boy in the stars || h.s. ✓

By dezemberwind

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Er war der Sternenjunge, der bis in den Himmel stieg und dann herunterfiel." More

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24 | shaula
25 | bellatrix
26 | elnath
27 | miaplacidus
28 | alnilam
29 | alioth
30 | mirfak
epilog
danksagung

1 | sirius

899 85 153
By dezemberwind

       

_________________

| 1 |

s i r i u s

juli 2021

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„Es war mir eine Ehre, dich kennengelernt zu haben, bester Freund.

Habe eine schöne Reise zu den Sternen."


Noah Styles hatte alles im Leben. Alles, außer einem Vater.

Während er jedoch glucksend auf seiner Babydecke lag, den weißen Kuschelhasen zwischen seinen Fingern drehte und mit neugierigem Blick zu Charlotte herübersah, so unschuldig, wirkte er wunschlos glücklich. Seine grünen Augen erinnerten sie an Harry, in denen das Licht der Welt schon vor langem erloschen war.

Charlotte betrachtete ihn kurz mit einem traurigen Lächeln, ihr Wunder, das sie bekam, kurz bevor sie die Liebe ihres Lebens loslassen musste.

Harry Styles hätte eine Legende werden können, wäre der Krebs nicht gewesen. Er hatte angeklopft, entschlossen und ihn mit zu den Sternen genommen. Doch seine Liebsten ließ er auf der Erde zurück.

Sie hatten getrauert und irgendwann wieder zu leben begonnen. Doch nie würden sie aufhören ihn in jeder Sekunde zu vermissen, das war Charlotte schmerzlich bewusst, während sie durch Louis Auftauchen umso mehr über den Abgrund gestoßen wurde. Doch sie kämpfte sich wieder hervor, für ihren Sohn und auch für Harry, denn das war sie ihnen schuldig.

Charlotte Styles schluckte benommen, als sie auf die Kiste herabsah, nicht direkt, die Louis ihr mit zitternden Fingern entgegenstreckte. Sie wagte es nicht ihren Blick von dem Pappkarton abzuwenden, der an einigen Ecken ein wenig eingerissen war, an der anderen etwas gewellt und dennoch augenscheinlich, wirklich, all den Monaten der Zeit getrotzt hatte. Als wäre Harrys unfassbarer Wille, sein Mut des Kampfes, in dieses Steifpapier übergegangen, ein wenig bloß, doch das genügte.

„Was ist das?", flüsterte Charlotte wispernd, denn sie wollte Louis' bereits verflogene Worte nicht begreifen. Sie war nicht bereit dazu und sehnte sich dennoch danach, dass die Wahrheit nicht bloß eine Illusion in ihren Gedanken war.

Wie so oft, während sie nachts in die Dunkelheit starrte und sich bloß eine Sekunde lang einbildete, Harrys Stimme hören zu können.

„Briefe. Von Harry", erzählte der Doncaster erneut, mit leicht zittriger Stimme, als wüsste er selbst nicht, ob er gerade einen Fluch oder Segen in das Haus trug, das früher einmal seinem besten Freund gehört hatte. Damals, als die Welt noch in Ordnung war und die Luft durch seine Lungen strömte.

Louis holte rasselnd Luft, während er Charlotte immer noch den Karton entgegenhielt, als würde er sich verbrennen, wenn er ihn nicht endlich loswerden konnte.

„Ein paar der Briefe sind an mich adressiert, einige an Freddie und Willow. Die anderen Jungs haben auch alle einen Brief. Nick, Gem und Anne ebenfalls." Er biss sich auf die Unterlippe, während er sich sorgte, wie Charlotte die nächsten Worte aufnehmen würde. „Alle anderen Briefe sind an dich und Noah adressiert. Es sind viele, Lottie. Wirklich viele."

Endlich nahm sie ihm die Box aus den Händen und presste ihrerseits die Fingerspitzen so fest in die Pappe, dass ihre Haut einige Nuancen weißer wurde. Doch sie brauchte diesen Halt, musste ein wenig Schmerzen spüren, während sie dieses Mysterium in den Händen hielt, das sich einmal zwischen Harrys Fingern befunden hatte.

„Woher hast du die?", wisperte Charlotte schließlich, als die Stille nicht mehr beruhigend war, sondern wie eine Bombe in dem Haus wirkte. Diese stillen Explosionen waren es, was sie am meisten fürchtete, kamen sie doch schleichend und so plötzlich wie die Krankheit, die Harrys Leben schließlich nahm.

