boy in the stars || h.s. ✓

By dezemberwind

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Er war der Sternenjunge, der bis in den Himmel stieg und dann herunterfiel." More

prelude
prolog
1 | sirius
2 | canopus
3 | arcuturus
4 | wega
5 | capella
6 | rigel
7 | prokyon
8 | archernar
9 | beteigeuze
10 | hadar
11 | altair
12 | acrux
13 | aldebaran
14 | spica
15 | antares
16 | pollux
17 | formalhaut
18 | becrux
19 | deneb
20 | regulus
21 | adhara
22 | Castor
23 | gacrux
25 | bellatrix
26 | elnath
27 | miaplacidus
28 | alnilam
29 | alioth
30 | mirfak
epilog
danksagung

24 | shaula

237 40 70
By dezemberwind

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| 24 |

s h a u l a

februar 2035

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„Bitte weine nicht, Lottie. Wir bekommen das hin."

„Du wirst sterben. Das werde ich nicht überleben."

„Das musst du aber, mir zuliebe."

Mit seinen vierzehn Jahren wirkte Noah Styles ein wenig wie im Zwischenreich gefangen. Zu alt, um noch gänzlich als Kind durchzugehen, aber noch zu jung, um ihn all seine Gesichtszüge hineingewachsen zu sein. Seine Wangen verloren den Babyspeck und ließen scharfe Wangenknochen erahnen, die er unweigerlich von seinem Vater geerbt hatte. Seine Schultern wirkten noch schlaksig, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis sie in die Breite wachsen würden.

Charlotte Styles schwor, dass er seit Weihnachten bereits wieder einige Zentimeter gewachsen war.

Im Herzen jedoch war Noah jedoch immer noch ein Junge. Ein Junge voller Träume und Wünsche, die Charlotte Styles ihm alle erfüllen wollte. Nur den sehnlichsten, einen Vater zu haben, würde sie ihm nie geben können.

Stille war im Haus eingezogen, nur durch das gelegentliche Klimpern einer Gitarrenseite, wenn Noah eine neue Melodie ausprobierte, durchbrochen. Die sanften Töne wurden von dem sanften Rascheln der Fotografien unterbrochen, wenn Charlotte ihr Portfolio neu anordnete.

Die Bewohner liebten diese angenehme Ruhe, war ihr Leben ansonsten doch hektisch genug. Es war eine neue Art der Hektik für Noah, der das Leben seines Vaters nie gekannt hatte. Für Charlotte jedoch war es ein Abtauchen in alte Gewässer, in ein altes Leben, alte Routinen, die sie bereits fast vergessen hatte.

Das Mädchen mit den Sternenaugen folgte Louis in ein Land nach dem anderen, seitdem Noah alt genug war, einige Tage alleine zuhause zu bleiben. Es waren ohnehin nie mehr als zweiundsiebzig Stunden, bis er unweigerlich bei Willow auftauchte und sein Lager in ihrem Zimmer aufschlug.

Ein Gedanke, den Charlotte anfangs skeptisch gegenübergestanden hatte, denn sie wusste nur zu gut, welche Gedanken sie in ihren Teenagerjahren gehabt hatte. Doch seitdem Louis seiner Tochter und seinem Patensohn lachend ein Päckchen Kondome in die Hand gedrückt hatte und die beiden Kinder daraufhin keine Woche mehr mit ihnen geredet hatten, weil Eltern ja so peinlich seien und beste Freunde durchaus Übernachtungsparties schmeißen konnten, hatte sich Charlotte wieder beruhigt.

Das Fotopapier raschelte, während Charlotte es auf der heutigen Tageszeitung platzierte, um ihr neuestes Projekt vorzubereiten. Dabei flogen ihre Augen unweigerlich zu dem aufgedrucktem Datum, egal wie sehr sie dieses auch auszublenden versuchte.

„Heute ist der Geburtstag deines Vaters, Noah", murmelte sie leise, während sie die schwarzen Zahlen nachfuhr.

Die druckfrische Tinte blieb an ihrem Daumen hängen, hinterließ Spuren, wie ihr Sternenjunge es jeden Tag in ihrem Leben getan hatte. Bis er schließlich hinauf in den Himmel flog. Aber selbst dann begleitete er sie in jeder Stunde, in jeder Minute, in der sie nicht mehr konnte. Der Gedanke an ihn und ihre gemeinsamen Träume waren an manchen Tagen alles, was sie vom Aufgeben abhielt.

