich haben, Grace? Wie kommst du darauf?"
"Die Art, wie du mit mir sprichst und deine Blicke habe ich nicht übersehen. Ich bin nicht blind, Sara", erwidere ich ernst und verschränke die Arme.
"Gut, ich bin ehrlich mit dir. Deine Art regt mich in letzter Zeit ziemlich auf. Du drängst dich überall in den Vordergrund und tust so, als wärst du die Einzige auf dieser Welt, die Probleme hat. Ich kann das nicht haben. Die Welt dreht sich nicht nur um dich, Grace. Ich habe auch Probleme, aber dränge ich mich in den Vordergrund? Nein! Ich kann das wirklich nicht haben und du solltest damit aufhören. Das habe ich auch Alex erzählt, doch er hat dich in Schutz genommen." Abwertend funkelt sie mich wütend an, während ich sie mit großen Augen geschockt anschaue. Diese Worte von meiner besten Freundin zu hören, tut wirklich sehr weh.
"In den Vordergrund drängen? Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, Sara..-"
"Hör auf damit! Dein ständiges Geheule? Die Art, wie du immer versuchst Dannys Aufmerksamkeit nur für dich zu haben? Er ist auch unser Freund, Grace", erwidert sie zornig und funkelt mich wütend an.
"Was redest du da?! Das habe ich nie versucht..-", gebe ich geschockt von mir, doch sie unterbricht mich erneut.
"Ich weiß, was ich sehe. Du brauchst mir jetzt nicht mit Ausreden kommen. Zwar mag dich Alex in Schutz nehmen, doch das ist mir egal. Ich habe dein Geheule satt. Wie kann man denn ständig einen auf Dramaqueen machen?"
Abwertend betrachtet sie mich, während ich sprachlos vor ihr stehe und nicht weiß, wie ich reagieren soll. Wenn man von der Person, die man als beste Freundin betitelt, so etwas zu hören bekommt, reißt es einem wirklich den Boden unter den Füßen weg. Man ist geschockt, verletzt und sprachlos zugleich. Vor allem aber enttäuscht. Meinen Zustand scheint sie aber zu ihrem Zweck zu nutzen. Ein Grinsen bildet sich auf ihren Lippen, während sie ihre Arme verschränkt.
"Willst du jetzt wieder heulen? Wann hast du denn angefangen, bei jedem Scheiß auf die Tränendrüse zu drücken? So kenne ich dich gar nicht. Wahrscheinlich ist das wieder eine Methode, um Aufmerksamkeit zu bekommen..-"
"Es reicht, Sara! Ich bin still und halte mich zurück, um eine Diskussion zu vermeiden. Wir sollten wieder reden, wenn wir uns beruhigt haben", erwidere ich ernst, doch sie scheint davon nicht überzeugt zu sein.
"Nein, wir sollten das jetzt klären. Hast wohl keine Argumente, um dich zu retten, oder? Dein Verhalten kannst du dir anscheinend auch nicht erklären."
"Wir sind in einem Krankenhaus. Das ist nicht der richtige Ort für eine Diskussion, Sara. Hier sind kranke Menschen, die Ruhe brauchen. Beruhige dich jetzt mal und lass uns ein anderes mal darüber sprechen. Für mich ist die Diskussion damit beendet." Ich will an ihr vorbeilaufen, doch sie packt mich am Arm.
"Stimmt, du weißt ja alles besser. Jetzt bist du wieder die Liebe und ich die Böse", zischt sie wütend.
Ich seufze nur genervt und sage nichts, da dies wirklich nicht der Ort dafür ist. Zudem nimmt sie im Moment eh jedes Wort von mir falsch auf. Viel wird es demnach nicht bringen. Ich hoffe innerlich, dass sie nun aufgibt, doch das tut sie nicht. Denn genau in dem Moment knallt sie mir eine Aussage an den Kopf, welche ich niemals von jemandem erwartet hätte.
"Vielleicht bist du so, weil du nicht richtig erzogen wurdest. Dein Dad war eh nie da und deine Mom krank. Deshalb versuchst du das nachzuholen und die Aufmerksamkeit von anderen zu bekommen..-" Weiter lasse ich sie nicht reden, denn in dem Moment packt mich die Wut und ich gebe ihr eine Ohrfeige. Tränen rollen mir über die Wange, während ich sie wütend anschaue.
"Verschwinde..", zische ich wütend, während sie mich geschockt und mit einer Hand an ihrer Wange betrachtet.
"..Ich sagte, verschwinde!" Dies lässt sie sich nicht zweimal sagen. Wütend funkelt sie mich an, bis sie dann geht. Ihre lauten Schritten werden allmählich leiser, bis sie dann verschwinden. Vor Wut atme ich laut ein und aus, um mich zu beruhigen. Während weitere Tränen ihren Weg über meine Wangen finden, schaue ich mir meine zitternde Hand an, mit der ich eben Sara geschlagen habe.
