15 Jonathan

4 1 0
                                    

Teil 1

Das nervtötende Summen einer Stubenfliege ließ Jonathan kaum einen klaren Gedanken fassen. Sein Fuß wippte unruhig auf und ab. Er stellte die Kaffeetasse mit einem Klirren auf den Tisch ab und stand auf. "Ich werde das Haus nochmal verlassen, bin vermutlich erst spät wieder zurück.", sagte er. Bonny nickte und begann den Tisch abzuräumen. Ihre weiße Haube wippte dabei bei jedem Schritt auf und ab.

Jonathan griff nach seinem Mantel, setzte sich seinen Hut auf und öffnete die Tür. Die letzten Tage zerrten an seinen Nerven. Er hatte nachts kaum ein Auge schließen können, wurde immer wieder von dem Trampeln schwerer Stiefel auf staubigem Boden geweckt. Sehnsüchtig hatte er darauf gehofft, dass sie Sonne schneller war als die Soldaten in seinem Kopf, dass ihre Hoffnung spenden Strahlen ihn erreichten, bevor der erste Schuss fiel. Doch das war selten der Fall.

Sein Weg führte ihn durch enge Gassen, vorbei an der Metallgießerei, in der er früher mal gearbeitet hatte. Es war eine dreckige Arbeit gewesen. Die Hitze hatte ihm jeden Tag den Schweiß über die Haut laufen lassen. Das Atmen fiel schwer dort. Doch die Metallgießerei war heute nicht sein Ziel.

Er musste es sehen, hatte nach all den Jahren ein so drängendes Bedürfnis danach. Es fühlte sich an, als würde er Virginia verraten, wenn er die altbekannten Straßen entlangschritt. Trotz der Sommerhitze, schienen die Straßen und Häuser mit jedem Schritt dunkler zu werden. Was war nur aus diesem Viertel der Stadt geworden? Es sah aus, als würde es vor seinen Augen verrotten. Die roten Backsteinmauern bröckelten, die Schornsteine ragten schief in den blauen Himmel, wie morsche Bäume. Die Dächer waren von Moos bedeckt.

Ein kleiner Teil von ihm gehörte hierher, hatte sich immer danach gesehnt zurückzukehren. Jonathan strich sich über den Schnurrbart, der nun schon dürrer wurde. Eine Haltlosigkeit befiel ihn, die er auch schon damals spürte, als er dieses Viertel der Stadt verlassen hatte. Was erwartete er sich nur davon, wieder hierher zurück zu kommen? Er hatte nun ein Leben, dass nichts mehr mit diesem hier zu tun hatte. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Doch irgendetwas in ihm wandte und schlug um sich, wollte wieder zurück hierher. Vielleicht hatte er die gerade aufgereihten Steinmäuerchen und die weiß gestrichen Häuser satt. Vielleicht waren es die gepflegten Vorgärten und schimmernden Fenster, die ihm aufs Gemüt schlugen.

Die enge Gasse öffnete sich zu einem kleinen Platz. Dort stand es. Das Haus war heruntergekommener, seit er es das letzte Mal gesehen hatte. Die Fenster waren trüb, als hätte schon seit Jahrtausenden keiner mehr versucht durch sie hindurchzusehen. Die Ziegel des Daches waren zerbrochen und unvollständig. Die Tür hing etwas schief in ihrem Ramen, als hätte jemand dagegengetreten. Alles sah morsch und heruntergekommen aus. Jonathan konnte die Ratten förmlich riechen, die zwischen den Löchrigen Mauern ihre Nester bauten.

Eine Furcht die Jonathan nur schwer beschreiben konnte, erklomm seine Brust. Er hätte nicht hierherkommen sollen. Er hatte beschlossen, dieses Leben nicht leben zu wollen, nicht zu können und doch fühlte er sich nach all den Jahren immer noch wie ein Getriebener. Ein Getriebener von seinen Ängsten, seinen Sorgen und seiner Vergangenheit, die immer zwei Schritte zu machen schien, wenn er Einen machte. Eine ewige Hetzjagd, die ihn kaum zu Atem kommen ließ. Wann würde er dem entkommen? Vermutlich erst wenn er sich eine Kugel durch den Kopf jagte.

Jonathan beobachtete eine Krähe die in ihrem schwarzen Feder Kleid auf der, schief vom Dach hängenden, Regenrinne saß. Sie schien ihn misstrauisch zu beäugen, fragte sich vermutlich genauso wie er, was er hier zu suchen hatte. Empört plusterte sie ihr schwarzes Federkleid auf.

War er gekommen um seinen Sohn zu sehen? Hatte er wirklich erwartete ihn hier anzutreffen? Und was hätte er dann sagen sollen? Er war ein Narr hier her zu kommen und nach einem leben zu greifen, dass er vor so vielen Jahren von sich gestoßen hatte. Er wünschte sich die Krähe würde hinabfliegen und ihm die Augen auspicken. Das Haus wirkte verlassen. Jonathan fragte sich ob sie überhaupt noch hier wohnten.

Die Minute des SoldatenWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu