11 Benjen

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Teil 1

Die Nacht war schwarz, so schwarz, dass sie einem die Augen ausstach. Benjen zog seine Schiebermütze tiefer ins Gesicht. Trotz der Dunkelheit lungerten noch einige zwielichtige Gestalten auf den Straßen herum. Es waren die Kohleschaufler, mit ihren verrußten Gesichtern, die Obdachlosen, die sich in den dunklen Straßen herumdrückten.

Benjen tauchte in den Schatten einer Seitengasse ein. Er kannte dieses Viertel der Stadt besser als jedes andere. Hier war er aufgewachsen. Mit dem ohrenbetäubenden Lärm der stählernen Maschinen und dem Gestank nach Faulschlamm und verbranntem Tabak. Das war sein Zuhause.

Seine Schuhe sanken um einige Zentimeter in den schlammigen Boden ein, als er die Gasse durchquerte. Die Gesichter, die ihm zu dieser Zeit noch begegneten, waren vom Hunger geprägt. Unreine Haut zog sich über die eingefallenen Wangen. Die Augen, welche tief aus den Augenhöhlen lugten, wirkten trüb. Es waren Augen, die das Leben in seiner vollen Grausamkeit gesehen hatten.

In der Ferne hörte Benjen das Lachen und singen der Betrunkenen. Nachts ging Alkohol am besten über den Tresen, dass wussten auch die Kneipenbesitzter. Er hörte ein Glas zerbrechen, den Aufschrei der Mädchen.

Er hielt sich von diesen Orten fern. Wollte mit den besoffenen Betrügern nichts am Hut haben, wenn es sich vermeiden ließ. Diese Menschen hielten ihre Versprechen nicht.

Benjen näherte sich dem Marktplatz, die Straßen wurden sauberer, es reihten sich die Schaufenster und Kneipen. Ein unwohles Gefühl regte sich in ihm, als er die Straßen des Arbeiterviertels hinter sich ließ. Er würde sich wohler fühlen, wenn er den Auftrag in seiner gewohnten Umgebung hätte ausführen könne. Zwischen den Bettlern und den Kleinkrimminellen wäre niemandem etwas aufgefallen. Doch hier musste er stets wachsam sein, musste jeden Moment mit der Polizei rechnen. Würde ihm einer dieser Uniformierten bei seinem Vorhaben erwischen, musste er sich mit zwei Fäusten mehr auseinandersetzten.

Benjen blieb vor einer Kneipe stehen, aus deren Fenster warmes Licht auf die Straße fiel. Lautes Stimmengewirr und das Lallen der Besoffenen, die es sich leisten konnten sich den Magen bis oben hin mit süßem Rum zu füllen, hallte zu ihm hinaus.

Benjen lehnte sich gegen die bröckelnde Hauswand, kniete sich auf den Boden und riskierte einen Blick durch das trübe Fenster. Zwischen dicken Männern mit großen Schnurrbärten saß der Mann, der ihn dazu veranlasste, wie ein verprügelter Hund, an einer Hauswand zu lehnen. Gläser mit braunem und weißem Rum wurden gereicht, Lieder wurden gesungen. Benjen musste an seinen Vater denken. Ob er auch in einer dieser Kneipen saß und sich den Schädel wegsaufen würde?

Die Kälte kroch schleichend in seine Knochen, seine Beine kribbelten, wurden taub. Er wollte sie bewegen, wollte sich aus dieser Position befreien, doch es war noch nicht der richtige Augenblick gekommen. Seine Hände fuhren, Halt suchend, über die raue Hauswand. Sie war kalt und Benjen wünschte sich die Sommerhitze zurück, die jeden Tag mit Aufgang der Sonne die Stadt zum Schwitzen brachte.

Der Sommer meinte es dieses Jahr nicht gut mit ihnen. Die Hitze trieb die Menschen aus ihren Häusern, füllte die Straßen. Erst nachts kühlte es ab.

Benjen begann schon leise darüber zu fluchen, dass er den Auftrag überhaupt angenommen hatte, als sich die Tür der Kneipe knarrend öffnete.

Schwankend und grölend, als hätte der Alkohol ihr Gehirn zu unbrauchbarem Schleim zersetzt, betraten sie die Straße. Es waren drei Männer, doch Benjen erkannte sofort wem er folgen musste. Er hatte sich jeden Gesichtszug, jede Gestik eingeprägt. Seit Tagen drückte er sich hinter Hausecken herum, gab sich als Zeitungsjunge aus oder schlich sich auf den Marktplatz. Benjen würde seinen Auftrag gut machen.

Die Minute des SoldatenWhere stories live. Discover now