Doch es wurde einfacher, die meiste Zeit konnte Charlotte wieder lachen und die guten Erinnerungen überwiegten. Nur an Tagen wie diesen, diesen allesverändernden Stunden, die jedes Jahr wieder gnadenlos um die Ecke krochen, spürte sie wieder das Reißen ihres Herzens, als hätte Harry es erst vor einer Sekunde mit sich zu den Sternen genommen und ihr nur die Fetzen zurückgelassen.

„Es wäre sein Geburtstag gewesen." Noahs Finger hörten auf, die Gitarrenseiten zu bearbeiten. „Er ist tot, Mum."

Charlotte schluckte. „Hast du Lust, die Briefe von deinem Dad heute alle nochmal zu lesen?"

„Nein Danke."

Sie hatte keine andere Antwort erwartet, wusste insgeheim, dass sich all dies langsam anbahnte. Während Harrys Briefe in Noahs Kindheit zu seiner täglichen Gute Nacht Geschichte geworden waren, wurden sie im Laufe der letzten Jahre immer seltener gelesen. Mittlerweile verstaubten sie in seinem Nachtischschrank, sammelten neue Geheimnisse und versteckten die Worte, die jedoch nie ihren Zauber verlieren würden.

Es war keine Überraschung, bloß die unvergängliche Wahrheit. Doch heute traf es sie mit voller Wucht.

„Ich glaube, dass uns das guttun würde", murmelte das Mädchen mit den Sternenaugen, während sie nachdenklich über eines der Fotos strich. Es zeigte sie und Harry, beide mit einem breiten Lächeln an einem runden Tisch, die Augen glitzernd durch das Kerzenlicht.

Das Bild war längst an den Rändern vergilbt, bereits mehrere Jahrzehnte alt und dennoch würde Charlotte Styles den Moment nicht vergessen, denn es war ein besonderer Tag für sie gewesen. Harry hatte darauf bestanden, sie für ihren ersten Jahrestag in das teuerste Restaurant in der Umgebung einzuladen und dabei waren sie sich so unfassbar erwachsen vorgekommen. Dabei war die Wirklichkeit so furchtbar unschuldig, so furchtbar anders, denn sie hatten damals noch nichts vom Leben verstanden. Das Wichtigste wussten sie doch bereits damals, dass ihre Liebe stark genug war, um dem Universum zu trotzen.

„Was soll das denn bringen, Mum? Dad bleibt trotzdem tot." Noahs Stimme war leise, sanft wie der Wind, der den Schnee draußen vor den großen Fenstern auf die Erde rieseln ließ. Dennoch schlug sie ein wie eine Bombe in dem Herzen seiner Mutter. „Ich will die Briefe nicht lesen und du solltest das auch nicht. Sie bringen dich bloß zum Weinen. Ich weiß, dass Dad es gut meinte, aber es wird Zeit, dass du endlich damit abschließt und andauernd seine Briefe zu lesen, hilft dabei nicht."

„Er ist mein bester Freund. Mit so etwas kann man nicht einfach abschließen", murmelte Charlotte. „Das verstehst du nicht, Noah."

„Doch, ich verstehe es nur zu gut", entgegnete er, die Stimme langsam zu einem Wirbelwind anschwellend. „Du bist diejenige, die nicht versteht, Mum! Er ist tot und das wird er auch bleiben! Es bringt nichts, seine beschissenen Briefe zu lesen! Sie hindern uns daran, verdammt nochmal zu leben!"

Jedes seiner Worte bohrte sich wie Messerstich in Charlottes Herzen, doch sie zwang sich mit aller Kraft, nicht in Tränen auszubrechen. Das verdiente ihr Sohn nicht. Er hatte schon genug Schmerz ertragen müssen.

„Wirklich, Mum, es wird Zeit, dass du diese verdammten Briefe endlich vergisst!"

Mit sanften Griffen, die so gar nicht zu seinen funkelnden Augen passten, legte Noah Styles die Gitarre auf ihren Ständer und stapfte dann aus dem Wohnzimmer. Charlotte lauschte mit leeren Herzen seinen Schritten. Sie wurden leiser, bis sie schließlich nur noch an Federstriche erinnerten und passten so gar nicht zu dem lauten Knall, als Noah die Haustür fester als nötig hinter sich zuzog.

Erst dann erlaubte sie sich, den ersten Schluchzer über die zitternden Lippen entgleiten zu lassen.

