Vollmondnacht

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Legolas*
Zwei Tage folgten wir den Hufspuren der Weißen Reiter ohne Pause, bis diese sich auf den gepflasterten Wegen eines Hobbitdorfes verloren. Wir fragten einige der Hobbits, ob sie etwas gesehen hätten, doch alle schüttelten bloß den Kopf, sprachlos wegen der Tatsache, dass wirklich leibhaftige Elben mit ihnen sprachen. Nur einer meinte, er habe vor ungefähr zwei Tagen gegen Mitternacht Hufgetrampel in der Nähe gehört, hätte aber nichts gesehen. Wir beschlossen, dem Weg nach Hobbingen zu folgen und erreichten das Hobbitdorf nach einem Tagesritt. Die Hobbits sahen uns erstaunt an. ,,Sieh mal Papa, da ist noch so ein großer Mann wie der, der mal bei uns war", rief ein kleines Mädchen mit blonden Locken, die gerade im Garten spielte. Ich wurde hellhörig und stoppte Arod direkt vor dem Garten, in dem das Mädchen spielte. Mit großen Augen sah sie ein bisschen ängstlich zu mir hinauf. Ich stieg ab und stellte mich an den Zaun. ,,Hast du schon einmal jemanden wie mich gesehen?", fragte ich sie sanft. Sie reagierte nicht. Lessien stand inzwischen neben mir und hob etwas vom Boden auf. Es war eine kleine Holzfigur, die so ähnlich aussah, wie die, die um das Hobbitmädchen herum im Gras lagen. ,,Gehört das dir?", fragte Lessien das Mädchen sanft lächelnd und tatsächlich nickte es. ,,Eine schöne Figur", meinte Lessien, ,,Warte, ich bringe sie dir." Mit diesen Worten ging sie langsam durch das Gartentor und auf das Mädchen zu. Neben ihr kniete sie sich ins Gras und gab ihr die Holzfigur. Das Mädchen lächelte sie schüchtern an. ,,Hast du schonmal einen Elb gesehen? Jemanden wie uns?", fragte Lessien dann. Das Mädchen nickte. ,,Weißt du, wie derjenige aussah?", fragte Lessien weiter und wieder nickte das Mädchen. Als Lessien fragte, ob sie es ihr beschreiben könne, zeigte das Mädchen auf mich. ,,Sah er mir ähnlich?", fragte ich und versuchte, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. War es möglich, dass das Mädchen meinen Vater gesehen hatte? Das Mädchen nickte wieder. ,,Aber er war noch ein bisschen größer", fügte sie ihrem Nicken hinzu, ,,Und es war keine Frau dabei sondern ein Mann. Der war kleiner und dick und hatte einen Bart." ,,Gimli...?", murmelte ich nachdenklich. ,,Weißt du, wo die beiden jetzt sind?", fragte ich das Mädchen. ,,Onkel Pippin war da und hat sie mitgenommen", sagte sie und zeigte nach links, ,,Da sind sie hingegangen. Dahinten wohnt Onkel Pippin, ein bisschen weg, da kann man schön im Wald spielen." ,,Ich glaube, dann besuchen wir deinen Onkel Pippin mal", meinte Lessien, der meine Aufregung nicht entgangen war, und stand auf. ,,Machs gut, kleine Prinzessin", sagte sie und das Mädchen winkte, als wir davonritten. ,,Mein Vater und Gimli waren hier und ich hoffe, sie sind bei Pippin", sagte ich aufgeregt zu Lessien, die meine Aufregung mit einem Schmunzeln zu Kenntnis nahm. Schließlich fanden wir Pippins Hobbithöhle bei Sonnenuntergang und stiegen wieder von unseren Pferden. Wir banden sie an den Zaun und gingen gerade zur Tür, als wir Schritte hinter uns hörten. Mehrere leichtfüßige und ein paar schwerere. Wir drehten uns um und tatsächlich kam uns Pippin, begleitet von meinem Vater und Gimli entgegnen. Ich lächelte, endlich konnte ich meinen Vater wiedersehen. Aber etwas an ihm war anders. Er wirkte traurig und irgendwie gebrochen. ,,Vater!", rief ich ihnen entgegen. Draufhin blieb mein Vater stehen und mit ihm Gimli und Pippin. ,,Jetzt höre ich Legolas' Stimme schon im Wind", hörte ich Vater sagen, ,,Warum nur musste er sterben...?" Jetzt war ich verwirrt. Vater dachte, ich sei tot? Mit schnellen Schritten lief ich auf ihn zu. ,,Das war nicht nur seine Stimme im Wind", brachte Gimli hervor. ,,Vater, warum denkst du, ich sei tot?", fragte ich leise, als ich direkt vor ihm stand. Statt einer Antwort streckte