Chapter 8

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Völlig fertig mit den Nerven stand ich, leicht über das Geländer gebeugt, auf der Terrasse und ließ meinen Blick über die Landschaft Südafrikas streifen. Es war zwar schon dunkel, doch der Mond sorgte für genug Licht, sodass man die Konturen der Büsche und Bäume und dahinter die Reflexion des Mondes auf dem Meer erkennen konnte. Die Wellen spiegelten das Durcheinander wieder, das seit dem Abend in meinem Kopf herrschte.

Meine Gedanken schweiften ständig von meiner Familie, zur Musik, zu der Zeit hier in Südafrika und wieder zurück. Dazwischen blieben sie aber immer wieder an einer einzelnen Person hängen, so wie jetzt auch wieder. Jedes Mal bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen, wenn ihr Gesicht und besonders ihr Lachen in meinem Kopf auftauchten. Erinnerungen spielten sich wie ein sich ständig wiederholender Film vor meinen Augen ab. Wie sie vorhin Natalie performte und dabei so unbeschwert und glücklich wirkte, wie sie mich danach liebevoll in den Arm genommen hatte und vor allem der gestrige Abend, an dem ich sie fast geküsst hätte. Bei dem Gedanken konnte ich nur einen schweren Seufzer von mir geben.

Ich konnte nicht behaupten, dass ich den Kuss nicht gewollt hätte. Ganz im Gegenteil sogar. Doch kam es mir falsch vor, obwohl es sich in dem Moment so richtig angefühlt hatte. Ich musste mich mehr zusammen nehmen und durfte auf keinen Fall wieder so die Kontrollen über mich verlieren wie an diesem Abend. Das wäre Lena gegenüber nicht fair. Sie brauchte mich jetzt mehr als je zuvor. Und zwar als ihren besten Freund. Da konnte ich sie nicht durch meine Gefühle noch mehr in Verwirrung bringen und dadurch möglicherweise unsere Freundschaft zerstören. Das durfte ich auf keinen Fall zulassen.

Ich hörte, wie sich die Tür hinter mir öffnete und Schritte auf mich zu kamen. Kurz dachte ich, es wäre Lena, doch dann erkannte ich Paddy, der sich mit zwei Flaschen Bier in der Hand neben mir an das Geländer lehnte. Er reichte mir eine der Flaschen und ich lächelte ihn dankbar an, ehe ich sie annahm und einen großen Schluck daraus trank.

Paddy setze die Flasche ebenfalls an und legte seinen Blick anschließend auf mich.
„Alles gut bei dir?", fragte er fürsorglich, woraufhin ich nur nicken konnte.
„War ziemlich krass heute Abend. Aber schön. Mir schwirrt nur einiges durch den Kopf", gab ich ehrlich zu und nahm einen weiteren Schluck.
Paddys Blick wurde mitfühlend und er tätschelte mir kurz die Schulter.
„Versteh ich. Willst du drüber reden?", fragte er weiter und richtete seinen Blick in die Ferne.

Ich tat es ihm gleich und überlegte. Ja, wollte ich darüber reden? Eigentlich sprach ich nicht über solche Dinge und wenn, dann überhaupt nur mit meiner Schwester.
„Solltest du nicht am besten wissen, dass ich das nicht gut kann?", fragte ich leicht lachend und spielte damit auf das Lied an, das er vor ein paar Stunden gesungen hatte.

Paddy lachte ebenfalls als Antwort und setze erneut die Bierflasche an. Dann war es einige Sekunden still und wir hingen beide unseren Gedanken nach.
„Ich meine nur, vielleicht ist es ja leichter mit jemandem zur reden, der nicht involviert, also unvoreingenommen, ist", meinte Paddy dann.
Als ich darauf nichts antwortete seufzte er nur kurz auf: „Komm schon, vielleicht kann ich helfen. Außerdem hab ich bereits so eine Vermutung, was dich beschäftigt."
„Ach ja? Und was soll das sein?", fragte ich grinsend und genehmigte mir einen weiteren Schluck von dem Bier in meiner Hand.