Charlotte fühlte sich so alleine, so verdammt einsam, in diesem riesigen Haus, das so viele Menschen vermisste. Es erdrückte sie und war gleichzeitig doch ihr einziger Trost, war dieses Gebäude doch eines der wenigen Dinge, die ihr noch von ihrem Sternenjungen blieben. Er steckte in jeder Ecke dieses Gemäuers.

Harry war unter dem zerkratzten Fußboden von eines aus der Kontrolle geratenen Abends, der mit zu viel Wein und wenig Kleidung im Boden neben dem Sofa endete, weil sie beide zu ungeduldig gewesen waren, es noch bis ins Bett zu schaffen. Damals, als ihre Liebe alleine reichte.

Harry war Teil der Wand neben dem Karmin, in die er eine riesige Macke geschlagen hatte, als sie lachend und mit roten Nasen ihren ersten selbstgefällten Christbaum ins Wohnzimmer getragen hatten. Damals, als sie noch glücklich waren.

Harry war in den Leuchtsternen in Noahs Zimmer, die er so geduldig angeklebt hatte, einen nach dem anderen, und die dort immer noch erstrahlten, auch wenn ihr Sohn längst eigentlich viel zu alt dafür war. Damals, als sie sich an die trügerische Lüge einer Zukunft klammerten.

Alles in diesem Haus war Harry und gleichzeitig doch nichts davon.

Denn ihr Sternenjunge war verschwunden und würde nie wieder kommen.

Sie atmete, zu schnell, viel zu schnell. Menschen glaubten immer, dass sie in ihren schlimmsten Momenten keine Luft mehr hätten. Doch für das Mädchen mit den Sternenaugen verhielt es sich anders herum. Es gab zu viel Atem, zu viel Luft, und es erstickte sie.

Ein Wimmern kam über ihre Lippen, während sie ihre Finger in die weiche Wolldecke klammerte, auf der Suche nach Halt. Verzweifelt presste sie sie gegen ihre Nase, roch daran, in der Hoffnung, ein wenig Vergangenheit in ihr zu finden. Doch Harrys Geruch war bereits seit Jahren verschwunden.

Selbst wenn sie die Augen schloss, wusste sie nicht mehr, wie genau er gerochen hatte. An manchen Tagen vergaß sie selbst für einige Stunde, wie seine Stimme sich angehört hatte. Sie vergaß ihren Sternenjungen, jede Sekunde ein wenig mehr, egal wie sehr sie sich auch dagegen wehrte.

Sie hasste es, sie hasste ihn, sie hasste alles. Während sie ihn gleichzeitig doch so sehr liebte, dass ihr Herz zerplatzte.

Vielleicht war zu viel Liebe manchmal schlimmer als gar keine, wenn sie einen am lebendigen Leib ersticken konnte.

Vielleicht jedoch war diese Liebe alles, was das Leben wert war, vielleicht war es alles, was ihm überhaupt einen Sinn gab.

Charlotte Styles wusste es nicht, sie fand keine Lösung, während ihr die Tränen über die Wangen liefen und sie ihren Sternenjungen nicht hatte, um ihr sie zu trocken.

Es zerriss sie, von außen nach innen, von Lügen zur Wahrheit.

Irgendwann kamen keine Tränen mehr, irgendwann konnte sie nur noch stumm auf das schwarze Datum starren, das ihr keine Antworten geben konnte.

Also stand sie auf, stolperte durch das Wohnzimmer, hin zu dem Sessel, der einmal Harry gehört hatte und es auf eine Weise immer noch tat. Auf ihm thronte die Kiste, bereits eindeutig vom Laufe der Zeit gezeichnet, mit Kinderzeichnungen bemalt, einem Leuchtstern an der rechten Seite, einem Lochen in der linken.

Mit zittrigen Händen fischte Charlotte einen der beiden Brief heraus, die sie schon von Anfang an am meisten fürchtete. Einer davon war der allerletzte, den sie irgendwann unweigerlich erreichen würden. Der andere, der, den sie jetzt in den Händen hielt, war für einen Moment gedacht, den sie am liebsten niemals erfahren hätte.

Doch nun war es soweit, nun würden Harrys Worte sie doch noch erreichen.

Das Mädchen mit den Sternenaugen warf einen letzten Blick in die Kiste, die mittlerweile erschreckend leer geworden war. Die verbliebenden Umschläge bedeckten nicht einmal mehr wirklich den Boden.