Sein Ende hatte schleichend begonnen, so langsam, dass sowohl er als auch sie es nicht hatten kommen sehen, bis es dann eines Tages unendlich still geworden war. Und dann kam der Knall, der ihre Herzen zerfetzte, ihre Seelen zerstörte.

„Haz muss jemanden beauftragt haben, sie auf meinem Dachboden zu verstecken. Keine Ahnung, warum er dachte, dass ich sie finden würde", murmelte Louis mit abwesenden Augen, als würde sich ein Teil von ihm immer noch in der Erinnerung befinden, in der vergangenen Stunde, als er die dreizehn Treppenstufen nach oben gestapft war, nichtsahnend unschuldig auf der Suche nach etwas ganz anderem, um schließlich bloß etwas zu finden, das sein Leben veränderte. „Harry muss verrückt geworden sein, denn ich gehe dort doch so gut wie nie rauf. Wahrscheinlich kommen die Briefe nun alle viel zu spät."

Doch Charlotte glaubte nicht daran, denn das wäre nicht ihr Harry gewesen. Nicht der Junge, den sie besser kannte als sich selbst.

„Hazza wollte, dass wir die Briefe nicht direkt finden. Das ist sein Plan gewesen", antwortete sie voller Überzeugung, so sicher, dass Louis ihre Worte nicht auch nur bloß eine Sekunde hinterfragte. Sie waren die Wahrheit selbst und während sie durch den Raum flogen, verstanden sie beide, dass genau dies die Wirklichkeit war.

Denn Harry Styles war ein Planer gewesen, er hatte Listen gemacht und seine Zukunft stets vor Augen gehabt. Es sollte sie beide nicht überraschen, dass er auch die Briefe vorrausschauend aufs Papier gebracht hatte, doch dennoch tat es das.

„Wahrscheinlich war es das und ich weiß nicht, ob ich ihn gerade dafür hassen soll, dass er die Briefe vor uns versteckt hat oder lieben sollte, weil sie überhaupt existieren."

Charlotte lächelte breit, denn für ihr Herz gab es bloß eine Antwort. „Eindeutig letzteres. Das ist mehr, als ich mir je hätte erträumen können."

Louis  räusperte sich vernehmlich, während er mit unsicherem Blick auf die Kiste schielte, die sich immer noch zwischen ihren Fingern befand. Sie war schwer, das wusste er nur zu gut, hatte er sie doch den Dachboden herunterhievt und schließlich ins Auto getragen, bevor er mir röhrendem Motor durch die Straßen raste. Doch Charlotte klammerte sich an die Box, als würde ihr das Gewicht nichts ausmachen, als hätte sie ohnehin schon zu viel erleiden müssen in ihren jungen Jahren.

„Einer der Briefe ist für letzte Woche gewesen. Das ist der mit dem Datum, das heute am nächsten ist und er ist für Noah", meint der Mann schluckend. „Der erste für dich ist mit Juni beschriftet gewesen, aber da hatte ich die Kiste ja noch überhaupt nicht gefunden."

Sie schenkt ihm ein beruhigendes Lächeln. „Das ist okay, Lou. Wirklich okay."

Endlich schafft sie es die Kiste auf dem hellen Holzboden abzustellen, den Harry so liebte und den sie ausgesucht hatten, bevor Noah überhaupt in ihren Gedanken gewesen war.

Nun hatte er bereits einige Kratzer, denn Kinderspielzug vertrug sich bloß schwer mit dem Boden, doch Charlotte hing zu sehr an ihm, verband so viele Erinnerung mit diesem eigentlich bloß unpersönlichen Stück Holz, dass sie die Platten nicht austauschen konnte. Es käme ihr vor, als würde sie in diesem Moment auch ein Stück von Harry wegwerfen und genau das würde nie passieren.

„Wo ist der von letzter Woche?", fragte sie, während sie langsam ihre Finger zwischen all die Briefe steckte. Sobald ihre Finger auf das Papier trafen, das leicht raschelte und beinahe lebendig wirkte, stiehl sich eine Träne aus ihren Augenwinkeln. Eine einzige bloß, aber sie kam Louis vor wie ein Wasserfall.

