4. Dezember

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Müde musste ich mir ein Gähnen unterdrücken, als ich am Montagmorgen die Haustür hinter mir schloss und auf die Straße trat. Der Schnee war übers Wochenende etwas matschig geworden und sah jetzt eher aus wie braune, hässliche Klumpen am Straßenrand. Bei dem Anblick verzog ich das Gesicht. 

Mit meinen Krücken lief ich langsam die Straße entlang und machte mich auf den Weg zur Uni. Ich hatte mir extra dicke Handschuhe angezogen, damit meine Finger nicht abfroren, wenn ich sie schon nicht in die Tasche stecken konnte und ich keine Blasen von den Krücken bekam. Während ich nur langsam vorankam, ging ich im Kopf schon mal den Uni-Tag durch.

Am Morgen hatte ich gleich eine Vorlesung und danach ein Seminar. Danach hatte ich ein wenig Zeit fürs Mittag in der Mensa, bevor ich noch zwei Tutorien besuchen musste.

Ich bog gerade um die Straßenecke, als sich etwas in meinem Blick verfing. Oder eher jemand.

Ich sah an dem – heute grünen – Weihnachtspulli hoch in ein freches Grinsen. Auch er entdeckte mich sofort.

„Na, kannste doch nicht ohne mich?", er schaute mich neckend an.

Ich stieß meine kurz angehaltene Luft aus, schloss für einen Moment meine Augen, um mich zu sammeln, bevor ich sie wieder öffnete und meine Augenbrauen hochzog: „Bisste hier festgewachsen?"

Er lachte. Und ich musste leider zugeben, dass ich es mochte, wenn er lachte. „Nein, soweit ich weiß, habe ich noch keine Wurzeln an den Füßen, aber vielleicht sollte ich lieber mal nachschauen." Er tat so, als würde er seine Füße inspizieren, während ich ausdruckslos daneben stand und mich fragte ob er das gerade ernsthaft tat, bis er wieder hochschaute. „Alles fit. Und wie sieht es bei dir aus? Heute bereit für eine Spende?" Er zwinkerte mir zu.

Ich schüttelte den Kopf. „Sicherlich nicht. Sorry, aber das Geld kann ich momentan selbst ganz gut für sinnvollere Dinge gebrauchen." In dem Moment, als ich es aussprach, bereute ich meine Worte wieder. Das klang total herzlos. Ich wusste, dass es Familien da draußen gab, denen es nicht gut ging, noch viel schlechter, als mir, selbst in unserer Stadt. Aber irgendwie bereitete er mir immer so schlechte Laune und brachte mich total auf die Palme, wenn ich ihn sah, dass ich nicht anders konnte, als dass ich kalt und egoistisch klang. Immer, wenn ich mit ihm sprach, brachte er meine schlechteste Seite hervor. Es ist, als würde mich das Schicksal zu Weihnachten immer doppelt verfluchen wollen, um mich extra zu ärgern. Und zwar dieses Jahr in Form dieses Menschens vor mir.

Ich sah auf den Boden und konnte ihm nicht mehr in die Augen schauen.

Ich hörte ihn vor mir ernst antworten: „Das Geld ist nicht sinnlos. Unsere Arbeit ist nicht sinnlos. Du solltest das mal sehen. Wir machen damit vielen Familien eine Freude. Gerade Kindern. Hast du jemals ein Kind staunen und lachen gehört, wenn man es überrascht? Das ist eines der schönsten Dinge im Leben."

Ich nickte. „Sorry, das sollte nicht so herüberkommen. Ich habe nur momentan nicht so viel Geld, okay?" Ich seufzte und schaute weiterhin an ihm vorbei.

Er zuckte mit den Schultern. „Kein Problem, ich kann ab jetzt jeden Tag hier stehen und dich zu einer Spende überreden." Und mit diesem einen Satz lockerte er die Stimmung auf, so als hätte es die kurze Ernsthaftigkeit davor nie gegeben und er grinste.

„Unterstehe dich!", rief ich entrüstet. „Danke, ich verzichte."

„Wir werden sehen, irgendwann bekomme ich dich schon noch überredet."Und immer noch hatte er dieses fiese Grinsen auf seinem Gesicht..

„Nie im Leben!" Ich machte mich drauf und dran endlich weiterzugehen, schließlich musste ich rechtzeitig zur Vorlesung da sein und stöckelte langsam an ihm vorbei.

„Wir sehen uns Morgen, Leonie!" Ich dreht mich überrascht zu ihm um. Woher kannte er meinen Namen? Er deutete meinen überraschten Blick richtig und zeigte auf meine Tasche, an der mein Studentenausweis hing. Ich schüttelte meinen Kopf und drehte mich wieder um, konnte mir aber auch ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

Er dachte er würde mich Morgen wiedersehen? Nicht, wenn ich einfach einen Umweg gehe, aber da musste er ja nicht wissen.



Der Winter In DirWhere stories live. Discover now