So Much to Learn | deutsche Ü...

By IthilRin

1.9M 69.4K 5.7K

„Talia, Baby, es tut mir so leid, ich meinte das nicht so. Ich bin bereit zu warten, das bin ich wirklich." I... More

Vorwort/Wichtig und anderes bla, bla...
You're Not the Same
Who's Gonna Save Us?
Sexx Laws
Safe Forever
Take me out
Saturday Morning
Chemical Heart
Up All Night
She Wants to Move
What's My Age Again?
Clean
Rough Diamonds
Danger! High Voltage
The Leaving Song Part II
I Thank You
All I Ask of you
Morning
Rollercoaster
Mutiny
It's Too Late
Heart's a Mess
I Know | You Know | I Know
Every Me Every You
Karma
Look What You've Done
Out of Control
Shout
A Slow Descent
Little Sister
Nature's Law
Happy Together?
Epilogue - Happy Heart

Tightrope Walker

44K 1.6K 66
By IthilRin

Am nächsten Morgen wurde ich brutal früh durch einen lauten Schlag an meiner Tür geweckt. Ich öffnete meine Augen und schaute verschlafen auf die Uhr, die 6:15 Uhr anzeigte. Was zur Hölle ...

Einen Moment lang überlegte ich nachzusehen, was das für ein Geräusch war, aber dann hörte ich, wie sich mein Türknauf drehte und setzte mich auf, um Matt ins Zimmer taumeln zu sehen.

Ich hätte es wissen müssen.

"Tut mir leid.", stöhnte er. "Hatte ein paar Probleme, die Türklinke zu finden."

Es hatte sich eher so angehört, als hätte er versucht, durch meine Tür zu laufen. Aber einem wirklich verkatert wirkenden Menschen konnte man keine Fehler bei seinen Entscheidungen vorwerfen.

Er torkelte das kurze Stück zu meinem Bett und ließ sich dann darauf fallen, wobei er sein Gesicht in meiner Bettdecke vergrub. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass er Alkohol und andere Ausdünstungen in meine Bettdecke blies und stupste ihn stattdessen ein wenig an, um zu sehen, ob er sich in der "Ich bin immer noch leicht betrunken und deshalb ist der Schmerz gering"- Kater-Phase oder in der "Ich will sterben"- Kater-Phase befand.

"Hilfe.", krächzte er. "Ich habe Schmerzen, hilf mir."

Nun, damit war die Frage beantwortet.

Ich seufzte, kletterte über seinen Körper und ging in die Küche. Einen Moment später kehrte ich mit einem großen Glas Wasser und ein paar Schmerztabletten zurück.

„War wohl eine gute Nacht, was?", fragte ich, während ich ihm dabei zusah, wie er das Wasser und die Medikamente in mehreren großen Schlucken hinunterschluckte.

"Ich habe keine Ahnung.", stöhnte er. "Die Schmerzen haben jede Erinnerung ausgelöscht, die ich je hatte."

"Oh, armes Baby.", sagte ich und wuschelte ihm durchs Haar, was ihm ein weiteres Stöhnen entlockte.

Ich ließ mich neben ihm auf das Bett fallen und gab ihm einen Schubs, damit er sich umdrehte und ich Platz hatte, mich hinzulegen. Ich hatte ein Doppelbett, also hätte es genug Platz geben müssen. Leider rollte er einfach weiter und ich musste ihn festhalten, bevor er komplett von der anderen Seite des Bettes rollte. Mit einem frustrierten Ausruf, hielt ich ihn mit meinen Füßen oben, um ihn dann mit den Händen flach auf den Rücken zu rollen, damit er einen sicheren Abstand zur Kante hatte.

„Du bist ein gutes Mädchen.", krächzte Matt, offensichtlich zurechnungsfähig genug, um zu wissen, dass er im Begriff war, vom Bett zu rollen, aber nicht klar genug, um das zu verhindern.

Ich lächelte leicht, kuschelte mich zurück unter die Decke und murmelte: "Und du bist ein guter Junge, jetzt lass uns versuchen, noch etwas zu schlafen."