„Hier", murmelte er, als er schließlich den gesuchten Brief aus dem Karton zog und ihr in die Hände drückte.

Charlottes Fingerspitzen strichen langsam über die Worte, die in Harrys geschwungener Handschrift auf dem Umschlag standen.

Zweite Juliwoche, Noah.

Sie wusste, wie viel Mühe er sich gegeben hatte, alleine diese drei Worte aufs Papier zu bringen, denn sie kannte seine Handschrift, wie konnte sie auch nicht, hatten sie beide zusammen jahrelang im gleichen Klassenraum verbracht. Sie wusste, wie krakelig seine Schrift gewesen war, wenn er sich nicht angestrengt hatte und wie er in besonderen Momenten plötzlich doch geschwungene Buchstaben zaubern hatte zaubern können, immer eine kleine Falte im Gesicht, wenn es ihm wirklich gewesen war.

„Willst du diesen wirklich als erstes lesen, Lottie?", erkundigte sich Louis mit sanfter Stimme, während sie beide auf den Brief in ihren Händen starrten, als könnten sie alleine dadurch bereits den Inhalt erfahren, der ihnen jedoch vollkommen unbekannt war.

Keiner von ihnen hatte eine Ahnung, was sie in dieser Kiste erwarten würde und dennoch fürchtete Charlotte sich nicht vor den Worten, kamen sie doch von Harry. Stattdessen machte ihr Herz einen kleinen Hüpfer, war endlich wieder lebendig und sehnte sich nach seinen Gedanken.

„Ja. Der hier ist für Noah. Das ist wichtiger als mein Brief", entgegnete Charlotte und sah mit einem kleinen Lächeln zu ihrem Sohn herüber, der immer noch auf der grauen Babydecke hockte, völlig ahnungslos von dem explodierenden Geheimnis, das sich heute von einem Mysterium in ein Wunder wandelte.

„Lottie?"

Sie drehte sich wieder zu Louis um, der sie aus blauen Augen mit besorgten Blicken bedachte, bevor seine Aufmerksamkeit wieder zu dem Brief flog, den sie immer noch zwischen den Fingern hielt.

Ein Teil von ihr wollte das Papier umklammern, als würde Harry so bloß wieder lebendig werden können. Als könnte sie so fühlen, wie er vor den weißen Seiten saß, die Stirn leicht gerunzelt, den Kugelschreiber oder vielleicht auch einen Füller in der Hand, während er die Worte langsam von Illusion zur Wirklichkeit verwandelte.

Doch der größere Part von ihr, der fürchtete sich davor, etwas zu zerstören, was ohnehin schon so zerbrechlich war. Sie wollte die Erinnerung an Harry nicht verlieren und sie fürchtete, dass genau dies passieren würde, wenn sie die Worte in ihren Händen zu fest erdrückte. Also hielt sie den Umschlag vorsichtig zwischen ihren Fingern, mit langsamen Berührungen, als hielte sie das Glück in der Hand.

„Charlotte."

Der Name, der so ungewohnt und gleichzeitig so vertraut in ihren Ohren war, flog über Louis Lippen. Riss sie zurück in die Gegenwart, hinfort von den Gedanken an die Liebe ihres Lebens, die sich immer wieder in ihren Kopf stielen. Es war wichtig, dieses Wort aus seinen Lippen, denn bloß in der Vergangenheit zu leben, brachte einen Menschen dazu, die Zukunft zu vergessen.

Also sorgte Louis Tomlinson dafür, sie wieder an die Oberfläche zu bringen, wie so oft in den letzten Monaten, an denen sie sich an manchen Tagen bloß stumm weinend aneinander hatten klammern können. Sie brauchten einander, brauchten ihren Halt und die gemeinsame Trauer, stützten sich gegenseitig in den Momenten, in denen die Welt stumm zu explodieren drohte.

Louis war es, der Charlotte in der Gegenwart hielt.

Doch Noah war es, der sie von der Zukunft träumen ließ.                             

„Willst du, dass ich dabei bin, wenn du den Brief liest?", bot Harrys bester Freund flüsternd an, als hätte er Angst, dass zu laute Worte die Umschläge wieder verschwinden lassen können.

Doch sie waren hier, befanden sich zwischen Charlottes Fingerspitzen, in der Kiste vor ihren Füßen, und sie würden nicht verschwinden, denn sie waren die Wirklichkeit.