Dann umklammerte sie den Brief in ihren Händen, sanft und gleichzeitig haltsuchend, während sie langsamen Schrittes wieder zu dem Sofa herüberlief. Dort setzte sie sich und konnte eine Weile nur den Umschlag anstarren, der wie ein Monster aus ihren Träumen war, während er sie gleichzeitig mit den Worten ihres Sternenjungen lockte.

Mit dem Zeigefinger fuhr sie die Buchstaben nach, die Harry vor all den Jahren auf das Papier gebracht hatte. Sie waren mittlerweile verblasst, aber noch lesbar. Ein wenig wie das Leben, was seit dem Fortgehen ihrer großen Liebe ein wenig an Farbe verloren, aber nicht schwarzweiß geworden war.

„Falls Noah meine Briefe nicht mehr lesen will", flüsterte sie die Worte, die ihr Sternenjunge auf den Umschlage geschrieben hatte.

Ihn zu öffnen, bedeutete, die Wahrheit zu akzeptieren. Noah würde keinen weiteren Brief mehr lesen wollen. Doch vielleicht war nur die Wahrheit, was sie retten konnte, vielleicht waren es alleine Harrys Worte im Inneren dieses Briefes, die ihr Herz wieder zusammenkleben konnte.

Charlotte wusste es nicht, so wie sie so vieles nicht wusste, heute nicht, im Leben nicht, aller Tage nicht.

Aber sie wusste, dass sie es zumindest versuchen musste.

Denn sie war kein Feigling, sie gab keine Schlacht verloren, die es noch zu gewinnen galt.

Also schob sie ihre zittrigen Finger unter den Umschlag und riss ihn vorsichtig auf.

Dieser Brief war einer der letzten, die Harry geschrieben hatte. Das wusste Charlotte, sobald sie die zittrigen Buchstaben erkannte und die vielen Pausen, die sich kaum merklich ändernde Tinte, die zustande kam, weil ihr Sternenjunge nicht mehr in der Lage gewesen war, den Stift für längere Zeiten zu halten.

Allerliebste Lottie,

Ich will in diesem Brief so viel schreiben und weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Doch eigentlich sollte ich wohl mit dem wichtigsten starten. Ich möchte, dass du weiß, dass du nichts falsch gemacht hast, wenn Noah meine Briefe nicht mehr lesen will. Das ist in Ordnung so.

Erinnerst du dich daran, was wir als Kinder alles doof an unseren Eltern fanden? Das wird bei ihm nicht anders sein und das ist okay, wirklich.

Bitte sei nicht sauer auf Noah, bitte sei nicht traurig. Ich liebe euch beide so verdammt sehr und könnte es nicht ertragen, wenn es einem von euch beiden meinetwegen schlecht geht.

Das Wichtigste ist einfach, dass Noah und du glücklich seid. Und wenn das ohne mich ist, dann ist das gut.

„Als könnte ich je ohne dich wirklich glücklich sein, du Idiot", flüsterte Charlotte mit tränenerstickter Stimme. „Du bist einfach gegangen und du hast das Glück mitgenommen und nur eine Portion zurückgelassen und das ist nicht fair, Harry! Das ist nicht fair!"

Ihre Finger krallten sich in die Decke, die vor so langer Zeit einmal ihrem Sternenjungen gehört hatte.

„Du hast meine Farben der Welt mitgenommen und ich habe sie nie wieder zurückbekommen."

Am besten hörst du jetzt auf zu fluchen, Lottie, denn das bringt ohnehin nichts. Und jetzt guck nicht so ertappt, ich weiß, dass du das gerade getan hast. Dafür kenne ich dich doch, du bist mein Mädchen mit den Sternenaugen. Stattdessen zaubere lieber ein Lächeln auf deine Lippen, das sehe ich so gerne. Versuch es wenigstens, versprochen? Gut.

Dieser Brief ist für den äußersten Notfall gedacht, vielleicht wirst du ihn niemals öffnen müssen und dann ist auch das total okay. Gut, es ist verschwendete Tinte, wenn du mich fragst, aber das ist es wert. Denn dich glücklich zu sehen, ist alles, was ich im Leben will.

Übrigens, dieser Brief hier ist mehrmals gültig, Er ist für all die Momente gedacht, in denen du einfach mal ein wenig Trost brauchst. Denn das Leben ist scheiße, das weiß ich und das weißt du. Verdammt, wir beide wissen das viel zu gut. Wir haben zu wenig Zeit und wenn ich jetzt zu dir herübersehe, wie du vor meinem Bett auf dem Stuhl eingeschlafen bist, dann tut das weh. Du hast dich vorhin geweigert,, mir den Platz im Bett zu klauen, damit ich gesund werden kann, obwohl wir doch beide wissen, dass das eine Lüge ist. Doch die Lüge hat mich zum Lachen gebracht und du sagtest mir, dass wir auch in den schlechten Zeiten etwas zum Lachen bräuchten. Also erinnere dich an deine eigenen Worte, Lottie, finde das Licht in der Dunkelheit. Du bist eine Kämpferin, du schaffst das.

