20 Benjen

1 0 0
                                    

Teil 2

Benjen rief sich die stumpfen, grauen Erinnerungen an seinen Vater ins Gedächtnis. Sein verbittertes Gesicht, die toten Augen, als würden sie aus Rauch bestehen. Wie konnte dieser Mann ihm immer einen Schritt voraus sein? Die Welt schien ihn zu betrügen, ihn hinters Licht zu führen und hämisch über ihn zu lachen. Seine Wut war unermesslich, füllte seinen Verstand mit dunklen Bildern. Wie sollte er mit all dieser Wut umgehen, die wie heißes Öl in seinen Adern rauschte. Eine Last, die Leere der Enttäuschung. Noch nie war ihm jemand entkommen, niemals. Er war nie zu feige gewesen zuzuschlagen, hatte nie die Augen geschlossen, bevor er zum ersten Hieb ansetzte. Nun wollte man ihn vorführen, wollte ihn verspotten.

Benjen erinnerte sich wie sein Vater sagte: "Du musst dich auf dein Ziel konzentrieren." Er hatte ihm beigebracht die Axt zu schwingen, hatte seine kleinen Hände um den rauen Griff gelegt und einen Holzklotz vor ihm platziert. War er denn nie gut genug, seine Beachtung zu erlangen? Benjen sah die verzerrte Visage seines Vaters vor ihm, wie er grinste, wie er über ihn spottete, seinen Sohn, der es nie schaffte, ihn zu übertrumpfen. Die Niederlage riss an ihm, wie der reisende Strom des Flusses. Die Niederlage überspülte ihn, ließ ihn in sich zusammenfallen, all die Kraft in blanken Rauch auflösen.

Wie ein geschlagener Hund stand er nun in der Mitte dieses Zimmers, die blutige Axt zu seinen Füßen. Doch er würde jetzt nicht auf die Knie sinken, diese Pein würde er sich nicht zugestehen. Nicht hier im Haus seines Vaters. Er würde nicht den Blick vor ihm senken, wie seine Mutter es getan hatte, wie es diese Frau unter dem Apfelbaum womöglich tat.

Benjen griff nach der Axt, verließ den Dachstuhl und fand seinen Weg zurück in das Wohnzimmer. Das Hausmädchen lag noch an Ort und Stelle, so wie er es dort platziert hatte, kennzeichnete seine Wut. Sein Vater würde es finden und Benjen hoffte, er würde wissen, wer ihm das antat. Sie lag dort wie ein geschlachtetes Kalb, rot und schlaff, mit Haut so trüb und grau wie Asche. Ein Mahnmal, dass er mit eigenen Händen geschaffen hatte, dass die Sorglosigkeit, die das Haus ausstrahlte, zerbrach. Die kalten Augen der Porzellanfiguren starrten ihn an, starrten sie an, wie sie dort lag. Es waren dürre Hunde mit demütigem Blick, fauchende kratzten mit ausgefahrenen krallen. Stumme Zeugen von seiner Tat. Könnten sie nur sprechen, könnten sie seinem Vater doch nur genau schildern, was sich in seinem Wohnzimmer zugetragen hatte.

Benjen verließ das Haus durch die Terassentür. Sein Blick fiel auf die Frau, die immer noch mit geschlossenen Augen vor ihm im Gras lag. Er konnte das seichte Heben und Senken ihrer Brust erkennen. Was würde sie wohl tun, wenn sie ihr Hausmädchen sah, würde sie schreien?

Es wäre jetzt so einfach. So einfach, die Axt über seinen Kopf zu heben und sie auf sie nieder zu schlagen, sie zu spalten wie trockenes Holz. Er sollte es tun. Er sollte dafür sorgen, dass nichts mehr von dem übrig war, was sein Vater sich aufgebaut hatte. Er sollte ihm alles nehmen. Seine Muskeln spannten sich an. Nur einmal ausholen, ein gezielter Schlag.

Doch er konnte es nicht. Die Niederlage hatte ihn weich werden lassen. Er war wieder dieser kleine Junge, der mit großen Augen zu seinem Vater aufsah. Wieso konnte er das hier nicht einfach beenden? Etwas regte sich in ihm. Es würde ihm leichter fallen, wenn diese junge Frau ihn nicht so schrecklich an seine Mutter erinnern würde. Wie sie dort lag, die Augen fest geschlossen, die Sonne im Gesicht. Ihre Haut war so bleich, getrübt von Sorgen. Er hatte sie weinen gesehen, hatte gesehen, wie sie unter seinem Vater litt, was er ihr antat. Es hatte sich nichts verändert, er hatte sich nicht verändert.

Seine Arme wurden schwach, als er diesen zerbrechlichen, nein, bereits zerbrochenen Menschen vor sich sah, als all die Erinnerungen wieder in seinen Kopf schossen, als er daran denken musste, wie seine Mutter mit Augenringen, so tief wie die Nacht selbst, in ihrem Bett kauerte.

Die Minute des SoldatenWhere stories live. Discover now