Und genau das taten wir dann auch. Leider dauerte es nicht allzu lange, bis mein Schlummer erneut gestört wurde. Ich erwachte allmählich, als der Klang von ersticktem Gelächter in mein Bewusstsein drang.

Als ich die Augen aufschlug, sah ich drei Personen, die sich in meine Tür gequetscht hatten. Mein Herz machte einen gewaltigen Satz und schien dann stehenzubleiben, und es gelang mir gerade noch, den Schrei zu unterdrücken, der mir in der Kehle aufgestiegen war. Ich setzte mich auf und zog die Decke bis zum Hals hoch und starrte die Gruppe finster an.

"Was zum Teufel macht ihr da?", kreischte ich und hörte mich dabei an wie meine alte Englischlehrerin.

Simone, Sam und Jack grinsten mich gänzlich ohne Scham, dass sie dabei erwischt worden waren, Matt und mich beim Schlafen zu beobachten, an.

"Oh, beruhige dich.", lachte Simone, lehnte sich gegen meinen Türrahmen und sah unglaublich munter aus für, ich schaute auf die Uhr, 9 Uhr an einem Sonntagmorgen. "Ich wollte nur fragen, ob ich mir einen Pullover leihen kann, und dann habe ich gesehen, dass ihr beide so niedlich daliegt. Meine Brüder sind selten damit einverstanden, mit mir in einem Raum zu sein, es ist so süß, wie du und Matt miteinander auskommen."

Ich blickte zu Matt hinunter, der immer noch nichts von der Welt mitbekam und aus seinem weit geöffneten Mund gelegentlich schnaubte und schnarchte. Er sah zerzaust und schmutzig aus, und ich konnte seinen Säufer-Geruch von dort aus riechen, wo ich saß.

Niedlich? Süß? Ich denke nicht.

„Klar, was immer dich glücklich macht." Nach einem Moment sah ich mit hochgezogenen Augenbrauen zu Samsa und Jack hinüber. "Und was ist eure Ausrede?", fragte ich. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr die Niedlichkeit oder die Lieblichkeit genießt."

Die beiden zuckten mit den Schultern und sahen ein wenig verlegen aus. Zweifelsohne hatte Simone sie herbeigerufen, und der Anblick des sportbegeisterten Machos Matt, der so warm und kuschelig aussah, war zu schön, um ihn zu verpassen.

In diesem Moment stieß Matt ein besonders lautes Grunzen aus und weckte sich damit selber auf. Er hob seinen Kopf leicht an, öffnete verschlafen die Augen und erschrak, wie ich es auch getan hatte, beim Anblick unseres Publikums.

"Mein Gott!", rief er laut aus, bevor er sich eine Hand an den Kopf klatschte und „Au." stöhnte.

Ich verdrehte die Augen und glitt aus dem Bett, wohl wissend, dass ich nur meinen Schlafanzug trug, aber in Anbetracht der Gesellschaft war mir das egal. Ich schob mich an Sam und Jack vorbei, ging zum Kleiderschrank im Wohnzimmer und holte einen Pullover für Simone heraus. Ich warf ihn ihr zu und füllte dann ein weiteres Glas Wasser für Matt. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und stellte das Glas auf den Nachttisch, bevor ich mich zu den anderen umdrehte und die Hände in die Hüften stemmte.

"Ich glaube, die Show ist vorbei, wolltest du noch etwas anderes?"

"Nein, ich wollte nur den Pullover." Simone lächelte süß und zerrte dann an Sams Arm. "Komm schon, lass uns gehen." Sie schaute zu mir rüber. "Wir gehen joggen und dann werden wir den Rest des Tages lernen, ich rufe dich heute Abend an."

Sie und Sam den ganzen Tag zusammen? Sieh an, sieh an, sieh an. Sieht so aus, als hätte ich die ganze Zeit über recht mit ihnen gehabt. Ich warf Simone einen vielsagenden Blick zu und winkte sie dann weg.

„Klar, wie auch immer, wir reden später.", sagte ich, bevor ich meine Aufmerksamkeit auf Jack richtete.

Er hatte sich an mir vorbeigeschoben und saß nun mit dem Wasser in der Hand auf der Bettkante und versuchte Matt dazu zu bringen, es zu trinken.

