Kapitel 60

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Kapitel 60 :


Langsam, ganz langsam, öffnete ich meine Augen und drehte meinen Kopf nach links. Als ich in sein wunderschönes, lächelndes Gesicht sah, setzte mein Herzschlag aus. Die Zeit schien still zu stehen, ich war wie betäubt. Auf der einen Seite, wollte ich auf ihn einschlagen und ihn anschreien. So lange hatte er mich allein gelassen .. Aber andererseits, wollte ich über ihn herfallen. Ihn umarmen. Ihn küssen. Seinen Geruch einatmen. Einfach nur in seinen Armen liegen.
„Ich wollte dich sehen ..“, flüsterte er und strich dabei mit seinem Daumen zärtlich über meinen Handrücken.
Seine Stimme holte mich in die Realität zurück. Schlagartig wurde mir bewusst, wo ich war und entzog ihm zitternd meine Hand.
„Was machst du hier?“, fragte ich leise.
Meine Stimme bebte und mein Inneres glühte. Was seine bloße Anwesenheit, mit meinem Körper machte, war nicht normal! Und das nach all den Jahren, in denen er weg war ..
„Das selbe was du machst.“, lächelte er und rutschte ein Stück näher an mich heran.
Oh mein Gott! Meine Hände waren auf einmal total verschwitzt. Das lag sicher nicht nur an den 30 Grad, die wir heute hatten ..
„Leo, wenn uns jemand sieht ..“
„Vielleicht wird es Zeit.“, antwortete er ruhig.
Geschockt fiel mir die Kinnlade herunter!
„Bleib vernünftig Leo! Ich will nicht wissen, was Armend macht, wenn er .. von uns erfährt.“
„Er kann mich höchstens umbringen.“, grinste er mich an.
Bestürzt riss ich die Augen auf und sah ihn mit aufgeklappten Mund an. Wie schaffte er es in dieser Situation Scherze zu reißen?
„Am Ende tut er es wirklich!“, sagte ich ängstlich.
„Dann kann ich wenigstens sagen, dass ich um dich gekämpft habe.“
Sein Grinsen war verschwunden, er klang tot ernst. Gänsehaut überkam mich ..
„Mos fol pa lidhje! (Red keinen Unsinn!) Das ist nicht witzig Leo!“
Ich stieß einmal hörbar die Luft aus und sah mich um. Hoffentlich war hier keiner, der uns kennt. Leo nahm erneut meine Hand und sein Gesicht näherte sich meinem Ohr.
„Können wir irgendwohin gehen?“, hauchte er leise.
Mir gefror das Blut in den Adern ..
„Zum Reden, versteht sich ..“, lächelte er.
Reden .. ja zum Reden .. für was denn sonst verdammt? Wir mussten wirklich reden. Oh mein Gott .. meine Gefühle spielten verrückt! 
'Reiss dich zusammen Adelin!', sprach mir mein Unterbewusstsein zu.
Ich rutschte ein Stück weg von ihm und entzog ihm meine Hand. Mehrmals nahm ich tief Luft und kramte dabei in meiner Tasche nach meinem Handy.
„Heute nicht, ich muss Mera abholen.“, antwortete ich.
„Können wir zusammen machen?“, gab er zurück und lächelte mich dabei an.
„Nein!“
Das ging alles viel zu schnell verdammt!
„Wieso nicht? Sie ist bestimmt so hübsch wie du.“
'Nein, sie ist so hübsch wie du.', dachte ich mir, aber behielt den Gedanken für mich.
Es war definitiv zu früh, ich musste erst ein paar andere Dinge klären. Aber Leo schien absolut nichts zu ahnen .. wie auch?
„Achja hab gehört, du hast die Scheidung eingereicht.“, sagte er auf einmal.
„Glaub jetzt bloß nicht, dass ich es für dich gemacht hab.“, antwortete ich ein wenig gereizt.
Nach 4 Jahren klopft er einfach mal an die Tür und denkt jetzt, dass ich es für ihn gemacht hab.
„Tu ich doch gar nicht. Ich weiss, dass du es nicht für mich getan hast. Du hast dich entschieden deinen eigenen Weg zu gehen, dir was eigenes aufzubauen. Ein neues Leben zu starten. Mit deiner Tochter. Ich will dich nur um eines bitte .. lass mich ein Teil davon sein.“
Ich war sprachlos. Meine Kehle war wie zugeschnürt, ich bekam keinen Satz aus meinem Mund. Leo umschloss meinen Oberarm mit seiner Hand und kam wieder ganz nah .. dann drückte er mir einen Kuss auf die Wange. Seine Lippen verweilten eine ganze Weile dort und ich spürte wie ein Gefühl durch meinen Körper raste, das sich nicht beschreiben ließ. Mein Inneres glühte .. vor Verlangen! Als seine Lippen sich von meiner Wange lösten, strich Leo mir eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte mich liebevoll an.
„Du bist so wunderschön .. genau so wie früher.“, flüsterte er.
„Der Gedanke daran, dass du jeden Abend neben Armend lagst, hat mich umgebracht zemer. Umso mehr freue ich mich, dass es zu Ende ist. Diese Qual .. hat endlich ein Ende.“
Mein ganzer Körper zitterte. Er war so nah an mir, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spürte.
„Es gab keinen Tag, an den ich nicht an dich gedacht habe. Nie hab ich aufgehört dich zu lieben .. nie! Ich hoffe, du verzeihst mir so schnell wie möglich...“, sprach er weiter.
Sprachlos saß ich da und war wie gefangen in seinen Worten. Ich hatte ihm schon längst verziehen. Als er vor der Tür stand und ich nach 4 Jahren in seine Augen sah, die voller Liebe und Sehnsucht waren .. in diesem Augenblick hatte ich ihm schon verziehen. Ich wollte ihn! Ich liebte ihn! Daran bestand kein Zweifel! Nur die Situation war so kompliziert ..
„Leo .. ich muss jetzt gehen. Ich ruf dich .. die Tage an ..“, stotterte ich. 
Schnell stand ich auf und machte mich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, aus dem Staub...





Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass diese ganze Sache mit dem Umzug und der neuen Wohnung, mit so viel Stress verbunden war. Die letzten Tagen, hatten wirklich an meinen Kräften gezerrt. Aber endlich .. endlich war es vollbracht! Müde ließ ich mich auf die Couch fallen, schnaufte laut aus und verschränkte die Arme vor der Brust. Zufrieden ließ ich meinen Blick, durch das Wohnzimmer schweifen. Aida und Egzon hatten mir geholfen, waren aber mittlerweile wieder weg. Nur Mera und ich waren hier. Ihre Anwesenheit, ließ mich alles viel einfacher ertragen ..
„U lodha! (Ich bin müde!)“, sagte Mera auf einmal und tat genau das selbe wie ich.
Wie sie da saß, mit verschränkten Armen und diesem süßen Grinsen im Gesicht... Ich fiel über sie her, kitzelte sie und verdeckte ihre Wangen mit Küssen.
„Mam!“, lachte sie aus vollem Halse und dieses Lachen klang wie Musik in meinen Ohren.
„T'don Mami shum! (Mami liebt dich!)“
Kichernd lagen wir auf der Couch und mir ging es gut .. so gut, wie schon lange nicht mehr! Am Anfang hatte sie Fragen gestellt. Wieso, weshalb, warum. Sie hatte oft nach Armend gefragt, aber irgendwie schaffte ich es sie immer abzulenken. Er dürfte Mera am Wochenende sehen, das hatten wir so abgemacht. Er wollte es noch immer nicht akzeptieren und versuchte mich von meiner Entscheidung abzubringen. Mehrmals am Tag rief er mich an, mittlerweile ging mir das auf die Nerven. Nichts .. wirklich nichts gab es, dass etwas an meiner Entscheidung ändern würde. Das war ein Schlussstrich gewesen, den Armend früher oder später akzeptieren müsste. 




