Bonny

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Teil 2

Sie schnappte nach Luft, hielt sich im selben Moment die Hand vor den Mund, doch Mr Dawson schien sie nicht gehört zu haben. Immer noch hatte er den Revolver auf einen Punkt vor ihm an der Wand gerichtet Als wäre er mit seinem Arm verwachsen, hielt er ihn fest. Bonny wusste, sie sollte das nicht sehen. Sie atmete flach, wollte hier verschwinden, wollte nichts von alle dem Wissen. Der Revolver klickte. Bonny erwartete einen Knall, einen Pistolenschuss der ihr durch Mark und Bein fahren würde, vielleicht einen erschreckten Aufschrei von Mrs Dawson aus der Küche.

Mr Dawsons Hand begann zu zittern. Es fuhr wie eine Welle durch seinen Körper, zuerst ein leises Plätschern, das sich zu einer unkontrollierbaren Woge entwickelte. Er konnte sein Ziel, was auch immer es war, nicht mehr halten. Mit einem Gesichtsausdruck der von verbissenem Schmerz zeugte, warf er die Waffe auf den Schreibtisch. Mit einem Klonk blieb sie dort wie ein glitzerndes Juwel in der Sonne liegen. Mr Dawson besah sich seine Hand, mit der er kurz zuvor noch den Revolver gehalten hatte. In einem unnatürlichen Winkel stand sie von seinem Arm ab. Bonny hatte das schon zuvor gesehen. Mr Dawson klagte nie darüber und doch konnte sie ihm deutlich ansehen, dass er darunter litt.

Mit einem Ruck kam wieder Bewegung in seinen Körper. Bonny sprang auf. Ihr Puls dröhnte in ihren Ohren. Sie musste hier verschwinden. Unter angehaltenem Atem, hechtete sie in das Schlafzimmer der Dawsons, lehnte sich gegen sie raue Tapete. Sie hörte seine Schritte. Für einen Moment, fürchtete sie, er hätte sie gehört, würde ihr folgen. Doch seine Schritte verklungen auf der Treppe.

Bonny ließ die Wäsche fallen, die sie die ganze Zeit über an sich gedrückt hielt. Sie strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Haarknoten gelöst hatten. Fragen kreisten in ihrem Kopf, wie hungrige Geier. Sie wollte all das vergessen, wollte es nie gesehen haben. Gab es dafür eine logische Erklärung? War Mr Dawson einfach nur verrückt geworden? Vielleicht hatte er sich bei den Streitigkeiten in der alten Schenke eine ernsthafte Kopfverletzung zugezogen. Bonny spähte hinaus auf den Flur, doch sie konnte niemanden ausmachen. Das obere Stockwerk schien menschenverlassen. Vorsichtig öffnete sie die Tür, ihr Blick fiel auf die Tür des Arbeitszimmers, die nun halb offenstand. Es wirkte einladend auf sie, als würde das Zimmer sie zu sich locken, um ihr seine Geheimnisse zu zeigen.

Knarrend öffnete sich die Tür, ließ Bonny eintreten. Der Schreibtisch war leer. Sie schalt sich dafür, ihre Neugier so einfach über ihren Verstand gewinnen zu lassen. Eine der Schubladen stand einen Spalt breit offen, etwas Silbernes blitzte ihr entgegen. Mit klammen Fingern öffnete sie die Schublade. Neben einigen leeren Zigarettenschachteln lag er. Tief sog sie den Geruch nach verbranntem Tabak in ihre Lungen auf. Die nun schon tief stehende Sonne, schien ihre Haut zum Schmelzen zu bringen.

Zart, als wäre es etwas Lebendiges, ließ sie ihre Fingerkuppen über das kühle Metall gleiten, bevor sie es aus der Schublade hob. Schwer lag es in ihrer Hand. Dünne Linien verzierten das schimmernde Metall, wie filigrane Fresken.

Bonny legte einen Finger auf den Abzug, streckte den Arm aus, wie Mr Dawson es noch vor wenigen Minuten getan hatte. Sie starrte auf die kahle Wand. Sie stellte sich vor Mr Dawson würde vor dem Lauf stehen, sie mit seinen dunklen Iriden durchdringend anblicke. Könnte sie es tun? Könnte sie den Auslöser drücken, zusehen wie etwas vor ihr starb? Könnte Mr Dawson das? Bonny blickte ihren Arm entlang, zielte auf einen kleinen Fleck an der Wand. Sicher könnte Mr Dawson es tun. Doch würde er auch? Was würde ihn dazu veranlassen?

Sie spürte die Energie, wie sie wellenförmig durch ihren Körper strömte. Wie lange hatte sie sich nicht mehr so lebendig gefühlt. Vorsichtig legte sie den Revolver wieder zurück in die Schublade und schloss sie. Mrs Dawson sollte das sicher nicht zu Gesicht bekommen. Bei dem Gedanken an ihre, vor Schreck geweiteten, Augen, musste Bonny grinsen.

Die Minute des SoldatenWhere stories live. Discover now