"Ich will nicht.", grummelte Matt und klang dabei wie ein Dreijähriger.

Jack schien kein Mitleid zu haben, ergriff Matts Arm und zog ihn in eine halbwegs aufrechte Position, während er ihm das Glas in die Hand drückte.

"Sei nicht so ein Weichei, trink das Wasser.", befahl er und ohne weitere Proteste tat Matt das auch.

Ich musste lächeln, ich konnte nicht anders. Es war eine perfekte Darstellung ihrer Freundschaft. Matt war immer derjenige, der die dummen Dinge tat, und Jack war derjenige, der hinterher einsprang und die Dinge wieder in Ordnung brachte. Matt hörte auf Jack, wie auf niemanden sonst. Sicher, er und ich standen uns nahe, aber die Beziehung zwischen einem Bruder und einer Schwester war etwas ganz anderes als die zwischen besten Freunden.

Jack schaute auf und als er sah, dass ich ihn ansah, stand er auf. "Ich werde den ganzen Tag unterwegs sein.", sagte er leise, um Matt nicht zu stören. "Aber zum Abendessen bin ich wieder da, wenn du willst, dass ich koche." 

Ich nickte, dass ich verstanden hatte, und einen Moment lang sah es so aus, als wollte er noch etwas sagen, aber dann schien er es sich anders zu überlegen. "Bis später dann.", murmelte er und verließ dann den Raum.

Ich beobachtete durch die offene Tür, wie er seine Sachen zusammensuchte und dann die Wohnung verließ. Ich fragte mich, was er wohl den Tag über machen würde und was er ursprünglich noch sagen wollte. 

Mein Vater nannte mich immer Schnüffelnase, und wenn einer der Jungs ausging, beschrieb er mir normalerweise ausführlich, was er vorhatte, um meine endlose Neugier zu befriedigen, aber Jack war überraschend verschwiegen gewesen. Und ich hasste es, wenn Leute es sich anders überlegten, etwas zu sagen. Ich fragte mich dann immerzu, was ich verpasst hatte.

Als ich merkte, wie lächerlich ich mich benahm, schüttelte ich den Kopf und beschloss, nicht mehr daran zu denken. Wenn Jack etwas tat, von dem er wollte, dass ich es erfuhr, dann hätte er es mir gesagt und was die Sache anging, die er nicht gesagt hatte, nun, man konnte sein Leben damit verschwenden, sich zu fragen, was die Leute dachten, und meistens war es die Mühe einfach nicht wert.

Stolz auf meine reife Einstellung, hüpfte ich auf das Bett und stieß Matt an. "Nur du und ich, Bruderherz.", sagte ich mit unnötig lauter Stimme, woraufhin er aufstöhnte und mein Kissen über seinen Kopf zog.

Toll, es sah wohl eher so aus, als wäre ich auf mich allein gestellt. Ich schlenderte in das Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch fallen. Ich schaltete den Fernseher ein, schaltete ihn aber fast sofort wieder aus. An einem Sonntagmorgen lief nicht wirklich viel in dem Kasten. Lobgesänge und Verkaufssendungen waren so ziemlich das Einzige, was lief.

Ich war gelangweilt. Ich war so daran gewohnt, ständig einen Haufen Leute um mich herum zu haben, dass ich die Stille als ein wenig bedrückend empfand. Fantastisch, ich jammerte herum, wenn ich von all meinen Freunden beobachtet wurde und sie ständig in der Wohnung waren, aber jetzt stellte sich heraus, dass ich mich daran gewöhnt hatte. Ich schmunzelte gerade über die kleinen Schwierigkeiten des Lebens, als das Telefon klingelte.

Ich sah einen Ausweg aus meiner Langeweile, und raste förmlich zum Telefon und nahm den Hörer ab.

„Hallo!", sagte ich fröhlich. Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen, und ich strengte mich an, um etwas zu hören. "Ähm, hallo.", sagte ich erneut, wobei sich ein Hauch von Ungeduld in meine Stimme schlich.