"Scheiße", zische ich leise und balle meine Hände zu Fäusten. Sowas ist mir noch nie zuvor passiert. Ich habe nach diesen Worten meine Kontrolle verloren und es passierte alles ganz plötzlich.
"Okay, ich muss mich sofort beruhigen", gebe ich leise von mir und wische mir meine Tränen weg. Danach atme ich tief ein und aus und drehe mich Richtung Tür. Mein Atem stockt als ich Danny vor mir sehe, der sich an den Türrahmen gelehnt hat und mich beobachtet. Wie lange er da schon steht und was er alles mitbekommen hat, will ich erst gar nicht wissen.
"Ich habe gerade alles verkackt, oder?", murmle ich leise.
"Das hast du in der Tat", meint er ernst und nimmt seine Blicke dabei nicht von mir. Er hat Recht. Das habe ich wirklich und ich habe keine Ahnung, wie man diese Aktion jemals wieder rückgängig oder gut machen kann. Ich meide seine kalten Blicke und weiß nicht, was ich noch sagen soll. In letzter Zeit findet mich ein Problem nach dem anderen.
"Was willst du hier?", fragt er mich plötzlich und ich hebe wieder erstaunt meinen Blick.
"Ich wollte gucken, wie es dir geht..-"
"Noch bin ich am Leben wie du siehst. Noch was?" Provozierende Blicke wirft er mir dabei zu und mir ist klar, dass er immer noch wütend auf mich ist.
"Warum tust du das?..", frage ich ihn und schaue ihn ernst an. "..Ich weiß, dass du sauer auf mich bist. In deinen Augen habe ich falsch gehandelt und dich hierher gebracht. Schön und gut. Aber kannst du dich bitte auch nur für eine Sekunde in meine Lage versetzen? Du lagst da bewusstlos auf dem Boden. Ein blaues Auge, eine Platzwunde an der Lippe und dein T-Shirt blutrot gefärbt. Ich konnte bei dem Anblick nicht mehr klar denken. Ich hatte solche Angst, verstehst du? Natürlich war mir bewusst, dass du mich dafür hassen wirst, doch mir blieb nichts anderes übrig als den Notruf zu wählen. Es kann sein, dass dir dein Leben scheiß egal ist, doch mir nicht. Wir sind Freunde, Danny! Und das Leben eines Freundes in Gefahr zu setzen, ist das Letzte, was ich tun kann. Tut mir Leid, doch ich habe ein Herz und ein Gewissen, mit dem ich dann nicht mehr leben könnte. Du kannst mich hassen und verachten wie du willst, denn solange es dir gut geht, bin ich glücklich." Mit diesen Worten gehe ich und verlasse das Krankenhaus. Ich bin wütend und enttäuscht. Erst Sara, dann auch noch Danny. Wer kommt heute denn noch? Alex?
Eine ganze Weile verbringe ich meine Zeit in einem Café, bis ich schließlich mich auf den Weg zum Friedhof mache, um meine Mutter zu besuchen. Nach der Beerdigung habe ich den Friedhof nicht mehr betreten. Ich konnte einfach nicht, da ich innerlich ihren Tod bislang immer noch nicht akzeptiert habe. Da ist immer dieses Fünkchen Hoffnung in mir, dass ich doch plötzlich einen Anruf von Silvia bekomme, die mir sagt, dass meine Mutter auf mich wartet. Wahrscheinlich gewöhne ich mich irgendwann daran?
Bei meinem Vater habe ich den Tod nicht genau verstanden, da ich noch so jung war. Heute kann ich mich nicht einmal an die Zeit mit ihm erinnern. Nur die Bilder von ihm zeigen mir, wie glücklich wir damals mit ihm waren. Bei meiner Mom ist das jedoch nochmal was ganz anderes. Sie war immer an meiner Seite und meine Familie. Bis zu diesem Alter hat sie mich erzogen und das trotz ihrer Krankheit, die ihr das Ganze erschwert hat. Ihren Tod kann ich einfach nicht akzeptieren. Vielleicht, weil es noch so frisch ist und der Schmerz mir immer noch tief im Herzen sitzt. Ich kann nicht einmal über dieses Thema sprechen und genau deshalb habe ich eben die Kontrolle verloren. Saras Worte haben nämlich meine offene Wunde hart getroffen und mich tief verletzt. Mich hätte sie beleidigen können, doch dass sie meine Eltern mit hinein zieht, über deren Tod ich nicht einmal sprechen kann, kann ich nicht einfach ignorieren. Ich will sie eine Weile definitiv nicht mehr sehen.

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