Krisensitzung

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Eigentlich wollte ich nur zwei oder drei Seiten des Berichts über diese Kolonia Trinidad lesen. Doch das hier war derartig unglaublich, es verschlug mir die Sprache und schockte mich zutiefst. Es war unmöglich, diese Unterlagen aus der Hand legen. Letztendlich klingelte mein Wecker und erzählte mir das Lied vom Aufstehen und der Schule, nur, ich war noch immer mit dem Studium dieses Dossiers beschäftigt. Schlaftrunken und ohne nachzudenken packte ich es versehentlich in meine Schultasche. Eines war schon am Morgen klar, dieser Tag wird heftig und meine Gedanken werden mit ziemlicher Sicherheit nicht bei Herrn Faithfuls Unterricht sein. Ich konnte nur hoffen, dass dieser Pfarrer nachsichtig mit mir ist. Warum musste ich auch in der zweiten Reihe sitzen.

„Tom, hallo, kannst du uns eine kurze Zusammenfassung der letzten fünfzehn Minuten geben? Tom, wir beginnen nächste Woche mit Buchführung, Produktberechnung und Finanzrecht. Diese Stunde habe ich mit Frau Schnell abgestimmt, sie hat in der nächsten Stunde eine Überraschung für euch".

An jeder anderen Schule würde ich behaupten, der Job des Lehrers kann mitunter frustrierend sein, man spricht und bemüht sich, seinen Schülern etwas zu vermitteln, nur keiner hört zu. Tom saß mit gesenktem Blick an seinem Platz und eindeutig, er war in einer anderen Realität. Seine Hände lagen mit verkrampften Fingern auf der Schreibplatte, wobei seine rechte Hand in Zuckungen versetzt war. Also ein erneuter Versuch, um die Aufmerksamkeit von Marthas Enkel auf den Unterricht zu lenken.

„Tom, wir haben Unterricht, ich kann es ja verstehen, dass dich so manches langweilt, doch auch du solltest wissen, wo in Europa die mit uns befreundeten Logen ihren Sitz haben, zumal dies hier der Vorspann zu Frau Schnells Bonbon ist".

Selbst mein Fingerschnippen brachte keine Aufmerksamkeit. Nun gut, das Erfreuliche an dieser Schule, bei Problemen ist der Hexenrat zuständig. Suse hatte sich bereits neben Tom flankiert und Frauke war bereit, die Angelegenheit von der linken Seite in Angriff zu nehmen. Selbst Elfriede, unsere Klassensprecherin, hatte sich in die Situation eingeschaltet.

„Herr Faithful, sie können mit dem Unterricht weitermachen, wir übernehmen, Tom ist vermutlich mit allem etwas überfordert. Sollte es Fragen geben, wir sind im Sanitätsraum".

Suse griff unter Toms rechten Ellbogen, ich schnappte seinen linken und Elfriede ergatterte seine Schultasche. Oh man, entweder hatte er heute Nacht kein Auge zugemacht oder stand unter Drogen. Augenringe, zittern, vereinfacht er so lausig aus. Erinnerte mich an meinen Bruder. Florian hatte mit seinen Schulfreunden am See eine Geburtstagspartie geschmissen. Alkohol und die ganze Nacht gefeiert. Am anderen Morgen sah er genauso scheiße aus wie Tom. Nur der roch nicht nach Alkohol, sondern Pfefferminze und er zuckte zusammen und war schlagartig wach.

„Äh ja, Herr Faithful, entschuldigen sie, ich habe ihre Frage nicht verstanden".

Oh Mist, ich war wieder einmal weggetreten. Eine der Situationen die Sterk so liebte um mich fertig zu machen. Warum bin ich nicht im Bett geblieben oder noch besser, weswegen musste mich dieser Förster bei meinem heimlichen Abgang erwischen. Die Nummer die jetzt ansteht konnte ich mir denken und bestens ausmalen. Umso irritierter war ich über Faithfuls lockere Reaktion.

„Ja, ja Tom, aber darum kümmert sich unsere Krankenschwester und Oberhexe. Wenn es dir wieder besser geht, kannst du am Unterricht teilnehmen. Jetzt lass dich von unserer Krankenschwester Frauke in den Sanitätsraum führen".

Von einer auf die andere Sekunde aus seinen Gedanken gerissen zu werden, bedeutet enormen Stress. Durch die medizinischen Bücher meines Vaters wusste ich, es entsprach einem plötzlichen Erwachen aus einer Tiefschlafphase, um sich in der nächsten Sekunde orientierungslos in einer Krisensituation wieder zu finden. Hier war Fingerspitzengefühl gefragt. Da Tom und ich eine gewisse Zuneigung zueinander verspürten, war unsere Verbindung hier Vorteilhaft.

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