"Hey Talia, ich bin's." Er sprach so leise, dass ich seine Stimme kaum erkannte, aber es war eindeutig er.

"Brad?!" Meine Stimme klang fast wie ein Quietschen, warum zum Teufel rief er mich an?

"Ja, wie ist es dir ergangen, Baby?"

"Auch wenn die Gefahr besteht, wie Madison Avenue zu klingen, Brad, nenn mich nicht Baby." Mein Gesicht war feuerrot und mein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Ich war so geplättet, dass er mich angerufen hatte, dass ich mich schwer auf einen der Küchenstühle fallen ließ.

"Hat Simone meine Nachricht übermittelt?", fragte er und klang dabei fast nervös.

"Ja.", antwortete ich knapp. Wieder herrschte langes Schweigen und ich seufzte laut. "Warum hast du angerufen? Was willst du, Brad?"

Seine Stimme klang bei seinen nächsten Worten unglaublich frustriert. „Ich will, dass alles wieder so wird, wie es war."

Ich schnaubte und fragte, bevor ich mich zurückhalten konnte: "Was, als ich offenbar eine gute Zeit hatte, während du hinter meinem Rücken alles gevögelt hast, was sich bewegt? Oh ja, das war eine tolle Zeit, dahin sollten wir wirklich wieder zurück."

"Hör auf sarkastisch zu sein, ich meinte, als alles noch in Ordnung war und alle miteinander auskamen. Jetzt kann ich kaum zwei Schritte auf dem Campus gehen, ohne einem der Rüpel deines Bruders über den Weg zu laufen, es ist, als ob sie mir verdammt noch mal folgen würden.", sagte er verärgert und ich verschluckte mich fast an meiner Empörung.

"Du willst, dass ich Matts Freunden sage, dass sie dir aus dem Weg gehen sollen oder, falls ihr euch zufällig begegnet, sie so tun sollen, als wärt ihr die besten Freunde, und als hättest du nicht die Schwester ihres besten Freundes völlig gedemütigt?"

"So habe ich es nicht gemeint.", schrie er schon fast. "Ich meinte, dass es mir leidtut und wir uns nicht streiten müssen. Wir könnten sogar wieder zusammenkommen, wenn du willst, solange die Schläger deines Bruders mich in Ruhe lassen."

Ich vergaß völlig, dass Matt in meinem Zimmer schlief, stand auf und schrie aus voller Kehle. "ICH HABE MIT DIR SCHLUSS GEMACHT, ARSCHLOCH, NICHT UMGEKEHRT. Und es tut mir leid, wenn du das Gefühl hast, dass man dir das Leben schwer macht, aber hey, wie man sich bettet, so liegt man." Ich knallte den Hörer auf und starrte schwer atmend an die Wand. Wie hatte ich nur jemals mit ihm zusammen sein können? Hatte ich denn überhaupt keine Selbstachtung?

Ich hörte vage, wie sich meine Tür öffnete und Matts Schritte in der Küche. Dann spürte ich, wie er seine Arme um meine Schulter legte, und ich lehnte mich für einen Moment an ihn und atmete durch meine Wut hindurch.

Es dauerte nicht lange, bis ich mich besser fühlte und mich meinem Bruder zuwandte. Er sah sehr blass und krank aus, sein Haar war strähnig und fettig und seine Kleidung zerknittert und stinkend. Ich wusste, dass ich nicht viel besser aussah, nur dass ich eher rot als blass war.

"Lass uns die Wohnungstür abschließen, nacheinander duschen gehen und den Tag mit beschissenen Filmen auf der Couch verbringen, was meinst du?", fragte er mit kratziger Stimme.

"Ich denke, das ist die beste Idee, die du je hattest.", antwortete ich ehrlich.

*****

Ich schleppte mich durch den Montag, wie jeder andere auch, mit viel Murren und dem Wunsch, dass immer noch Wochenende wäre. Vormittags hatte ich eine Doppelvorlesung und Kurse und nachmittags arbeitete ich in der Buchhandlung der Uni. Mir gefiel mein Job dort, abgesehen vom Anfang des Semesters war er nicht so stressig und die Leute waren nett, aber es war trotzdem ein Job und ich war mehr als froh, endlich nach Hause gehen zu können.