Vater seine Hand nach vorne und suchte meine Wange. Ich half ihm, indem ich seine Hand nahm und an meine Wange legte. ,,Im si, adar (Ich bin hier Vater)", sagte ich mit sanfter Stimme. ,,Legolas...!?", hauchte Vater halb fragend und legte seine zweite Hand an meine andere Wange. ,,Bist du es wirklich?", fragte er ungläubig. ,,Mae ar cuinon (Ja und ich lebe)", antwortete ich. Vaters blinde Augen schienen direkt auf meine Augen gerichtet zu sein. ,,Legolas", hauchte er noch einmal, während seine Hände vorsichtig mein Gesicht ertasteten. ,,Mein Sohn, du bist es", sagte er schließlich und seine Augen füllten sich mit Tränen, ,,Du bist es, du bist hier, du lebst! Ion nin (mein Sohn)..." Vater fiel mir um den Hals. Ich hörte, dass er weinte und spürte seine Schultern leicht beben, wenn er leise schluchzte. Ich erwiderte die Umarmung und gab Vater dadurch auch Halt und Trost, das spürte ich. Es musste schrecklich für ihn gewesen sein, zu glauben, ich sei tot. Aber warum hatte er das geglaubt? Wer hatte ihm die Nachricht meines vermeintlichen Todes überbracht? Und warum war Vater überhaupt hier? Viele Fragen warfen sich mir auf. Fragen, die dringend beantwortet werden mussten, sonst würde ich in nächster Zeit wohl kaum Ruhe finden. Ich wusste nicht wie lange wir dort standen, Vater und ich in unserer Umarmung und die anderen ein wenig unsicher, was sie tun sollten, daneben, aber irgendwann fanden wir uns in Pippins Wohnzimmer ein. ,,Wer begleitet dich eigentlich?", fragte Vater nachdem wir uns vor den Kamin auf den Boden gesetzt hatten, denn die Stühle waren für uns zu klein, ,,Mir ist nämlich nicht entgangen, dass du nicht alleine bist." ,,Ich reise mit Lessien", erklärte ich, ,,Sie kommt aus dem Süden und ist eine enge Vertraute und Freundin von Tauriel." ,,Es freut mich sehr, Euch kennenzulernen, König Thranduil", sagte Lessien höflich und neigte sogar ihren Kopf, obwohl sie wusste, dass Vater sie nicht sah. ,,Es freut mich auch, dich kennenzulernen, Lessien", entgegnete Vater, ,,Doch ich bezweifle, dass der Titel König noch angebracht ist..." Etwas verwirrt sah ich zu Gimli, doch dieser verschwand gerade mit Pippin in der Küche. ,,Ich verstehe nicht ganz", sagte Lessien und sah kurz zu mir. Ich zuckte nur mit den Schultern, schließlich wusste ich selbst nicht, was genau geschehen war, dass Vater das sagte. ,,Ich auch nicht", sagte ich, ,,Ada, was ist während meiner Abwesenheit geschehen? Warum bist du hier?" Vater seufzte traurig und begann zu erzählen, was alles geschehen war. Er erzählte von Aragorns Besuch und dem Mord an Tavor und dem Elbenpaar durch Alanel, über Gimlis, Tauriels und Gwilwileth Ankunft, bis hin zum Auftauchen seines Cousins Celleth, der ihm die Nachricht meines vermeintlichen Todes überbrachte, seiner anschließenden Flucht und Weiterreise bis hierher. ,,Ich wusste gar nicht, dass du einen Cousin hast", stellte ich fest. ,,Ich habe dir auch nie von ihm erzählt", erklärte Vater, ,,Du warst gerade erst auf der Welt, als ich ihn verbannte und das mit gutem Grund, denn zum einen war er fasziniert von den dunklen Künsten Saurons und zum anderen hasste er mich, da Vater und ich ihn zuvor eingesperrt hatten." ,,Warum erinnert mich das an die Worte der Wanderin?", fragte Lessien nachdenklich. Fragend sah ich sie an. ,,Sie meinte doch, ein Elb aus dem Norden mit brodelndem Hass im Blut, wie sie sagte, hätte fast ihr gesamtes Volk getötet und mit dunkler Elbenmagie ihre Geschwister in diese Weißen Reiter verwandelt", erklärte sie. Ich nickte nachdenklich, allerdings entging mir nicht, dass Vater hellhörig wurde, als sie von Weißen Reitern sprach. ,,Vater?", fragte ich erwartungsvoll. ,,Ich hatte einen Traum. Darin kamen auch die Weißen Reiter vor und...", erklärte er, unterbrach sich aber selbst und es schien, als würde er lauschen. Pippin und Gimli kamen gerade wieder zu uns und sahen uns