6. Kapitel - Bessere Sinne

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Natürlich war es Nate persönlich, der sich zu mir setzte. Plötzlich waren aber alle Gespräche die ich hörte verstummt. Erleichtert atmete ich aus und sah dann Nate an. Na toll, jetzt wird es noch mehr Tratsch über mich und ihn geben. Immerhin waren diese Gespräche verschwunden. „Kannst du wieder gehen?“, fragte ich ihn mit stechendem Blick.

Er zog nur die Augenbraue hoch und grinste. „Warum sollte ich? Darf ich hier nicht sitzen?“, fragte er. Ich unterdrückte die Schimpfwörter die sich gerade in meinem Kopf sammelten und blieb bei einem trockenen: „Doch bleib ruhig hier sitzen. Ich gehe.“ Ich stand auf und lief einfach raus. Irgendwie machte er mich heute aggressiv. Wegen ihm redet die ganze Schule über mich und jetzt bin ich vermutlich eine seiner Schlampen. Darauf kann ich gut verzichten, also sollte ich mich erstmal von ihm verhalten, bis sich die Lage beruhigt hat. Wenn er tatsächlich etwas von mir will, dann kann er mir das klar ins Gesicht sagen, damit ich ihm eine Abfuhr erteilen kann.

Nachdem ich es geschafft hatte ihm während der Pause aus dem Weg zu gehen, kam nun der Sportunterricht. Leider hatten wir zusammen mit den Jungs Sport, da wir dummerweise einen Sportlehrermangel an der High school hatten.

Ich zog mich um und Talia und ich liefen in die Sporthalle. Unser Sportlehrer hatte uns heute einen Parkour aufgebaut. Immerhin konnte ich hier mal etwas Dampf ablassen. Wir stellten uns in eine Reihe und jeder durchlief den Parkour. Als ich an der Reihe war sprintete ich los und flog fast über den ersten hohen Kasten. Dann kletterte ich auf den Barren und rannte so schnell darüber, ohne einmal zu schwanken. Wow, so schnell war ich noch nie! Als nächstes nahm ich das Seil was von der Decke hing und zog mich hoch. Auch das geschah so schnell das ich selber nicht glauben konnte wie hoch ich war. Als ich wieder unten war bemerkte ich, dass mich die ganze Klasse mit großen Augen ansah. Ich ignorierte sie nur und ging zur letzten Station. Eine Kletterwand. Aber auch da schaffte ich es schnell und geschickt ganz hoch zu kommen. Oben angekommen kletterte ich auf die Rückseite und statt normal runter zu klettern, beschloss ich einfach runterzuspringen. Ich landete auf den weichen Matten und rollte mich einmal, damit ich wieder auf meinen Füßen zum stehen kam. Als ich durch die zwei Hütchen rannte, die das Ziel symbolisierten, jubelten einige. Besonders Talia sprang wie verrückt herum. Ich lief wieder zurück und mein Sportlehrer kam klatschend auf mich zu.

„Wow, dass hast du klasse gemacht, Naila. Ich hatte nie bemerkt, dass du so gut im Parkourlauf bist. Du hast dir die eins verdient“, sagte er und trug die Note in sein Buch ein. Glücklich bedankte ich mich und lief wieder zu den anderen. „Glückwunsch, du bist besser geworden!“, sagte Nate zu mir. Ich lief aber nur an ihm vorbei und umarmte Talia. „Wow, du hast das richtig gerockt, Süße! Du hast bestimmt heimlich trainiert, stimmt?“, fragte sie mich. „Nein, aber ich bin heute einfach so energiegeladen. Ich könnte Bäume rausreißen!“, sagte ich zu ihr. Wir kicherten und warteten bis alle den Parkour durchloffen hatten.

Als die letzte Stunde auch endlich zuende war, beschloss ich heute nicht mit dem Bus nach Hause zu fahren, sondern zu laufen.

Nach ungefähr einer Stunde war ich dann wieder Zuhause und aß zu Mittag. Auf lernen hatte ich aber heute überhaupt keine Lust. Irgendwas trieb mich heute raus. Ich hätte einfach lust rauszugehen und im Wald zu rennen, um mich auszutoben. Ich stand von meinem Stuhl auf und öffnete mein Fenster weit. Kühle Luft wehte durch meine Haare und das Bedürfnis stieg immer mehr. Fast so, als würde mich jemand tief in mir dazu drängen.

Nach weiteren Minuten gab ich auf und kletterte einfach aus meinem Fenster. Mein Zimmer befand sich zwar im ersten Stock, aber trotzdem waren das gute zwei bis drei Meter. In der Schule im Sportunterricht waren das auch einige Meter gewesen, aber dort waren auch Matten. Das Adrenalin packte mich aber und ich sprang ab und rollte mich am Gras ab. Immerhin hatte ich noch meinen Schlüssel mitgenommen.

Ich blieb nicht lange stehen und rannte Richtung Wald. Zum Glück musste ich nur einige Meter die Straße runter gehen und schon war ich am Waldweg angekommen. Aber anstatt ich den Schotterweg nahm, rannte ich einfach quer in den Wald rein. Ohne Orientierung, ohne Ziel. Ich beschleunigte so lange, bis meine Beine an ihre Grenzen kamen. Schwer atmtend kam ich zum Stehen und legte mich einfach in das weiche Moos zwischen den Grashalmen. Ich schloss die Augen und kam erstmal wieder zu Atem. Als es dann ganz still wurde, lauschte ich den Geräuschen des Waldes.

Ich konnte die Wärme der untergehenden Sonne auf meiner Haut spüren. Die Feuchtigkeit des Waldboden, das leise Rascheln der Blätter im Wind und das zwitschern eines Vogels hörte ich ebenfalls. Als ich mich immer mehr in die Geräusche vertiefte, konnte ich sogar das leise Rauschen eines Baches und das picken eines Spechtes am Baum hören. Erneut überraschte mich mein Gehörsinn, aber er war nicht der einige Sinn. Auch meine Nase schien nun ganz neue Gerüche festzustellen. Ich roch die Blüten neben mir und auch den Harz der an der großen Eiche neben mir herunterloff. Selbst süßer Honig scheint hier in der Nähe zu sein. Denn ich hörte auch das Summen vieler Bienen.

Ich öffnete die Augen wieder und alles um mich herum schien klarer zu sein. Ich schien mehr Orientierung zu haben und ich wusste nun wo sich all diese Dinge befanden. Im Wald wurde es mittlerweile ziemlich dunkel, weshalb ich lieber umkehren wollte. Eigentlich würde ich hier noch Stunden meine Zeit verbringen, aber der Gedanke an dieses Eigenartige Tier im Wald machte mir doch noch etwas Angst.

Also lief ich schnell wieder aus dem Wald raus. Auch jetzt war es wieder, wie als wüsste ich automatisch den Weg.
Als ich endlich vor meiner Haustür stand, war es schon längst dunkel. Ich kramte meinen Schlüssel aus meiner Hosentasche und schloss auf. Im Haus war es dunkel und still. Meine Eltern schlafen wohl schon, also muss es doch schon relativ spät sein. Als ich auf die Uhr im Wohnzimmer sah, war es 22 Uhr. Die Zeit ist heute so schnell vergangen, dachte ich. Schnell schlich ich mich hoch in mein Zimmer und schloss mein immer noch offenes Fenster.

Panthera - The last PrincessWhere stories live. Discover now