Als ich in die Wohnung zurückkam, sah ich Matt und Jack auf der Couch sitzen und ein scheinbar sehr ernstes Gespräch führen. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus, als ich dachte, dass Jack Matt erzählt haben könnte, was zwischen uns vor sich ging. Aber als sie aufblickten, sah ich keine Spur von Schuld in Jacks Augen und keine Wut in Matts und seufzte erleichtert auf.

Ich ging hinüber, ließ mich auf einen Stuhl fallen und sah sie fragend an. "Was ist los?", fragte ich.

Jack schaute zu Matt und nickte, als wolle er sagen: 'Du kannst es ihr erzählen.' Also richtete ich meine Aufmerksamkeit auf meinen Bruder und warf ihm einen Blick zu, der eindeutig sagte: 'Dann leg mal los!'

"Jack hat sich für ein Stipendium beworben.", sagte Matt und mein Gesicht entspannte sich zu einem Lächeln.

Beinahe hätte ich 'Ist das alles?' gesagt, aber ich konnte mich gerade noch zurückhalten, denn offensichtlich steckte mehr dahinter, als es den Anschein hatte. Warum schauten sie so ernst?

"Also, wie viel Geld würdest du bekommen?", fragte ich nach einer Weile, da keiner der beiden scheinbar mehr Informationen geben wollte.

Jack schaute mich zum ersten Mal richtig an, und ich sah, dass er, weit entfernt von der Begeisterung, die man in dieser Situation normalerweise erwarten würde, besorgt und angespannt aussah. "Sie würden mein gesamtes Studium bezahlen.", sagte er leise und mir fiel die Kinnlade herunter.

"Oh Jack, das ist ja riesig!", rief ich aus. Und das war es wirklich. Kein Studium war billig, aber da Jack Architektur studierte und es sich um einen der höheren Studiengänge handelte, würde es mehrere Jahre dauern, bis er ihn abbezahlt hatte. 

Matt und ich mussten arbeiten gehen, um Miete und Essen zu bezahlen, aber unsere Familie würde uns immer aushelfen. Jack hatte das nicht. Nun, Mum und Dad hatten ihm schon hunderte Male angeboten, ihm bei der finanziellen Belastung zu helfen, aber er hatte immer abgelehnt. Jack zog es vor, die meisten Dinge allein zu regeln.

"Ja, und es gibt noch mehr.", sagte er mit leiser, gleichbleibender Stimme, die ich in Anbetracht der Umstände einfach nicht verstand. "Ich würde ein Jahr, vielleicht auch mehr, meines Studiums in Oxford absolvieren ... in England."

Ich hatte das Gefühl, als wäre gerade ein schweres Gewicht auf meiner Brust gelandet. Darum schienen alle so deprimiert. Wenn er das Stipendium bekam, würden wir Jack für mindestens ein Jahr verlieren, vielleicht auch für zwei. 

Ich schaute zu Matt und dieses Mal sah ich genau, was er fühlte. Er wusste, dass dies eine große Chance für Jack war und es sein ganzes Leben vorbereiten könnte, aber ein kleiner, egoistischer Teil von ihm wollte ihm sagen, dass er es nicht machen sollte. Kurzum, er fühlte genau das, was ich auch fühlte.

"Wow!", sagte ich und brachte all meine Reserven an Begeisterung auf. "Das ist wirklich aufregend, was musst du machen, um es zu bekommen?"

Jack blickte auf den Stapel Papiere in seinem Schoß hinunter, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er die Bedingungen bereits Wort für Wort kannte. "Ein Anforderungstest, eine Eignungsprüfung und ein Vorstellungsgespräch, die alle Ende nächsten Monats stattfinden. Der Eignungstest wird nur einer dieser komischen Persönlichkeitstests sein, und das Vorstellungsgespräch sollte ich auch packen, aber der Anforderungstest wird im Grunde alles abfragen, was ich in fast drei Jahren gelernt habe."

„Oh weia, die verlangen ja nicht nach besonders viel, was?", scherzte ich. "Und du hast einen Monat Zeit, um alles auswendig zu lernen? Das ist hart."

