8. Dezember

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Nach der peinlichen Aktion von gestern, traute ich mich am nächsten Tag gar nicht wirklich an ihm vorbeizugehen. Die Situation wäre wahrscheinlich ganz merkwürdig, so, wie ich gestern geflüchtet bin. Und ich biss mir deswegen gerade selber in den Arsch, weil mir so ein Ausrutscher noch nie passiert ist. Naja, mal ganz abgesehen von körperlichen Ausrutschern, denn wenn man es genau nahm, sind mir gestern ja sogar zwei Ausrutscher passiert. An den Gedanken daran, wie ich aufs Eis flog, tat mir schon wieder der Hintern weh.

Nichtsdestotrotz musste ich zur Uni und packte meine Sachen zusammen, damit ich pünktlich zur ersten Vorlesung an diesem Tag da sein würde. Ich schlüpfte in meine Schuhe, zog mir meine Jacke an und setzte mir anschließend noch meine Mütze auf den Kopf, bevor ich meine Wohnung verließ. Anschließend machte ich mich auf den Weg durch die Straßen.

Ich sah seine unverkennbaren Locken, die immer etwas aus seiner Mütze hervorlugten, schon von Weitem. Kaum war ich keine zehn Meter mehr von ihm entfernt, hatte er mich entdeckt und drehte sich sofort um. „Hey", begrüßte ich ihn mit einem Kopfnicken.

Geschockt sah er mich an. „Wie jetzt, du sagst mir Hallo? Das hast du ja noch nie gemacht. Geht's dir gut?", gespielt entsetzt schlug er sich die Hand vor dem Mund.

Ich verdrehte einfach nur die Augen. „Jaja, mir geht's gut. Auch nach dem Sturz gestern. Komischerweise ist meine Laune auf einer Weihnachtsskala von -10 bis 0 gar nicht mal soo kacke. Ich würde sie auf eine -4 schätzen. Aber das bleibt nur so, wenn du mir jetzt nicht meine Laune vermiest." Ich knuffte ihn leicht gegen die Schulter, um meine Drohung zu verdeutlichen.

Abwehrend hob er die Hände hoch. „Ist ja gut. Übrigens, mich wundert es, dass du dir noch immer keine neuen Schuhe gekauft hast. Mit denen bist du doch schon zweimal hingeflogen. Die haben echt gar kein Profil und sind wirklich nicht für den Winter geeignet." Er zeigte auf meine Schuhe und sah sie mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen an.

Zugegebenermaßen, es waren wirklich keine Winterschuhe. Eigentlich waren es eher Herbstboots und besonders teuer waren sie auch nicht gewesen. Aber schön.

„Jaja Papa, mache ich vielleicht irgendwann Mal", sagte ich ironisch. Ich stieß die Luft aus und vor mir bildete sich eine weiße Atemwolke.

Er zuckte mit den Schultern. „Deine Schuld, wenn du weiterhin hinfliegen willst."

Ja, war es vielleicht, aber das war mir gerade egal. Ich wollte es nicht zugestehen und ihm damit Recht geben.

„Das wird kein Problem sein, ich werde nicht noch einmal hinfliegen", sagte ich selbstsicher.

Er zog die Augenbrauen in die Höhe. „Aha, na wenn du dir da so sicher bist, dann Hals- und Beinbruch." Als ich seinen Wortwitz hörte, warf ich ihm nur einen genervten Blick zu.

„Wie dem auch sei, ich muss weiter. Und nein, ich werde heute nichts spenden."

„Warte", sagte er, bevor ich mich abwenden konnte.

„Ich habe nachgedacht." Skeptisch sah ich ihn an, als ich in seine grünen Augen schaute.

„Naja, also es klappt ja anscheinend nicht dich zum Spenden zu bewegen, wenn ich dir dafür ein Date anbiete. Also habe ich eine andere Idee." Er atmete einmal aus und tief wieder ein, bevor er fortfuhr.

„Du gehst mit mir auf ein einziges Date und wenn es dir nicht gefällt, dann lass ich dich in Ruhe und werde nie wieder in dieser Straße stehen. Und du musst nichts spenden. Das schwöre ich."

Er sah mich direkt an. Skeptisch sah ich zurück. Ein Date mit ihm? Nein Danke. 

Andererseits, wenn ich dieses eine überlebte, würde ich ihn nie wieder sehen. Und ich könnte meinen Uniweg einfach wieder ganz gewöhnt ohne Störung zurücklegen.

„Ein einziges Date?", fragte ich zur Sicherheit nach. „Nicht mehr?"

„Nicht mehr. Nur das Date", bestätigte er. Ich konnte sehen, dass er gespannt auf meine Antwort wartete.

Ich biss mir auf die Unterlippe, während ich die Argumente abwägte.

„Und danach stehst du hier nie wieder?", fragte ich skeptisch nach.

„Nie wieder. Obwohl ich nicht behaupten kann, dass diese Ecke nicht gerade wenig lukrativ war. Man hat immer nette Leute kennengelernt." Das 'nett' betonte er dabei besonders und er grinste mich an. Ich wusste auf was er hinauswollte. Oh Gott, wenn ich dem Date zusagen sollte, wie sollte ich da wieder lebendig rauskommen ohne wahnsinnig zu werden?

„Hmmm", murmelte ich, als ich weiter überlegte. Ich schloss kurz die Augen und hörte die Worte von Betty und meinem Vater. Du kannst nicht immer nur alleine sein. Öffne dich wieder mehr und springe über deinen Schatten. Triff dich mal wieder mit jemandem.

Schließlich öffnete ich meine Augen, seufzte und in einem Moment der Überwindung sagte ich schließlich „Ok."

Überrascht sah er mich an. „Du sagst ja?"

Ich nickte. „Aber bilde dir da bloß nichts darauf ein, ich mach das nur, damit ich meinen Uniweg in Zukunft wieder ohne nervige Typen und Bodenstürzen zurücklegen kann."

„Klar doch." Er grinste schon wieder und mir kam so ein komisches Gefühl, dass er mir kein Wort glaubte.

Plötzlich fiel mir etwas ein. „Wie heißt du eigentlich?" Bei all den Begegnungen ist mir nie aufgefallen, dass ich seinen Namen gar nicht wusste.

„Noah", er hielt mir die Hand hin. Ich nahm sie an und spürte seinen warmen Händedruck.

 „Leonie". Auch wenn er meinen Namen schon kannte, sagte ich ihn trotzdem nochmal, um es offiziell zu machen.

„Schön dich kennenzulernen, Leonie." Er sah mir dabei in meine grauen Augen.

„Die Freude ist nicht meinerseits", antwortete ich nur mit einem gekünsteltem Lächeln.

Ich ließ seine warme Hand wieder los und stützte mich wieder auf meinen Krücken ab.

„Ich muss jetzt wirklich los."

Er nickte. „Wir treffen uns hier, Sonntag 19 Uhr". Ach ja, das hatte ich fast vergessen.

Ich nickte. „Wenn's sein muss, also gut, Sonntag, 19 Uhr", wiederholte ich, um mich zu vergewissern. „Tschau", ich ging einfach an ihm vorbei. Ich war nämlich jetzt wirklich spät dran.

„Bis dann, Leonie", hörte ich ihn noch rufen, bevor ich hinter der nächsten Straßenecke verschwand. 

Wie schlimm konnte ein Date schonwerden? 

Der Winter In DirWhere stories live. Discover now