Aber jetzt genug von meinen Motivationsreden, die wirklich mal eine Überarbeitung bräuchten – vielleicht sollte ich Louis mal nach Rat fragen, der hat einige gute parat. Wenn du nicht weiterweißt, sag ihm, ich hätte gesagt, er soll dir mal in den Hintern treten.

Während Charlotte immer noch die Tränen aus den Augen liefen, erwischte ihr zum ersten Mal ein Lächeln. Ihr Sternenjunge hatte Recht gehabt, als hätte er es damals bereits irgendwie geahnt, dass Louis derjenige sein würde, der sie gewaltsam ins Leben zurückziehen würde, wenn sie selbst nicht mehr wusste, wie leben überhaupt funktionierte.

Louis Tomlinson war ihr Fels in der Brandung, ihre Rettung, ihr strahlender Stern, als hätte Harry persönlich dafür gesorgt, dass er nie zu leuchten aufhören würde.

Ich liebe es übrigens, dir beim Schlafen zuzusehen, Lottie. Gerade momentan, wenn Leben so schwer ist und du nur im Schlaf wirklich friedlich wirkst. Es tut mir leid, dass ich es dir so schwer mache. Es tut mir alles so verdammt leid und wenn ich könnte, würde ich dem Schicksal gerne mal einen richtigen Arschtritt verpassen. Du hast es nicht verdient, dass du so leiden musst. Und noch weniger hat es unser Junge verdient, der mittlerweile kaum noch Platz in deinem Bauch zu haben scheint, wenn ich mir gerade ansehe, wie sehr deine Decke in die Höhe steht. Ganz ehrlich, du siehst aus, als würdest du jeden Augenblick explodieren. Ich kann es nicht erwarten, bis es endlich soweit ist.

Weißt du, alleine der Gedanke an Noah macht mir all das hier so viel leichter. Ein wenig wie ein Spaziergang, denn seitdem ich weiß, dass es unser Baby gibt, fürchte ich mich nicht mehr vor dem nächsten Tag, sondern freue mich darauf. Denn auch wenn mir jede Stunde ein wenig mehr Kraft raubt, bedeutet das doch nur, dass ich Noah wieder ein wenig näher gekommen bin.

Offiziell sind es gerade noch zwei Monate, aber vielleicht kriege ich unseren Jungen noch dazu motiviert, es doch ein wenig eiliger zu haben.

Ihn einmal in meinen Armen halten zu dürfen, das ist mein größter Wunsch. Weißt du, es ist so merkwürdig, das zu schreiben. Denn ich hatte so viele große Träume, Sänger werden, die Welt erobern, meine große Liebe finden. Doch mein größter wird immer unser Baby sein. Wenn ich ihn auch nur einmal halten darf, dann werde ich glücklich sterben.

Egal, was auch passieren mag, ich weiß bereits jetzt, dass Noah dich mehr als alles andere liebt. Du wirst die beste Mum sein, Lottie. Das weiß ich.

„Und du wärst der beste Dad gewesen", flüsterte das Mädchen mit den Sternenaugen, während ihre Lippen nach bitteren Tränen schmeckten.

Das war eine Wahrheit, die ihr schon immer klar gewesen war. Bereits als Harry mit dreizehn Jahren mit voller Hingabe bei seinen Nachbarn auf die Kinder aufgepasst hatte. Charlotte hatte ihn damals gerne begleitet, denn alleine seine leuchtenden Augen zu sehen, sobald er von Kindern umgeben war, hatte ihr Herz ein wenig schneller schlagen lassen. Damals hatte sie noch nicht verstanden, was all das wirklich bedeutete.

Erst Jahre später, während Harry Freddie in seinen Armen hielt und Charlotte mit so viel Liebe ansah, da wusste sie, was sie eigentlich immer schon gewusst hatte. Er war der Mann, dem sie zehn Kinder schenken würde, nur um ihn glücklich zu machen.