„Ich denke, es ist nicht etwas, das dir keine Ruhe lässt, sondern ein jemand. Eher gesagt vermute ich, dass eine Frau, Musikerin von Beruf, mit braunen Haaren und zufällig keine 100 Meter von hier entfernt, dahinter steckt", sagte er ernst wie aus dem nichts und legte somit die Karten auf den Tisch. Ich verschluckte mich prompt an dem Bier.
Ruckartig drehte ich hustend meinen Kopf in seine Richtung und schaute ihn mit großen Augen geschockt an. Das Grinsen war mittlerweile aus meinem Gesicht verschwunden.

„Aus der Reaktion entnehmen ich mal, dass ich Recht habe", lachte Paddy mich an. Immer noch wie erstarrt nickte ich nur zögerlich, woraufhin ich Paddys Hand auf meinem Rücken spürte, die mir beruhigend auf diesen klopfte, um mich vor weiterem Husten zu bewahren.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte Paddy erst in den letzten Tagen kennengelernt und war demnach eigentlich noch weit weg davon, mit ihm über so private Dinge zureden. Allerdings war er trotzdem einer der liebenswürdigsten und ehrlichsten Menschen, die ich überhaupt kannte. Er war einfach eine herzensgute Person, der man mit Sicherheit alles anvertrauen konnte. Ich wollte ihn zwar nicht mit meinen Problemen beschäftigen, doch war ich an einem Punkt angelangt, an dem  ich nicht mehr weiter wusste und wohl insgeheim hoffte, dass er mir helfen konnte.

„Sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Schon seit ein paar Monaten, aber hier in Südafrika ist es schlimmer geworden", gab ich leise von mir und öffnete mich ihm somit langsam und vorsichtig. Jedes Wort kostete mich eine unglaubliche Überwindung. Noch nie hatte mich etwas so belastet und beschäftigt, dass ich mich jemandem, der nicht zu meinem engeren Familienkreis gehörte, anvertraute. Es war die Angst, Lena zu verlieren, falls ich etwas Falsches tun würde, die mich über meinen Schatten springen ließ.

Paddy bleib still, weshalb ich weiter erzählte: „Ich konnte es bis jetzt immer verdrängen und mich erfolgreich zurückhalten, aber gestern Abend, da ging's nicht mehr. Wir saßen hier auf der Bank und haben geredet. Es ging um Max und ich hab sie getröstet, was ja keine neue Situation ist. Aber sie hat mir erzählt, dass sie sich von ihm trennen will. Als wir uns in die Augen geschaut haben, hab ich den Moment verpasst, an dem ich normalerweise wegschauen und somit den Blickkontakt lösen würde. Es ging nicht. Ich war wie ferngesteuert, mein Kopf hat nicht mehr funktioniert. Wir waren uns so nah und ich war kurz davor, sie zu küssen. Ich hätte es getan, Paddy, wenn sich mein Kopf nicht wieder eingeschaltet hätte und ich nicht in letzter Sekunde ausgewichen wäre, als mir die ganze Situation wieder bewusst geworden ist. Ich hab's genossen ihr so nah zu sein. Tief in mir bereue ich, dass ich es nicht getan habe. Das ist das, was mich so durcheinander bringt."

Das Zittern in meiner Stimme wurde immer stärker. Irgendwann war mir alles egal und die Worte flossen nur so aus mir heraus. Als ich Paddy von dem Fastkuss erzählte, spielte sich die Szene erneut in meinen Gedanken ab. Das warme und wohlige Gefühl, dass sich bei jeder ihrer Berührungen und bei jedem einzelnen Blick in mir breit gemacht hatte, ließ mich leicht lächeln. Die Erinnerung, wie ihr Atem auf meine Lippen traf, löste eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper aus und ließ mich sehnsüchtig aufseufzen.

Paddys Blick war die ganze Zeit über ernst geblieben. Er hatte mir aufmerksam zugehört und schien nun zu überlegen. Er konnte sich wahrscheinlich denken, wie absurd und neu diese Situation für mich war und wollte nichts unpassendes sagen.
Als er schließlich antwortete, stellte er mir die Frage, vor der ich seit Monaten Angst hatte. Ich wollte sie nicht mal mir selbst stellen, da ich Angst vor der Antwort hatte, die ich tief in meinem Inneren und vor allem in meinem Herzen eigentlich schon wusste.

„Du liebst sie, oder?"

What a plot twist you were On viuen les histories. Descobreix ara