Das hier war ein Teil von Harry, ein unverhofftes Geschenk, das tatsächlich bleiben würde.

„Nein, ich lese ihn erst später", entgegnete sie.

Charlotte Styles wollte es nachts machen, wenn der Mond bereits am Himmel stand und ihr Sternenjunge fast greifbar erschien. Als müsste sie bloß die Fingerspitzen nach oben strecken, doch so oft sie ihre Handflächen auch gegen das kühle Fensterglas presste, in das Dunkel der Nacht heraus schaute, Harry blieb letztendlich doch verschwunden.

„Willst du, dass wir Noah heute Nacht nehmen, Lottie?"

Louis Angebot war ernsthaft gemeint, keine bloßen Worte, sondern eine wirkliche Hilfe, das wusste sie. Doch Charlotte schüttelte trotzdem den Kopf, denn sie wollte in den kommenden Stunden der Nacht nicht ganz alleine sein in diesem großen Haus, das ihr an manchen Tagen doch viel zu klein erschien.

„Nein", murmelte sie also und schenkte Louis ein dankbares Lächeln, bevor sie die nächsten Worte, die nächste Wahrheit, über ihre Lippen fliegen lies. „Ich werde Noah den Brief heute Abend vorlesen. Ich meine, offensichtlich wird er ihn nicht verstehen, aber es fühlt sich falsch an, ihn nicht dabei zu haben, wenn die Worte doch eigentlich für seine Ohren sind."

Charlotte sah Louis unsicher an, als hätte sie Angst, dass er sie auslachen würde. Doch natürlich kam kein Gelächter über seine Lippen, natürlich zuckten seine Mundwinkel bloß kurz traurig nach oben, bevor sie wieder nach unten fielen. Der nächste Versuch eines Lächelns gelang ihm besser, erreichte seine Augen dennoch bloß gemischt mit Trauer.

„Das halte ich für eine gute Idee, Lottie", murmelte er. „Ich wette, Harry würde das auch so sehen."

Sie nickte, denn das wusste sie doch eigentlich bereits. Dennoch war es erleichternd, die Bestätigung auch in seinen Worten zu hören, war er doch einer der wenigen Menschen, der ihren Harry ebenfalls beinahe in- und auswendig gekannt hatte.

Nicht auf die Weise wie Charlotte selbst es getan hatte, es selbst heute noch tat, denn das würde niemand schaffen. Dafür banden sie zu viele Erinnerungen, zu viele gemeinsame Stunden, ihre gesamte Kindheit und beinahe ihr ganzes gemeinsames Leben aneinander.

Aber Louis Tomlinson hatte Harry Styles dennoch besser verstanden als die meisten anderen.

„Also dann liest du heute gemeinsam mit Noah." Louis nickte überzeugt von ihrer Idee und ließ seinen Blick dann auf die Kiste herabsinken, die immer noch zwischen ihren Füßen stand. Eine Grenze, die die beiden jedoch gar nicht brauchten. „Wo soll ich die Box hinstellen, Lottie?"

Sie überlegte eine Sekunde, die sich flirrend in einige weitere verwandelte, bevor sie schließlich in Richtung des Armsessels nickte, der sich in der Ecke des Wohnbereichs befand. Wenn sie die Augen schloss, dann konnte sie Harry einen Augenblick lang lebendig dort sitzen sehen, wie ein fester Teil des Mobiliars.

„Stell sie dort hin. Das ist Harrys Lieblingsplatz gewesen", entgegnete Charlotte leise.

Louis nickte stumm, bevor er die Kiste in seine Arme hob, eigentlich gar nicht so schwer und gleichzeitig erdrückend wie alle Kraft des Universums, und vorsichtig auf dem Armsessel platzierte.

Grüne Augen folgten seinen Bewegungen, als er an dem Kleinkind vorbeilief, doch das bemerkte der Ältere gar nicht.

„Bleibst du noch?", fragte Charlotte mit sanfter Stimme. „Ich habe vorhin Tee gekocht, falls du auch einen willst."

„Gerne", lächelte Louis, während er den Sohn seines besten Freundes betrachte, der auf der Decke mit den tausend Sternen lag.

Noah quietschte leise, als er seinen Plüschhasen durch in die Luft warf und sich dessen lange Ohren wie Propeller ausbreiten. Seitdem er heute Morgen herausgefunden hatte, dass Hasi fliegen konnte, versuchte er bereits, ihn in den Himmel hochzuschicken.