Am nächsten Tag stand Violeta plötzlich vor der Tür.
„Was willst du hier?“, fragte ich überrascht.
„Mera sehen .. darf ich?“, antwortete sie kleinlaut.
Eigentlich hatte ich keine Lust auf sie und wollte sie schon wieder wegschicken, doch Mera stand auf einmal neben mir.
„Halla Let? (Tante Let?)“, quiekte sie vergnügt und fiel ihr anschließend um den Hals.
Die Tatsache, dass Mera sich so freute sie zu sehen, sorgte dafür, dass ich nachgab. Ich ließ sie eintreten und führte sie ins Wohnzimmer. Die Wohnung war klein. Zwei Zimmer, eine kleine Küche und ein Bad. Aber Mera und ich fühlten uns hier sehr wohl. Alles war so eingerichtet, wie ich es wollte. Keine nervigen Kommentare, von der Schwiegermutter und der Schwägerin musste ich mir anhören. Das war meine Wohnung! Endlich war dieses zu Hause Gefühl da, dass mir all die Jahre gefehlt hatte. Aber trotz allem fehlte etwas. Das spürte ich, ganz tief in meinem Inneren. Er fehlte ..
„Was machst du da?“, riss Violeta mich aus meinen Gedanken.
Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den Tisch, wo mein Laptop und ein Haufen Zeitungen lagen.
„Arbeit suchen.“, erwiderte ich und ließ mich wieder auf die Couch fallen.
Irgendwas würde ich schon finden, so hoffnungslos war ich bei dieser Sache gar nicht. Ich hatte mir vorgenommen, ab sofort optimistisch in die Zukunft zu sehen. Und das nicht nur, was die Liebe betraf ..
„Mera Schatz, geh du schon mal und hol deine Spielsachen okay? Ich rede solange mit deiner Mama.“, sagte Violeta und gleich darauf verschwand die Kleine auch schon.
„Es gibt nichts zu reden.“, antwortete ich gelassen, als Violeta sich mir zu wand.
„Armend ist am Ende. Ist es alles so leicht für dich? Du hast eine Familie zerstört. Die kleine versteht noch nichts, aber sie wird merken, dass du sie von ihrem Vater getrennt hast.“
Ich lachte laut auf und hob meine Hand um sie zum Schweigen zu bringen.
„Lass es bitte okay? Armend war gestern feiern, Dardan hat ihn gesehen. Jetzt komm mir nicht mit der Mitleidstour, von wegen er ist am Ende. Meiner Tochter geht es prima, sie braucht weder Armend, noch dich, noch sonst jemanden. Sie hat mich! Das reicht ihr vollkommen.“
Im nächsten Moment, stand Mera schon wieder im Wohnzimmer und legte mehrere Puppen auf den Boden. Violeta sah mich nur kopfschüttelnd an. Mein Handy klingelte. Ein Blick auf das Display, ließ mich wissen, dass es Dilara war.
„Ich bin in der Küche.“, sagte ich kurz und verließ dann das Zimmer. 




„Ist das nicht nervig, wenn die jetzt ständig kommt um Mera zu sehen?“, fragte Dilara mich.
Ich saß auf einen Stuhl in der Küche, vom Wohnzimmer erklang Meras lachende Stimme.
„Ja keine Ahnung .. was soll ich machen Dilara?“, sprach ich leise ins Handy.
„Armend will sie auch sehen und ich kann schlecht sagen, 'komm nicht, sie ist höchstwahrscheinlich sowieso nicht deine Tochter.' So einfach geht das nicht.“, fuhr ich leise fort.
Ich hörte wie Dilara am anderen Ende der Leitung einmal tief ausatmete.
„Irgendwann musst du es aber sagen.“, ließ sie nicht locker.
„Irgendwann aber nicht jetzt.“, gab ich zurück und kurz darauf verabschiedete ich mich.
Als ich das Handy auf den Tisch legte, massierte ich mir erst mal meine Schläfen. Mein Kopf dröhnte, eine Tablette würde jetzt gut tun. Als ich aufstand und mich umdrehte, stand Violeta plötzlich an der Türschwelle...

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