10 Jonathan

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Teil 2

Neben Offizier Hephworth stand ein weiterer Mann. Seine blauen Augen wirkten besorgt, die Hand hatte er wie zum Schutz auf die Schulter des Offiziers gelegt.

"Ich grüße sie.", sagte der Mann und streckte Jonathan seine Hand entgegen. Dieser nahm misstrauisch an. Jonathan musterte den Offizier eindringlich und mit einem Mal merkte er, dass auch dieser älter geworden war. Es war kein Offizier, der vor ihm stand. Es war ein etwas in die Jahre gekommener Mann mit von der Sonne gegerbter haut und erlebnismüden Augen. Auch er hatte den Krieg hinter sich gelassen.

Und doch standen sie sich heute an diesem Ort gegenüber und es war, als hätte sich nichts zwischen ihnen verändert. Es war die Wut, die Schuld die auf ihren Schultern lastete und der verletzte Stolz der sie dazu antrieb, ein letztes Mal auf das Schlachtfeld zurückzukehren. Doch diesmal nicht Seite an Seite. Nur einer würde diesen Tag überleben. Nur einer hatte die Chance das Vergangene ein für alle Mal aus seinem Leben zu wischen.

"So wird es also sein Ende finden. Sie hätten sich vor der Schlacht überlegen sollen, wem ihre Treue gebührt, bevor sie mich zum Gespött der ganzen Truppe gemacht haben.", sagte Hepworth mit einem finsteren Blick.

"Ich werde Zeuge des Duells sein und Adjutant.", verkündete der junge Mann, der sich nun in das Gespräch einmischte.

Jonathan nickte. Es war gut bedacht von Mr Hepworth, jemanden mitzubringen, der darauf achtete, dass alles mit rechten Dingen zu ging. Doch Jonathan wusste, dass das Duell nur zwischen ihm und dem ehemaligen Offizier ablaufen würde. Es war ihr Kampf der gekämpft werden musste.

Ihre Augen verfingen sich in einander, es war die Stille Einstimmigkeit, die sein Begleiter nicht begreifen konnte. Mr Hepworth holte seine Pistole hervor. Die Waffe in seiner Hand, vervollständigte das Bild. Sie standen sich gegenüber, ergänzten sich in ihrer Symmetrie. Der selbsternannte Adjutant blieb in der Mitte stehen, während sie sich umdrehten, an den Bahngleisen entlang gingen, bis einige Meter zwischen ihnen lagen. Der Wind bauschte den Mantel seines Gegenübers auf. Eine ungreifbare Spannung lag über der Szenerie. Jonathan kniff die Augen zusammen, streckte den Revolver vor sich aus. Er blicke entlang seines Armes, das Ende des Revolvers zeigte auf die Brust des Mannes. Es war der Offizier, wie er vor all den Jahren seine Befehle gegeben hatte, der nun wieder vor ihm stand.

Wie das Beben eines gewaltigen Gewittersturmes, brach es über Jonathan herein. Die Waffe in seiner Hand löste heiße Wellen aus, die durch seinen Körper flossen. Die Narbe des Offiziers sprang vor seinen Augen wieder auf, kennzeichnete das Gesicht durch rotes Blut, dass in kleinen Bächen über die aufgedunsene Haut floss. Die Erinnerung stockte ihm den Atem. Die schmerzerfüllten Schreie seiner Kameraden, seiner Feinde wurden höher. Jonathan dachte, sein Trommelfell könnte jeden Moment zerplatzen, als er erkannte, dass es nicht die Schreie seiner Kameraden waren. Es waren die hohen schreie eines Kindes. Mit dem nächsten Augenschlag konnte er seinen Sohn vor sich sehen. Die unschuldigen Augen eines Neugeborenen, die Haut überdeckt von Brandblasen, schwarze verkohlte Haut. Jonathans Kopf schmerzte. Nichts schien mehr die gewohnten Proportionen zu haben. Alles schien verzerrt, verworren. Wie aus weiter Ferne hörte er den Adjutanten.

"Ich zähle jetzt herunter. Sobald ich bei 0 angekommen bin, schießt ihr."

Jonathan machte sich bereit.

Das besorgte Zittern in seiner Stimme verwandelte sich in den befehlsgebenden Ton des Offiziers.

"Na los, tun sie es! Schießen sie."

Die Finger mit der er das heiße Metall des Revolvers umklammerte, fühlten sich taub an.

Er roch den Geruch der Schlacht, sah die blutüberströmten Körper, wie sie sich vor ihm wandten. Der Krieg rauschte wie ein Orkan an ihnen vorbei. Sie standen im Auge dessen, konnten nur dabei zusehen, wie Menschen um sie herum in die Luft gerissen wurden.

Die Minute des SoldatenWhere stories live. Discover now