„Was genau tut er da?", wollte Louis stirnrunzelnd wissen, als sie beide zu dem Jungen starrten, der einen neuen Versuch wagte.

Charlotte schluckte hörbar. „Ich hätte ihm nicht andauernd erzählen sollen, dass sein Daddy im Himmel ist. Das war eine ganz blöde Idee, als würde ein Einjähriger das überhaupt verstehen und ich glaube, er versucht ganz einfach den Hasen zu Harry zu schicken."

„Oh." Das war alles, was über Louis Lippen kam, während die Zeiger weiterwanderten und die Kiste vor ihnen an Magie nicht verlor. 

Charlotte schwieg ebenfalls, weil Worte manchmal einfach nicht ausreichten.

Sie konnte nicht ausdrücken, wie sehr sie Harry vermisste.

Sie konnte nicht ausdrücken, wie leid es ihr tat, dass Noah ihn nie zu sehen bekommen würde.

Und vor allem konnte sie nicht ausdrücken, dass der Teil von ihr, der so unlogische und hoffnungsvolle, sich einfach an den Gedanken klammerte, dass Harry die Versuche seines Sohnes zumindest sehen konnte. Wusste, dass er nicht vergessen worden war.

Es war nicht so, dass sie daran glaubte, dass Noah überhaupt wirklich verstand, dass es eigentlich noch jemanden in seinem Leben geben sollte. Ein Teil von ihm ahnte es vielleicht, in kleinen Momenten, wenn Charlottes Lächeln etwas verrutschte oder sie den Raum verlassen musste, wenn sie die Wahrheit erdrückte.

Doch in Noahs Wirklichkeit gab es eben nur seine Mutter und den Vater, der vom Himmel auf ihn herabsah. Fast wie ein Märchen, was Charlotte ihm verkaufen wollte, um ihn noch ein wenig länger von dem Schmerz zu bewahren, dass er wirklich ohne Vater aufwachsen würde. Vielleicht erzählte sie die Geschichte von Harry, dem Sternenjungen, auch bloß deshalb als Gutenachtgeschichte, um sich selbst an ihn zu erinnern.

Doch irgendwann würde der Tag kommen, an dem sie Noah erklären musste, dass er bloß sie hatte, dass Harry fehlte, nicht weil er wollte, sondern weil es nicht anders ging. Ihr graute es jetzt schon davor, vor den Fragen, die folgen würden. Irgendwann, vielleicht nicht heute, vielleicht auch noch nicht nächstes Jahr, vielleicht er sehr viel später. Aber sie würden über Noahs Lippen fliegen, schließlich, wenn er begreifen würde, dass alle anderen Kinder zwei Elternpaare hatten, während es für ihn doch nur seine Mum gab, die ihn zu Bett brachte.

„Ich hole uns einen Tee", murmelte Charlotte, als die Gedanken sie zu tief herunterrissen und sie sich dennoch wieder zurück an die Oberfläche kämpfte. Denn aufgeben war nicht ihre Stärke und sie hatte im Leben bloß einen einzigen Kampf verloren. Doch die Niederlage gegen den Tod war zugleich ihre schmerzhafteste Schlacht gewesen.

„Wie geht es meinem Patensohn denn?", fragte Louis und ließ sich lächelnd neben das Kleinkind auf den Boden fallen.

Noah brabbelte einige Worte in die Luft, bevor er vergnügt auf quietschte und seine Ärmchen nach dem Älteren ausstreckte.

„Er hat dich vermisst. Dauernd deinen Namen gesagt", berichtete Charlotte lächelnd und reichte ihm eine Tasse Früchtetee, der längst nicht mehr wirklich warm war. „Vier Wochen Tour sind eine lange Zeit in seinen Augen."

Louis trank einen Schluck und setzte dann Noah auf seinen Schoß, um ihn auf seinen Beinen sanft in die Luft zu wippen.

„Willow hat angeblich andauernd das ganze Haus vollgeschrien, weil ich ihr abends nicht persönlich vorsinken konnte, aber das könnte auch Els damatische Ader sein", entgegnete der Mann grinsend.

Zum ersten Mal seit diese Kiste den Weg in Charlottes Haus gefunden hatte, lachte sie wirklich, während sie sich Louis' Tochter ohne Probleme direkt vor den Augen vorstellen konnte.