"Ja.", stimmte Matt zu und sprang auf den Zug der vorgetäuschten Begeisterung mit auf. "Also lasst uns loslegen."

Ich nickte und stand auf. "Gut. Diese Wohnung ist jetzt offiziell das Hauptquartier des Jack-Stipendiums." Ich schaute zu Jack hinüber. "Zeig mir, was du lernen musst, dann können wir gleich loslegen. Ich ernenne mich hiermit zum verantwortlichen Chef-Tester." Ich schaute zu Matt hinüber. "Sorry Kumpel.", sagte ich mit einem Lächeln. "Aber wir wissen alle, dass du die Aufmerksamkeitsspanne einer Mücke hast und niemals in der Lage wärst, stundenlang jemandem Dinge aus einem Buch abzufragen."

Matt lachte nur. "Du wirst von mir keinen Widerspruch hören.", sagte er leichthin. "Ich werde Jacks Aufgaben übernehmen, damit er so viel Zeit wie möglich zum Lernen hat, und ich werde die anderen von hier fernhalten, damit es ruhig bleibt."

"Großartig!" Ich klatschte in die Hände. "Das wird auf jeden Fall klappen und-" Ich brach ab, als Jack abrupt aufstand, sich von uns abwandte und sich mit den Händen durch die Haare fuhr.

"Ich will nicht...", begann er unbeholfen, verbesserte sich dann aber. "Ich kann nicht zulassen, dass ihr euch so viel Mühe macht, mir zu helfen."

Matt und ich tauschten ungläubige und frustrierte Blicke aus.

Matt stand ebenfalls auf und ging langsam auf seinen Freund zu. "Hammer, Kumpel, ich weiß, dass du es nicht magst, jemandem etwas schuldig zu sein oder so, aber du musst uns dir helfen lassen. Wir überschlagen uns schon nicht um dir zu helfen."

Der letzte Teil war eine glatte Lüge, denn sowohl Matt als auch ich würden alles in unserer Macht Stehende tun, um ihm zu helfen, das Stipendium zu gewinnen, und Jack wusste das.

"Das ist nicht richtig, ich muss das alleine schaffen.", murmelte Jack, und bevor Matt oder ich weiter protestieren konnten, verließ er die Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu.

Ich wollte ihm nachgehen, aber Matt rief mich zurück, und als ich mich zu ihm umdrehte, schüttelte er den Kopf. "Nein, lass ihn gehen.", sagte er und ließ sich wieder auf die Couch sinken.

"Aber er ist wahrscheinlich nur auf das Dach gegangen.", protestierte ich, da ich wusste, dass das Jacks üblicher Rückzugsort war.

"Er muss sich erst einmal beruhigen und darüber nachdenken. Er kommt schon wieder zu sich.", beharrte Matt und ich setzte mich widerwillig ebenfalls hin.

Wir schwiegen ein paar Sekunden lang, dann platzte es aus mir heraus: "Warum macht er das immer? Sich zurückziehen und versuchen, alles allein zu machen? Das ist so verdammt frustrierend. Er muss doch wissen, dass es uns nichts ausmacht, ihm zu helfen. Wir sind im Grunde Familie, um Himmels willen!"

"So ist er nun mal.", seufzte Matt. "Er war schon immer ein unabhängiger kleiner Scheißer, aber das ist mehr als das. Er fühlt sich schuldig, weil er sich für das Stipendium beworben hat."

"Er tut was?" Ich schaute Matt überrascht an. "Warum in aller Welt sollte er sich schuldig fühlen?"

Matt nahm einen Stift vom Couchtisch und fing an, damit herumzufummeln, ein sicheres Zeichen dafür, dass es gleich um Gefühle ging. Gott, Männer waren Weicheier!

"Nun", begann er langsam, "auch wenn er seinen Vater nicht so oft sieht, glaube ich nicht, dass er ihn da oben allein lassen will."

"Sein Vater?" Ich schnaubte spöttisch. "Ein Ehrentitel, wenn es je einen gab. Er hat nicht gerade viel Vaterarbeit geleistet, oder?"

