Aufbruch

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Lessien
Am nächsten Morgen zog ich die Rüstung an, die ich mir hatte fertigen lassen. Sie bestand zum Großteil aus grünem Leder. Eine junge Werwölfin half mir dabei, sie anzuziehen und flocht danach mein langes Haar, sodass es mich bei einem Kampf nicht stören würde. Ich bedankte mich bei ihr, als sie fertig war und packte dann meine übrigen Sachen. Ich würde nicht viel mitnehmen, schließlich hatte ich die Absicht wieder zurückzukehren. Während ich meine Waffen zusammensammelte, schweiften meine Gedanken zu Legolas. Ich hatte gehofft, er wäre gestern noch einmal zu mir gekommen. Meine Entscheidung wäre zwar die gleiche geblieben, aber dennoch hätte mir seine Gesellschaft gut getan. Ja, ich war eine Kämpferin, doch in eine richtige Schlacht war ich noch nie gezogen und dementsprechend fühlte ich mich etwas mulmig. Wer konnte schon wissen, was mich in Caras Calen erwartete? Vielleicht war die Stadt inzwischen auch völlig zerstört oder von den Korsaren eingenommen worden und wir kamen zu spät. Ich wollte mir die ganzen Möglichkeiten gar nicht ausmalen, weshalb ich mein weniges Gepäck nahm und mich auf den Weg zu unseren Pferden machte. Sie standen schon am Rand der Höhlen bereit. Ich machte mich daran, Niphredil zu satteln und meine Tasche anschließend an ihrem Sattel zu befestigen, ebenso wie mein Schwert. Pfeile, Bogen und Dolche behielt ich selbst an meinem Gürtel befestigt oder über der Schulter. Da Mithrellas Pferd laut Thranduil vom Feuervogel gefressen worden war, würde er auf Arod reiten. Kurz darauf kam er auch schon zu mir. ,,Alae Lessien (Hallo Lessien)", grüßte er mich, freudiger als ich erwartet hatte. Ich grüßte ihn ebenfalls und half ihm dann, Arod zu satteln. ,,Du bist wahrscheinlich nervös, oder?", meinte Mithrellas nach einer Weile. ,,Wie hast du es erraten?", fragte ich. Mithrellas schmunzelte leicht. ,,Du bist schweigsamer als sonst", antwortete er, ,,Aber mach dir keine Sorgen, wir schaffen das. Niemand rechnet mit Werwölfen, die auf der Seite der Elben kämpfen, schon gar nicht die Korsaren. Wenn du mich fragst, könnten wir auch den Feuervogel gut gebrauchen, aber ich verstehe es natürlich auch, dass Legolas und sein Vater ihn nicht direkt in Gefahr bringen wollen." ,,Ich hoffe, du hast recht, mellon nin", seufzte ich und strich über Niphredils Hals. Generalin Naqi'a kam mit einer Gruppe von Werwölfen kurz darauf zu uns, ebenso wie Legolas, Thranduil, Feren und Gimli. ,,Gut, es sind alle versammelt", bemerkte Legolas und besprach mit Naqi'a, Mithrellas und mir noch einmal die Einzelheiten. Wir sollten uns möglichst unbemerkt nach Caras Calen begeben, dort mit der Königin und dem Prinzen sprechen, vor allem um sie darüber aufzuklären, wer ihnen Hilfe schickte und sie militärisch unterstützen. Außerdem sollten wir Legolas eine Nachricht zukommen lassen, sobald wir Caras Calen erreicht hatten. Die Nachricht sollte mithilfe eines domestizierten Falken übermittelt werden, wie es die Werwölfe selbst oft taten,so hatte es zumindest Naqi'a berichtet. Sie trug den Falken momentan sogar auf ihrer Schulter. 