1 Virginia

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Teil 1

Der Körper war noch warm.

"Jemand hat das Hausmädchen getötet!"

Virginia spürte eine Vene an ihrer Stirn pulsieren. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf den zerstückelten Körper, dessen Blut den teuren Teppich rot färbte. Der Stoff schien das Blut in sich aufzusaugen, als würde er sich davon nähren. Die Hitze stieg an ihrem Hals empor, wie eine Rasierklinge. Für einen Moment verschloss sie die Augen vor dem aufgerissenen Körper. Sie schwankte, riss die Augen wieder auf. Ein dunkler Spalt klaffte im Brustkorb des jungen Hausmädchens, als hätte jemand eine Axt in sie geschlagen. Wie es sich wohl angehört haben musste? Vielleicht wie das Bersten von Holz, dass den Schlägen der Klinge nachgab. Das Gesicht des Mädchens war blutbefleckt. Rote Sprenkel auf der blass schimmernden Haut. Die Augen ragten gefährlich weit aus ihren Höhlen.

Virginia hatte diese Augen immer gehasst. Sie fühlte sich von ihnen beobachtet. Doch nun konnten sie das nicht mehr. Sie waren starr und wirkten gläsern. Virginia horchte auf. Sie hatte gehofft Schritte zu hören. Schwere Schritte und das Knarzen der Dielen über ihrem Kopf, wie es sich nur anhörte, wenn ihr Mann mit schweren Schritten den Raum durchquerte. Doch nichts bewegte sich im Haus. Niemand war da. Niemand hatte ihren Ausruf des Schreckens gehört, als sie das junge Hausmädchen auf dem Teppich liegen gesehen hatte.

Virginia saugte die staubige, warme Luft in ihre Lungen, nahm den Geruch nach frisch gehacktem Fleisch und warmen Körpern in sich auf. Die Luft war so gefüllt von Wärme und Aroma, dass Virginia fürchtete sich nicht mehr in ihr bewegen zu können.

Das Haus schien sich einmal nach links und einmal nach rechts zu beugen. Die warme Luft strömte durch die Ritzen der Steinmauern und ließ Schweißtropfen auf ihrer Haut entstehen. Sie krempelte ihre Ärmel hoch, strich über die klebrige, gelbe Haut und stellte sich vor es wären die Hände eines anderen.

Sie stellte sich das Mädchen vor, wie sie in ihrer weißen Schürze ihrem Angreifer entgegenblickte. Ob er wohl groß gewesen war? Sicher um einiges größer als sie. Bonny war nicht zierlich. Sie hatte Virginia immer um einige Zentimeter überragt. Sie hätte sich gerne vorgestellt, wie sich das Mädchen in den Armen ihres Angreifers wandte, wie sie nach ihm schlug und trat und schrie. Doch schien nichts dergleichen passiert zu sein. Die Schreie hätte sie im Garten gehört. Vielleicht hatte der Kerl ihr den Mund zugehalten. Wie oft hatte sie sich danach gesehnt, ihre feingliedrige Hand auf die feuchten Lippen des Mädchens zu drücken, sie zum Schweigen zu bringen. Nun würde sie für immer schweigen, würde kein einziges Wort mehr verlauten lassen.

Langsam ging Virginia einen Schritt auf sie zu, berührte ihre Hand. Sie wartete darauf, dass sie sie ergriff und schwerfällig an ihr zog um sich aufzurichten. Doch nichts geschah. Ihr Herz raste. Sie wischte sich mit der Hand über den Mund, schmeckte Blut, roch Blut. Sie fuhr sich mit der Zunge über den gelben Belag ihrer Zähne.

Ein lautes Pochen durchschnitt das gleichmäßige Ticken der Wanduhr. Mit schnellen Schritten war sie an der Tür.

"Schnell! Jemand hat Bonny getötet.", sagte sie, nachdem sie die Tür aufriss.

Mrs Aubrey sah Virginia mit großen, schwerfälligen Augen an. Für einen Moment, sah es so aus, als würden sie aus ihren Höhlen ploppen und auf den Boden kullern. "Wo?"

"Im Wohnzimmer." Sie deutete auf den dunklen Flur.

"Ich habe dich schreien gehört. Los, Maggie hol schnell den Arzt!" Sie schubste das Hausmädchen Richtung Pforte, welches neugierig den Hals gereckt hatte um einen Blick in das Zimmer zu erhaschen. Das Mädchen rannte so hastig los, dass die Gartentür gegen ihren Rücken schlug und man ihre klappernden Schritte auf der asphaltierten Straße hören konnte.

Die Minute des SoldatenWhere stories live. Discover now