"Ach, komm schon, Talia.", sagte Matt unbeholfen. "Er hat eine harte Zeit hinter sich, gönn ihm eine Pause."

"Na ja, für Jack war es auch nicht gerade ein Zuckerschlecken.", wies ich ihn hitzig drauf hin. "Und er war auch nicht gerade vor dem Unfall Vater des Jahres, warum sollte ich ihm eine Chance geben, wenn er sie seinem Sohn nie gegeben hat?"

"Du weißt nicht einmal die Hälfte davon.", murmelte Matt düster, doch dann zuckte er mit den Schultern und stand auf. "Wie auch immer. Wenn Jack zurückkommt, versuchen wir es noch einmal, aber jetzt lass uns erst einmal mit dem Abendessen anfangen."

Etwa eine Stunde später, als ich in meinem Zimmer saß und mit Simone telefonierte, hörte ich die Tür zuschlagen und wusste, dass Jack zurückgekommen war. Eine Sekunde später schrie Matt, er solle seinen Hintern in sein Zimmer bewegen und ich lächelte, weil ich wusste, dass alles gut gehen würde.

Es hörte sich so an, als hätte Matt ihm eine halbe Stunde lang zusammengestaucht, während ich nur halb zuhörte, wie Simone davon plauderte, wie sehr sie es genossen hatte, in Sams und Mickys Wohnung abzuhängen. Schließlich wurde Matts Stimme leiser und ich konnte hören, wie die beiden anfingen, in normaler Lautstärke zu reden.

Simone und ich beendeten unser Telefongespräch und ich holte das Nick Hornby-Buch heraus, das ich vor kurzem angefangen hatte zu lesen, und kuschelte mich ein, um zur Abwechslung mal etwas zu lesen, das nichts mit dem Gesetz zu tun hatte. Ich hatte gerade das vierte Kapitel beendet, als ich ein leises Klopfen an meiner Tür hörte. Ich setzte mich auf und rief: "Ja?" Wohl wissend, dass es Jack sein würde.

Und wie vermutet, tauchte sein dunkler Haarschopf am Rand der Tür auf, und er lächelte mich mit seinem sanften Lächeln an.

"Ist es in Ordnung, wenn ich reinkomme?", fragte er. Ich nickte und winkte ihn heran.

Er setzte sich auf die Bettkante und sah auf seine Hände hinunter. Der Moment erinnerte mich an den vergangenen Mittwoch, als ich die fast identische Haltung auf seinem Bett eingenommen hatte.

"Also, äh, ich wollte mich nur für vorhin entschuldigen.", sagte er unwirsch. "Du wolltest mir nur helfen und ich war ein totaler Arsch, also tut es mir leid."

Ich rutschte näher zu ihm , sodass ich neben ihm kniete. "Mir tut es auch leid. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass du unsere Hilfe willst, und war aufdringlich. Ich weiß, dass du die Dinge gerne selbst in die Hand nimmst, und ich hätte sensibler darauf reagieren sollen."

Er lächelte plötzlich und sah auf, wenn auch nicht zu mir. "Machen du und Matt jetzt einen auf guter Bulle, böser Bulle?", fragte er lachend. "Er hat die letzte halbe Stunde damit verbracht, mich zu beschimpfen, weil ich so ein Idiot bin, und jetzt kommst du und sagst, dass du diejenige warst, die im Unrecht war."

Ich lächelte ebenfalls, sagte aber nichts, weil ich vermutete, dass er noch mehr zu sagen hatte. Wie ich vorausgesagt hatte, sah er mich einen Augenblick später endlich an, sein Blick war wieder ernst. 

"Ich hätte deine Hilfe nicht so ablehnen sollen. Es ist nur so, dass ich gestern den ganzen Tag darüber nachgedacht habe, ob ich mich bewerben soll, und ich habe es irgendwie als eine persönliche Sache verinnerlicht. Beinahe hätte ich dir gestern Morgen davon erzählt, aber ich dachte, wenn nur ich es wüsste, könnte ich mich immer noch entscheiden, es nicht zu tun, ohne dass es Konsequenzen hätte." Er lächelte verschmitzt. "Ich wusste, wenn ich es dir erzähle, würdest du mich zwingen, mich zu bewerben, ob ich will oder nicht, weil du denkst, es wäre toll für mich."