Willow Tomlinson bekam in der Regel, was sie bekam und wenn dem nicht so war, dann wusste sie auf sich aufmerksam zu machen. Die Einjährige war eine Prinzessin mit dem Teufel im Blick und Charlotte liebte sie nicht nur, aber auch gerade deswegen von ganzem Herzen.

„Ich kann es Ellie nicht verdenken. Es ist manchmal schwer, ganz alleine zu sein", meinte sie schließlich, als das Gelächter längst verflogen war.

Louis nickte, denn ihm war bewusst, dass Eleanor sicherlich in den letzten Wochen den schwierigeren Job gehabt hatte, während er bloß durch die Welt getourt war. Er hatte sie vermisst, sie alle. Nicht bloß Eleanor und Willow, sondern auch Noah und Charlotte.

Seine Familie, die eigentlich gar keine war, wenn man sie über Blut definierte. Aber doch waren die Fünf eine Einheit, nicht weil sie es sein mussten, sondern weil sie sich im Laufe der letzten Monate einfach dazu entwickelt hatten.

„Du weißt, dass du Noah jederzeit bei uns abladen kannst?"

Charlotte nickte. „Natürlich, Lou. Aber meistens ist es ganz schön, nicht ganz alleine zu sein. Noah ist mein größtes Glück, weißt du?"

Und natürlich verstand Louis Tomlinson das Mädchen, das neben ihm auf dem Boden kniete und lächelnd zu ihrem Sohn herunterblickte, der immer noch strahlte, während er auf seinen Beinen wippte. Wir könnte Louis sie auch nicht verstehen, wusste er doch selbst, wie es sich anfühlte, ein Elternteil zu sein. Egal wie anstrengend es auch manchmal war, es war letztendlich jede Sekunde wert.

„Glaubst du, dass das Harrys Plan war, Lottie?"

Sie grinste. „Dafür zu sorgen, dass ich nicht ganz alleine Ende?"

„Ja", murmelte Louis, unsicher, wie sie diese Worte aufnehmen würde. Sie kannten sich nun bereits seit einer halben Ewigkeit, aber es gab immer noch Momente, wo ihm das Mädchen mit den Sternenaugen vollkommen fremd war. In diesen Augenblicken wusste er sie nicht einzuschätzen und manchmal kam sie ihm vor wie das größte Rätsel des Universums.

Er befürchtete, dass sie explodieren würde, doch Charlotte schüttelte bloß lächelnd den Kopf.

„Nein, ich glaube nicht. Ich hatte den Gedanken auch schon einmal, aber wir haben nie wirklich darüber geredet und er hätte mir so einen Gedanken nicht verschwiegen", meinte sie. „Hazza hat sich einfach wirklich ein Kind gewünscht. Und als wir das beschlossen haben, da dachten wir noch, dass er zumindest Noahs erste Jahre miterleben könnte. Doch letztendlich –"

„Letztendlich ging es zu schnell", seufzte Louis, als er merke, dass sie die Worte nicht über ihre Lippen zwingen konnte.

Noah brabbelte etwas Unverständliches und Charlotte zog ihr Wunder lächelnd auf den Schoß. Als sie das Gesicht an seinem Shirt vergrub und ein paar Küsse auf seinen Bauch hauchte, kicherte ihr Sohn vergnügt. Alleine das reichte um das Loch in ihrem Herzen erneut zu verschließen. Die Erinnerung, die leere Stelle, würde nie verschwinden, aber Noahs Anwesenheit war die beste Medizin.

„Nicht die Haare, Noah", meinte Louis schließlich amüsiert, als er sah, dass sich die Finger des Kindes in die braunen Locken seiner Mutter klammerten. „Du willst doch nicht, dass deine Mum aussieht wie ein Schreckgespenst mit halber Glatze."

Lachend sah Charlotte zu ihm herüber, bevor sie sanft über den Kopf ihres Sohnes streichelte. „Ich brauche die Haare ohnehin nicht.

„Vielleicht will Noah sich einfach ein paar eigene klauen. Könnte er durchaus gebrauchen", scherzte Harrys bester Freund.

Das Mädchen mit den Sternenaugen streckte ihm die Zunge raus. „Noah hat Haare, Lou. Sie sind bloß hellblond und müssen noch ein wenig wachsen."

Louis half dem Baby dabei, seinen Kuschelhasen wiederzubekommen, als er fordernd die Hände danach ausstreckte. Egal wie sehr sie auch versuchten hatten, ihn an andere Weggefährten zu gewöhnen, er hatte einen Narren an dem weißen Plüschtier gefressen.

„Aber warum sind die Haare blond? Weder du noch Haz habt blonde Haare." Der Sänger stupste Charlotte an und zwinkerte ihr dann scherzhaft zu. „Ist da etwas, was du uns verschwiegen hast?"

Sie verdrehte die Augen. „Das ist Genetik, Lou. Außerdem hat Hazza als Baby blonde Haare gehabt."

„Dann bin ich ja beruhigt", lachte er und sie lachte mit, einfach weil es gut tat.

Es hatte Monate gegeben, da hatte Charlotte befürchtet, nie wieder Lachen zu können. Doch irgendwann war es besser geworden und mittlerweile wusste sie es wirklich zu schätzen.

„Ich sollte mal wieder nach Hause, bevor Willow die ganze Bude eingerissen hat. Wir sehen uns dann Morgen?", verabschiedete Louis schließlich.

Charlotte nickte und umarmte ihn zum Abschied. Kurz genoss sie das Gefühl seiner Arme, ließ sich fallen und schließlich lächelte sie, als er seinem Patensohn einen Kuss auf die Stirn gab, bevor Louis Tomlinson sich auf den Weg nach Hause machte.

Nun waren sie bloß nur noch zu zweit, das Baby mit den grünen Augen und das Mädchen, das ein ganzes Himmelzelt in ihren beherbergte.

Kurz erdrückte die Stille Charlotte, doch dann atmete sie tief durch und hob ihren Sohn hoch.

„Zeit den Abend einzuläuten, Großer."

Sie trug Noah mit in die Küche und fütterte ihn mit ungezuckertem Joghurt, wobei die Früchte mittlerweile nicht mehr wie ein Tornado durch den Raum flogen, sobald das Baby sie in den Mund geschoben bekam. Anfangs war es ein Desaster gewesen, doch Charlotte hatte sich geweigert aufzugeben. Das Neue änderte sich in Routine und mittlerweile hatten die beiden ihren Ablauf im Blut.

Nach dem Abendessen folgte ein schnelles Bad, bevor Noah dann erschöpft in den Armen seiner Mutter lag und sie sich in die Bettdecke des Schlafzimmers kuschelten.

Während Charlotte hinauf in den Himmel sah und ihren Sternenjungen suchte, öffneten ihre Finger vorsichtig den Umschlag, der in den letzten Stunden fortwährend in ihren Gedanken geschrien hatte.

Noah brabbelte leise vor sich hin, während seine müden grünen Augen auf den Brief gerichtet waren, deren Worte er noch nicht verstehen konnte.

„Das ist von deinem Dad, Noah", flüsterte Charlotte-. „Es ist sein Geschenk an dich."

Sie atmete einmal tief durch und faltete dann das dicke Papier auseinander, eines der teuren Sorte, über die sie sich ansonsten gemeinsam mit Harry lustig gemacht hätte. Doch Harry war nicht hier, er würde nie wieder hier sein und so konnte sie bloß leicht schmunzeln über das Briefpapier.

„Bereit zu wissen, was Dad dir zu sagen hat, Großer?"

Noah fixierte neugierig den Brief, als wüsste er von seiner Bedeutung und seine Mutter lächelte leicht.

Dann begann Charlotte zu lesen.

Leise, mit sanfter Stimme, hauchte sie den Worten Leben ein.


________________

Ihr Lieben,

Bevor ich irgendetwas anderes sage, muss ich zuerst folgendes loswerden: Ich bin total überwältigt von all eurem wundervollen Feedback und freue mich so sehr, dass wir diese Reise gemeinsam starten.

Da hätten wir nun also auch das erste Kapitel und somit den ersten Brief.

Irgendwelche Vermutungen worüber Harry in diesem geschrieben hat?

Ich werde versuchen alle 1-2 Wochen zu updaten. Deswegen ist nun meine Frage an euch: Habt ihr einen bestimmten Wochentag, den ihr bevorzugen würdet? Ansonsten würde ich nämlich einfach Mittwoch oder Freitag wählen.

Ein schönes Wochenende euch allen! <3

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