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Wie angewurzelt stehe ich am selben Fleck und schaffe es nicht einen Muskel zu bewegen. Meine Augen sind nur starr auf das Fenster gerichtet, auf dem ich ihr Gesicht erkennen kann.
"Das kann doch nicht wahr sein", murmle ich geschockt und verwirrt zugleich. Ich hätte wirklich alles und jeden hier erwartet, aber nicht sie. Dementsprechend ist der Schock in meinem Gesicht deutlich sichtbar, da mir einer der Männer in den schwarzen Anzügen Blicke zuwirft. Ich starre auch viel zu offensichtlich, also richte ich meine Blicke sofort nach vorne und tue so als würde ich auf jemanden warten. Um dies zu kennzeichnen, schaue ich auch ab und zu auf meine Armbanduhr und packe mein Handy aus der Tasche, um beschäftigt auszusehen. Der Mann widmet seine Aufmerksamkeit schließlich wieder nach vorne und ich atme erleichtert auf. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf wieder leicht in deren Richtung und sehe, wie Katrin das Büro betritt, gefolgt von zwei der Männer, während die anderen vor dem Auto warten.
In meinem Kopf herrscht ein reines Durcheinander und ich weiß nicht, wie ich jetzt handeln soll. Soll ich Danny anrufen und ihm Bescheid geben oder nicht? Eigentlich will ich es unbedingt, doch ich habe Angst, dass er vor Wut die Kontrolle über sein Verhalten verlieren und sich in Gefahr bringen wird. Das befürchte ich wirklich sehr, doch andererseits hat er ein Recht darauf das zu erfahren. Er hat solange auf ein Zeichen gewartet, die ihn weiterbringen wird und gerade jetzt, wo ich eine gefunden habe, kann ich ihm dies nicht verheimlichen. Er würde mir das niemals verzeihen, wenn ich ihm so eine gute Gelegenheit enthalten würde und auch ich könnte nicht mit dem Gewissen dann leben. Ich muss es ihm sagen.
Mit zitternden Händen wähle ich seine Nummer und warte, doch er geht nicht dran. So wähle ich erneut und wieder ohne Erfolg.
"Man wo bist du denn, Danny?!..", seufze ich frustriert und wähle seine Nummer noch einmal. Ungeduldig stampfe ich leicht mit einem Fuß auf dem Boden rum und hoffe darauf, dass er diesmal abnimmt, was er jedoch erneut nicht tut. Gerade als ich es wieder probieren möchte, kommt Katrin aus dem Gebäude. Nervosität packt mich, da ich nicht weiß, wie ich nun handeln soll. Was ich jedoch weiß, ist, dass ich ihm diese Gelegenheit nicht kaputt machen möchte. Für ihn tue ich alles. So fasse ich meinen gesamten Mut zusammen und laufe mit schnellen Schritten auf das Auto zu. Einer der Männer hält die Tür offen und sie will in den Wagen steigen.

"Katrin", rufe ich so laut ich kann und eile in ihre Richtung. Sie hält in ihrer Bewegung inne und dreht sich um. Außer Atem bleibe ich einige Schritte vor stehen. Die Männer um sie herum wollen auf mich zukommen, doch sie hebt ihre Hand, um sie zu stoppen, woraufhin sie wieder brav auf ihren Plätzen stehen bleiben.
Ganz langsam nimmt sie sich ihre Sonnenbrille von der Nase und ihre Augen weiten sich, weil sie ganz genau weiß, wer ich bin.
"Grace?", gibt sie geschockt von sich und wie erstarrt kann sie ihre rehbraunen Augen, die Danny und Bella von ihr haben, nicht von mir nehmen.
"Genau, Grace..", antworte ich ruhig und kalt. Zwar steigt in mir die Wut, wenn ich an all die Dinge denke, die Danny wegen ihr durchmachen musste, doch ich unterdrücke diese. Ich darf diese Chance nicht verderben. Für Danny muss ich es tun. "..Die Kindheitsfreundin von Ihrem Sohn. Sie scheinen mich nicht vergessen zu haben."
Mit langsamen Schritten kommt sie auf mich zu. Zwar sieht sie vom Gesicht her immer noch aus wie die Frau von damals, doch alles andere an ihr ist so fremd. Früher hat sie meistens nur bequeme Hosen getragen und sich einfach irgendwas drüber angezogen. Da ich die meiste Zeit mit Danny verbracht habe in meiner Kindheit, habe ich natürlich auch seine Familie gut gekannt. Katrin war eine wirklich liebevolle Mutter und Ehefrau. Ihre Familie hat alles für sie bedeutet und sie hat damals sogar oft ihre Hausarbeit liegen lassen, um mit Danny und mir im Garten spielen zu können. Danny hing regelrecht an seiner Mutter und hat sie richtig verehrt, doch heute spürt er nur noch Hass bei ihrem Namen. Nachvollziehbar ist das schon, da diese Frau vor mir nicht mehr die liebevolle Mutter von damals ist. Eine richtige Mutter würde nicht eines ihrer Kinder verlassen und zu ihrer Affäre gehen. Die Katrin, die ich damals kannte, hätte nicht das Leben ihres Sohnes zerstört und ihn so zurückgelassen. Es wundert mich aber heute nicht mehr. Diese Frau, die gerade vor mir steht, ist eine ganz andere Person. Selbst äußerlich hat sie nichts mehr mit der Katrin von damals zu tun. Ein schwarzes, knielanges Kleid, die teure Pelzjacke drüber, Schmuck soweit das Auge reicht und die blond gefärbten Haare perfekt frisiert. So habe ich sie nicht in Erinnerung gehabt und selbst ich bin ziemlich schockiert, also will ich mir nicht vorstellen, wie Danny sich gefühlt hätte, wenn er sie gerade sehen würde.

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