fragend an. ,,Draußen schleicht etwas um das Haus", sagte Vater und legte seinen Kopf ein wenig zur Seite. Das hatte er sich offenbar angewöhnt, wenn er lauschte. ,,Also ich sehe nichts", meinte Pippin, der aus dem Fenster sah. ,,Doch ich höre etwas", meinte Vater, ,,Es hört sich an, wie wenn jemand um das Haus schleicht. Vielleicht ein Mensch." ,,Das ist kein Mensch", entgegnete Lessien, die sich neben Pippin ans Fenster gestellt hatte und sah leicht panisch zu mir. ,,Faolan?", fragte ich und sie nickte. ,,Entweder die Wanderin hat uns belogen, oder Faolan ist die Täuschung ausgefallen", meinte sie. Ich stand auf und trat neben sie ans Fenster. ,,Wovon sprecht ihr?", fragte Vater und erhob sich ebenfalls, allerdings etwas langsamer. ,,Er ist in seiner Menschengestalt", stellte ich fest und ignorierte Vaters Frage vorerst. ,,Und er sieht älter aus. Viel älter", fügte Lessien hinzu. ,,Was seht ihr?", fragte Vater jetzt mit etwas Nachdruck in der Stimme. ,,Es schleicht tatsächlich jemand ums Haus", erklärte ich. ,,Jemand, den ihr zu kennen scheint", sagte Vater. ,,Ja, ein Werwolf aus dem Süden. Wir dachten, er sei unser Freund, doch er hat uns verraten und ist nur hinter meinem Blut her", erklärte ich. Über Vaters Gesicht huschte ein Schatten. ,,Werwölfe sind bösartige, mordlustige Geschöpfe. Niemand wäre so töricht, sich mit einem Werwolf zu verbünden, das habe ich dir oft genug gesagt, Legolas", meinte er. Ich seufzte kurz, denn ich wusste, jetzt musste ich die Wahrheit erzählen. ,,Vater, ich muss dir etwas sagen und ich bitte dich, nicht auszurasten", begann ich unsicher. Lessien nickte mir aufmunternd zu. ,,Auf unserer Reise durch den Süden sind Lessien und ich den Werwölfen begegnet. Sie nahmen uns zunächst gefangen, um an mein Blut zu kommen, welches sie brauchen, um sich durch Blutmagie ewig am Leben und ewig jung zu halten. Als sie mich nicht mehr brauchten, ließen sie mich gegen die vier stärksten ihrer Sippe kämpfen. Ich schaffte es, den Kampf zu gewinnen, indem ich drei meiner Gegner und den König tötete. Mein vierter Gegner, der Sohn des Königs floh mit ein paar seiner Anhänger", erklärte ich. ,,Und was genau sollte dafür sorgen, dass ich ausraste?", fragte Vater. ,,Nun ja, es ist so, dass das alte Gesetz der Werwölfe besagt, dass der Gewinner dieser Kämpfe der Stärkste ihres Volkes ist und nur der stärkste darf König sein", antwortete ich, ,,Ich habe die Kämpfe gewonnen, was bedeutet, dass ich König der Werwölfe bin." Vater schwieg, seine blinden Augen direkt auf mich gerichtet. Plötzlich erschien Großvater zwischen uns beiden. ,,Ist das wahr?", fragte er sanft. ,,Ja Großvater", antwortete ich. ,,Dann solltest es also du sein, der mein Erbe antritt. Du weißt von der Vorgeschichte der Werwölfe, bevor sie in den Süden kamen oder?", meinte Großvater. Ich nickte nur wortlos. Ich hörte Vater seufzen. ,,Ich kann es nicht ändern, warum also sollte ich mich unnötig darüber aufregen", sagte er, klang aber trotzdem nicht sehr begeistert. ,,Er weiß, dass wir ihn beobachten", sagte Lessien plötzlich und schon einen Augenblick später hörte ich, wie Faolan rief, ich solle herauskommen und mich meinem Schicksal stellen. ,,Und jetzt?", fragte Gimli, der bis jetzt geschwiegen hatte, ,,Der sieht nicht so aus, als ob er verschwindet, bevor du nicht tust was er sagt." ,,Einem König gibt man keine Befehle", sagte ich, ,,Schon gar nicht als Verräter." Mit diesen Worten ging ich zur Tür. ,,Was hast du vor?", fragten Vater und Lessien gleichzeitig und liefen mir hinterher. ,,Ihr bleibt hier!", sagte ich im Befehlston, öffnete die Tür und trat hinaus. Eine dünne Schneeschicht bedeckte die Waldlichtung vor Pippins Hobbithöhle. ,,Seit wann hat ein Verräter das Recht seinem König Befehle zu erteilen?", fragte ich mit fester Stimme. Ein leichter Wind wehte über den nächtlichen Wald und wirbelte etwas Schnee vom Boden