Ah, das war es also, was er gestern sagen wollte. Das Rätsel war gelöst.

"Ich brauche deine Hilfe, ich wusste gestern, dass ich sie brauchen würde, und ich wusste heute, dass ich sie brauchen würde, aber ich dachte nicht, dass es funktionieren würde."

„Wieso?"

"Ich dachte, du wärst vielleicht eher ein Hindernis als eine Hilfe.", sagte er und ich bäumte mich schockiert und ein wenig verärgert auf.

"Wieso?", fragte ich erneut, dieses Mal aber viel aggressiver.

"Ich dachte, wenn du mit mir im Zimmer bist, während ich versuche, zu lernen, würde ich mich von dir ablenken lassen. Du weißt schon, an nichts anderes denken als an unsere Vereinbarung." Er grinste reumütig und schüttelte den Kopf. "Nachdem ich eine Stunde auf dem Dach verbracht habe und an nichts anderes als an dich denken konnte, wurde mir natürlich klar, dass das ein ziemlich dummer Plan war."

Ich spürte, wie sich mein Ärger verflüchtigte und ein Hauch von verlegener Freude entstand. Er hatte an nichts anderes, als an mich denken können? Trotzdem schien er nicht zu merken, was er gesagt hatte, also schob ich meinen kleinen Egotrip beiseite und konzentrierte mich wieder auf ihn.

"Ich möchte dir helfen, Jack. Du verdienst dieses Stipendium und ich glaube wirklich, dass du eine Chance hast, es zu bekommen, also lass mich bitte alles tun, was ich kann, um dir zu helfen. Wir können diese dummen Lektionen sein lassen, wenn du willst, das lenkt nur ab.", hörte ich mich den letzten Satz sagen, bevor ich ihn richtig durchdacht hatte. Nein! Ich wollte die Lektionen nicht aufgeben. Ich hatte schon solche Fortschritte gemacht, die wollte ich nicht verlieren.

Er schien genauso überrascht zu sein wie ich über meine plötzliche Kehrtwendung. "Ist es das, was du willst?", fragte er. "Denn wenn dem so ist, dann sollten wir es nicht mehr tun."

"Es liegt an dir.", sagte ich und schob die Entscheidung wieder ihm zu. "Wenn du denkst, es wäre eine Ablenkung, dann..."

"Es wäre keine Ablenkung.", sagte er schnell und ich seufzte fast erleichtert auf.

"Also gut.", sagte ich langsam. "Dann machen wir mit den Lektionen weiter."

„Ja, wir machen mit den Lektionen weiter.", wiederholte er. „Und ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du mir beim Lernen für die Anforderungsprüfung helfen würdest, wenn du Zeit hast."

"Ich habe die Zeit.", versicherte ich ihm.

"Dann ist das ja geklärt." Er stand auf und drehte sich zu mir um. "Ich habe Glück, dass ich dich habe.", sagte er leise, bevor er sich herunterbeugte und mich sanft auf die Stirn küsste. "Wirklich Glück."

Continue Reading

You'll Also Like

21.4K 1.1K 13
𝑩𝒂𝒏𝒅 𝟑 Enisa die Tochter eines albanischen Mafia Bosses, der sich in dieser Branche nicht beliebt gemacht hat. Sie muss sich für ihre Rechte und...
2.1M 109K 54
Als die schlagfertige Klassenbeste bei einem neuen Putzjob auf ihren italienischen Gorillagang-Mitschüler trifft, muss sie die Wahrscheinlichkeitsber...
322K 13.6K 40
„Dem würde ich nur zugern die Meinung sagen." Das war der eine Satz, der Leonie's Leben auf den Kopf stellte, denn sie würde die Gelegenheit bekommen...
sure never By Lisa

Teen Fiction

960K 55.2K 50
Erster Augenkontakt. Buff, bang, baff. Zeitlupe, Sonnenschein. Wie in jedem schönen Kitschliebesfilm. Bei mir war es das komplette Gegenteil. Da war...