150 Werwölfe kamen mir etwas wenig vor, wenn ich daran dachte, dass die Korsaren viele Männer und dazu noch Schiffe mit Katapulten und allerlei anderen Geschossen hatten, aber andererseits wusste ich auch, dass Werwölfe ausdauernde und starke Krieger waren, denen zudem gewöhnliche Waffen aus Eisen kaum etwas anhaben konnten. ,,Ihr solltet aufbrechen", meinte Thranduil dann und wir nickten. Mithrellas und ich stiegen auf unsere Pferde, während Naqi'a mit den Werwölfen in ihrer Sprache redete. Niphredil schien meine Anspannung zu spüren denn sie schnaubte ein paar Mal, weshalb ich ihren Hals streichelte. ,,Lessien", hörte ich Legolas Stimme neben mir und wandte mich zu ihm. Er stand neben Niphredil und sah zu mir auf. ,,Ich wollte gestern noch zu dir kommen, um noch einmal mit dir zu sprechen, doch leider habe ich es nicht mehr geschafft", sagte er mit leicht gesenkter Stimme, als wollte er nicht, dass viele andere seine Worte hörten, ,,Bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst? Du weißt nicht, was euch in Caras Calen erwartet." ,,Ich bin mir sicher, Legolas. Dort ist meine Heimat. Wenn Caras Calen fällt, ohne, dass ich etwas dagegen unternommen habe, werde ich mir das nie verzeihen", entgegnete ich sanft aber dennoch bestimmt. Ich wusste, dass Legolas versuchen wollte, mich umzustimmen, doch das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich musste zurück in meine Heimat und meinem Volk helfen. ,,Das verstehe ich. Mir selbst würde es nicht anders ergehen", meinte Legolas, ,,Es ist nur...du könntest verletzt werden oder schlimmeres. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn du nicht zurückkehrst." Er senkte daraufhin den Kopf ein wenig, was mich durchaus etwas erstaunte. Beschäftigte ihn dieser Gedanke etwa so sehr? Ich hob seinen Kopf sanft mit einer Hand an, sodass er mich wieder ansehen musste. ,,Ich verspreche dir, dass ich zurückkehre, Legolas", sagte ich entschlossen und sah dabei in seine blauen Augen, worauf er ein wenig lächelte. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, rief Mithrellas mir zu, dass wir aufbrachen. ,,Ich muss gehen", sagte ich zu Legolas, der mich wehmütig ansah. Er wollte nicht, dass ich ging, das war mir nun klar geworden, aber dennoch nickte er und umschloss meine Hand mit der seinen. ,,Non galu govad gen (Möge Glück dich begleiten)", sagte er und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken, bevor er meine Hand wieder losließ. Einen kurzen Moment sah ich ihn daraufhin noch an, bevor ich die Zügel ergriff und Niphredil antrieb.

Legolas
Ich wollte nicht, dass Lessien ging. Ich wollte, dass sie hier war, bei mir und in Sicherheit, doch ich konnte sie nicht aufhalten. Ich würde dasselbe für meine Heimat tun, sehr wahrscheinlich musste ich es bald schon, aber dennoch wollte ich sie nicht gehen lassen. Allein die Vorstellung, dass sie verletzt werden würde, ohne, dass ich etwas dagegen hätte tun können, bereitete mir ein schlechtes Gewissen. Hätte ich vielleicht doch mit ihnen gehen sollen? All diese Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, während ich Lessien hinterher sah, die neben Mithrellas auf den Wald zuritt. Kurz bevor sie zwischen den Bäumen verschwand, drehte sie sich noch einmal kurz zu mir um und lächelte. Ich erwiderte ihr Lächeln trotz meiner Sorgen und erinnerte mich an das Gefühl von ihrer Hand in meiner. Es war nur ein kurzer Moment und eine kleine Geste gewesen, aber dennoch bedeutete beides mir sehr viel und ich hoffte, dass Lessien das ebenfalls so empfand, selbst wenn es erst in ein paar hundert Jahren so sein sollte. ,,Du liebst sie, nicht wahr? Das Mädchen aus dem Süden", meinte Feren, der wohl neben mich getreten war und riss mich aus meinen Gedanken. Von Lessien, Mithrellas und den Werwölfen war am Waldrand nichts mehr zu sehen und Vater und Gimli waren ebenfalls verschwunden, wie ich nach einem Blick hinter mich feststellte. Ich wandte meinen Blick dann zu Feren, der mich mit einem wissenden, aber auch amüsierten Blick ansah. ,,Und wenn es so wäre?", entgegnete ich, da ich mir nicht sicher war, ob Vater ihn nicht damit beauftragt hatte, mich auszufragen. Es sähe Vater eigentlich nicht ähnlich, jedoch wusste ich, dass er Lessien nicht sehr mochte. ,,Leugnen wird dir nicht viel bringen", meinte Feren mit einem Schmunzeln und ich seufzte. ,,Ist es denn so offensichtlich?", fragte ich fast schon etwas verlegen. ,,Jeder merkt, wie du sie ansiehst und wie du in ihrer Nähe aufblühst", antwortete Feren, ,,Ich weiß wovon ich spreche, glaube mir, denn ich habe das schon einmal gesehen." ,,Ach ja?", hakte ich nach, denn nun war meine Neugier geweckt. Feren nickte, zögerte jedoch kurz, bevor er sagte: ,,Dein Vater hat deine Mutter immer so angesehen. Jeden Tag aufs Neue war da dieses spezielle, ja fast schon magische Funkeln in seinen Augen, wann immer sie in seiner Nähe war oder von ihr gesprochen wurde." Ich schwieg einen Moment länger, denn ich war es nicht gewohnt, dass jemand über meine Mutter sprach. Das letzte Mal, als wir über sie gesprochen hatten, war in Pippins Heim gewesen. Aber selbst das war nun bereits einige Monate her. Seitdem hatten wir meine Mutter nicht mehr erwähnt und davor erst recht nicht. ,,Das hat mir nie jemand erzählt", meinte ich schließlich und Feren nickte. ,,Es scheint eine sehr besondere Verbindung und Liebe gewesen zu sein", sagte ich dann etwas unsicher. ,,Ja, das war es. Ich merke schon, du willst mehr über sie wissen", entgegnete Feren. ,,Kannst du mir mehr über sie erzählen?", fragte ich hoffnungsvoll, da er die erste Person war, die mir überhaupt etwas Neues über meine Mutter erzählt hatte und nicht einfach nur wie ein Echo das wiederholte, was mir ansonsten jeder über sie gesagt hatte: Sie war die Königin des Waldlandreiches gewesen, davor eine Lady am Hof von Elu Thingol in Doriath und mein Vater hatte sie sehr geliebt, doch seit sie bei einer Schlacht in Angmar starb, war sein Herz gebrochen. ,,Ich denke nicht, dass es mir zusteht, dir noch mehr zu erzählen. Geh zu deinem Vater, er sollte es dir erzählen", antwortete Feren, sehr zu meiner Ernüchterung. ,,So oft habe ich ihn als heranwachsender Elb nach ihr gefragt und immer hat er mich abgewiesen. Er wird mir jetzt auch nicht mehr sagen", entgegnete ich enttäuscht und wandte mich zum Gehen. Feren hielt mich jedoch auf und legte mir eine Hand auf die Schulter. ,,Er hat sich verändert, durch alles, was seit seiner Erblindung passiert ist. Ich bin mir sicher, er wird verstehen, dass es endlich Zeit für dich ist, mehr über sie zu erfahren", sagte er. Ich seufzte. ,,Aber wie mache ich ihm das klar, ohne dass es in einem Streit endet, so wie früher?", fragte ich. Es stimmte, denn fast jedes Mal, wenn ich Vater nach Mutter gefragt hatte, endete es in einem Streit. Vater war immer wütender geworden, je länger ich darauf beharrte. Früher hatte ich diese Reaktion nicht verstanden und gedacht, ich hätte einen Fehler gemacht, indem ich dieses Thema angesprochen hatte. Jetzt verstand ich, dass er hinter seiner Wut wahrscheinlich nur die eigene Unsicherheit und erneut aufkommende Trauer versteckt hatte. Dennoch wollte ich mehr über sie wissen und ihre besondere Verbindung zu Vater, erst recht nachdem, was Feren mir gerade gesagt hatte. ,,Erkläre ihm, wie du dich fühlst mit so wenig Wissen über sie", riet Feren mir. Ich nickte nachdenklich. ,,Hannon le, Feren (Danke)", sagte ich dann und ging.

Kissed by Fire ⚜A Middleearth Story | Book 3⚜Where stories live. Discover now