Wir werden unsere eigene kleine Familie haben, Lottie. Kannst du das glauben? Manchmal kommt mir das vor wie ein Traum. Das ganze Leben kommt mir vor wie ein Traum, auch wenn es in Momenten wirklich wahrlich beschissen ist. Aber es ist nicht nur furchtbar, kann gar nicht nur furchtbar sein, wenn es Wunder wie dich und Noah gibt.

Übrigens, er hat dir gerade so sehr in den Bauch getreten, dass deine Bettdecke ein wenig nach oben gesprungen hat. Tut mir leid, aber vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen. Vielleicht wird er Profifußballer, das wäre doch cool, oder? Oder er wird Balletttänzer oder Schreiner oder Lehrer. Was auch immer er wählt, ich werde stolz auf ihn sein. Sag ihm das bitte.

Gerade hat er schon wieder getreten, ich konnte es fühlen und es ist das beste Gefühl der Welt. Doch so langsam sollte er wirklich mal damit aufhören, denn ich muss diesen Brief zu Ende schreiben, bevor du aufwachst. Das habe ich ihm gerade auch gesagt, aber ich schätze, an meinen Erziehungsmethoden muss ich noch ein wenig arbeiten.

Vielleicht kann ich ihm ja noch beibringen, wie er seine ersten Schritte macht. Ich weiß, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist, aber manchmal da werden Wünsche wahr, oder? Ich habe bereits so viele erfüllte Träume in meinem Leben bekommen, so viel mehr als andere, also sollte ich mich wirklich nicht beschweren. Doch diesen letzten fände ich wirklich noch schön.

Was mir gerade noch einfällt – was machen wir eigentlich, wenn sich all diese technischen Geräte geirrt haben und wir gar keinen Sohn bekommen? Darüber müssen wir dringend mal diskutieren, wenn du aufwachst, Lottie. Nicht, dass wir dann völlig panisch gar keinen Namen für unsere Tochter haben und sie Gertrude oder so nennen. Das würde sie uns ein Leben lang nicht verzeihen.

Aber eigentlich bin ich mir sicher, dass es ein Junge wird. Ich habe es im Gefühl, dass es stimmt. Und er wird unglaublich sein, da bin ich mir sicher.

Weißt du, was ich noch weiß, Lottie? Dass ich euch mein Leben lang lieben werde, selbst wenn ich bereits in den Sternen bin. Denn Liebe verbrennt nicht, sie wird nur noch größer, je weiter man voneinander entfernt ist. Und dich und Noah liebe ich mehr als alles andere.

Also sei nicht traurig, sondern lächele. Tu es für mich. Und gib Noah bitte einen Kuss, ja?

In Liebe,

Dein Sternenjunge

Charlotte wischte sich die stillen Tränen aus dem Gesicht, die nun ununterbrochen flossen, so als sehnten sie sich ebenfalls nach dem Mann, dem ihr Herz für immer gehören würde. Doch Harry war fort und würde nicht wiederkommen, egal wie sehr sie sich auch an seine geschriebenen Worte klammerte. Sie waren bloß ein Schatten von Harry, dunkle Grautöne und ihr Sohn würde nie die schillernden Farben seines Vaters zu sehen bekommen.

Harry liebte Noah so sehr, doch für seinen Sohn würde er immer ein Fremder bleiben.

Das Mädchen mit den Sternenaugen war sich nicht sicher, ob das nicht sogar besser für Noah war. Er würde Harry nie so sehr vermissen wie sie selbst und ein Teil von ihr war froh, ihm diesen schmerz ersparen zu können, der jede Sekunde einen Stich in ihr Herz setzte.

„Alles Gute zum Geburtstag, Sternenjunge", wisperte Charlotte. „Ich liebe dich                                                          und werde das immer tun. Bis zu den Sternen und noch weiter."

_________________

Ihr Lieben,

Ich weiß, dass dieses Kapitel ein wenig auf sich warten gelassen hat. Aber ich werde diese Geschichte zu Ende schreiben, das verspreche ich. So viele Kapitel sind es auch gar nicht mehr, es fehlen nur noch ungefähr 6-7.

Könnt ihr verstehen, dass Noah Harrys Briefe nicht mehr lesen will? Wird das so bleiben?

Glaubt ihr, dass Charlotte das akzeptieren sollte?

Und denkt ihr, dass Lottie auch irgendwann aufhören wird, die Briefe ihres Sternenjungen zu lesen?

Unendlich viel Dank für all eure Unterstützung! Gerade bei dieser Geschichte freue ich mich über jeden Stern und jeden Kommentar!

Bis zum nächsten Mal.

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