auf. ,,Glaubst du wirklich, ich wollte Zegrath nur tot sehen, damit seine Herrschaft endet und das Volk nicht mehr terrorisiert wird?", entgegnete Faolan, ,,Nein, ich wollte ihn und auch Taric töten, um den Thron besteigen zu können. Dass Taric nach dem Tod seines Vaters floh, kam mir sehr gelegen, doch leider hatte ich nicht bedacht, dass das Volk dich als König auserwählte. Also muss ich dich wohl einsperren und dem Volk erklären, du seist getötet worden." Langsam ging Faolan aus dem Schatten der kahlen Bäume. ,,Ich lasse mich nicht einsperren", entgegnete ich, ,,Von nichts und niemandem, weder ich noch mein Vater oder irgendjemand meiner Freunde. Das kannst du auch deinen Reiterfreunden sagen! Zudem bist du alleine und du wirst immer älter und schwächer!" Faolan knurrte wütend, doch plötzlich blieb er stehen. Gerade in diesem Moment hörte ich Lessien rufen: ,,Legolas, heute ist Vollmond!" Erschrocken sah ich erst zum Himmel, wo tatsächlich der Vollmond durch sie Wolkendecke schien und dann wieder zu Faolan, der sich erschreckend schnell in seine Werwolfgestalt verwandelte. Ich wich einen Schritt zurück und wollte nach Großvaters Mithrildolchen greifen, als mir einfiel, dass ich diese auf Pippins Küchentisch gelegt hatte. Gedanklich ohrfeigte ich mich mehrmals selbst für meine Dummheit. Ich hörte Faolans dunkles, kehliges Knurren und einen Augenblick später sprang er auf mich zu. Ich konnte gerade noch so ausweichen, doch trotzdem hinterließen seine langen Klauen auf meinem linken Oberarm breite, blutige Streifen. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Arm, meine Schulter und sogar ein wenig meinen Rücken und der Stoff meiner Kleidung färbte sich rot. Ich konnte einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken und presste meine rechte Hand auf die Wunden. ,,Ohne Mithrildolche bist du wohl nicht so stark, was?", meinte Faolan mit tiefer Stimme. Ich reagierte nicht wirklich auf seine Worte, zu sehr war ich von meinen Schmerzen abgelenkt. Lessien schrie plötzlich meinen Namen, doch da spürte ich auch schon den Schlag von Faolans Faust auf meiner Brust und wurde mindestens drei Meter weiter nach hinten befördert. Schmerzvoll kam ich auf dem schneebedeckten Boden auf. Schmerzen verhinderten, dass ich mich wieder aufrichten, geschweige denn irgendwie bewegen konnte. Faolan baute sich vor mir auf. ,,Dein letztes Stündlein hat geschlagen", sagte er triumphierend, ,,Ich kann es kaum erwarten, dich zu töten und deinem leblosen Körper das ganze wertvolle Blut zu stehlen, wie einst deinem erbärmlichen Großvater! Und dann kann ich endlich..." Weiter konnte er nicht sprechen, denn ein langes Schwert durchbohrte ihn von hinten. Einen Augenblick später wurde das Schwert wieder zurückgezogen und Vater trat hinter ihm hervor. ,,Niemand tötet meinen Sohn!", sagte er und rammte Faolan, der ihn völlig überrascht anstarrte, sein Schwert direkt ins Herz. Als er es wieder herauszog, fiel Faolan leblos zu Boden. Dann herrschte erst einmal Stille. Ich lag noch immer auf dem kalten, schneebedeckten Boden und starrte Faolans toten Körper an. Langsam ließen die Schmerzen des Aufpralls nach, doch die Schmerzen an den Wunden meines Armes leider nicht. Ich zwang mich aber, diese zu ignorieren und stand auf. ,,Legolas, bist du verletzt?", fragte Vater. ,,Er hat mich einmal am Arm erwischt, aber das ist praktisch nichts", antwortete ich, obwohl es eine halbe Lüge war, denn die Wunden schmerzten höllisch. ,,Den Valar sei dank, dass Ihr den Mut hattet, einzugreifen", sagte Lessien zu meinem Vater, als wir vor der Hobbithöhle standen, ,,Aber wie ist es überhaupt möglich, dass das Schwert Faolan töten konnte?" ,,Die Dolche meines Vaters sind nicht die einzigen Waffen aus reinem Mithril", antwortete Vater nur.

Kissed by Fire ⚜A Middleearth Story | Book 3⚜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt