01 | 4380 Stunden.

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Adrian

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Meine Hände zittern.
Schweiß läuft meine Schläfen entlang.

Vor mir etliche Tabletten ausgebreitet.
Alle, die im Haus übrig waren.

Ich war fest entschlossen, in den Entzug zu gehen.
Mein Plan war gut.
Clean werden, einen guten Job suchen und für Fedja endlich der Bruder sein, den er braucht.
Den er sich gewünscht hat.

Seit sechs Monaten ist er von der Bildfläche verschwunden.
Nicht mal eine verfickte Nachricht hat er hinterlassen.
Ich bin mir nicht mal mehr sicher, ob er überhaupt noch am Leben ist.

Alles was ich weiß ist, dass Fion festgenommen wurde, als die Jungs versuchten Tabletten zu verkaufen.
Dieser Idiot.
Ich habe ihm gesagt, er soll den Scheiß lassen.
Angefleht habe ich ihn.

Sechs Monate ist Fedja verschwunden, sechs Monate bin ich Clean.
Ständig Zuhause sitzend in der Hoffnung, mein kleiner Bruder würde durch die Tür spazieren.
In der Packung eine Schachtel Zigaretten.

Sechs verdammte Monate.
26 Wochen.
182 Tage.
4380 Stunden.

Diese Stunden waren die Hölle.
Entzugserscheinungen, Schweißausbrüche, Übelkeit.

Inzwischen geht es einfacher.
Der Drang nach Schmerzmitteln ist immer da, ich würde alles für ein paar Medikamente tun.
Aber die Übelkeit ist endlich verschwunden.

Nun liegen sie vor mir.
Die aller letzten Tabletten in der Wohnung.
Ich ertrage den Gedanken nicht, mit ihnen zusammen leben zu müssen.
Aber der Gedanke sie entsorgen zu müssen, ist noch viel schlimmer.

Fedja und ich haben alles.
Von den normalen Weißen, bis hin zu blauen oder gelben.
Jeden erdenklichen Scheiß.
Die meisten von ihnen habe ich eingenommen, Fedja hat sich meistens die Reste geschnappt.

Will er es mir heimzahlen?
Ist er deshalb verschwunden?

Er wollte seit seiner Jugend, dass ich für all die Jahre bezahle.
All die Jahre, in welchen ich ihn mit unserer Mutter allein gelassen habe.

Unsere Mutter war immer eine besondere Persönlichkeit gewesen.
Eine schöne Rumänin, mit blauen Augen und pechschwarzem Haar.
Sie war wirklich Bildschön gewesen.
Wenn sie einen Raum betrat bemerkte jeder Mensch sofort die Energie, welche sie Ausstrahlte.
Immer ein Lächeln auf den Lippen, nie war sie betrübt gewesen.

Mich bekam sie mit neunzehn, Fedja mit einundzwanzig.
Fedja und ich waren der einzige Grund, wieso sie bei unserem Vater blieb. Zumindest solang, bis er eines Tages nicht mehr von der Arbeit heim kam.
Niemand wusste, wo er hin ist.
Ähnlich wie bei Fedja.

Ich liebte unsere Mutter über alles.
Ich erinnere mich an gutes Essen, einen Menschen der zuhörte, wenn ihr Kind Probleme hatte.
Eine gute Mutter.

Fedja redete als Kind nie viel.
Er konnte tagelang schweigen wie ein Grab.
Fedja war unbeliebt, manchmal erzählte er mir wie die Schüler in seiner Klasse ihm unzählige Blaue Flecken verpassten.
Am ganzen Körper.

Es dauerte lang.
Zu lang.
Nie habe ich verstanden, was er mir sagen wollte.
Wie sehr er meine Hilfe wollte.

Ich habe nie verstanden, dass nicht die Kinder in seiner Klasse das Problem waren.
Dabei hinterfragte ich nie die Blauen Flecken an den Stellen, die ungewöhnlich waren.
Es war mir egal.

Jahrelang schrie Fedja um Hilfe.
Er hatte Angst.
Angst vor unserer Mutter.
Inzwischen weiß ich, dass seine Angst berechtigt gewesen ist.

Ich war das Goldstück unserer Mutter, während Fedja von ihr misshandelt wurde.
Jedes Mal, sobald ich die Wohnung verließ, verwandelte unsere Mutter sich in ein Monster.

Sie schlug Fedja.
Sie zwang Fedja zu Dingen, die kein Kind je erleben sollte.
Ich habe nie nachgefragt.

Die Tabletten vor mir sehen viel zu verführerisch aus.
Was, wenn Fedja nicht mehr zurückkehrt?

Ich nehme eine einzige.
Eine wird keinen Schaden anrichten.

Ich genieße das prickeln auf meiner Haut.
Sechs Monate lang habe ich es missen müssen.

Leider, bleibt ein Junkie immer ein Junkie.
Mehr Pillen finden den Weg in meinen Körper.
Irgendwann verliere ich den Überblick, meine Sicht verschwimmt.

Fedja wird nicht wieder zurück kommen.
Und ich nun auch nicht mehr.

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Adrian starb noch am selben Abend, an einer Überdosis Schmerztabletten.

Fedja kehrte nie mehr in die Wohnung der beiden zurück.

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Die Monster unter meinem Bett. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt