Kapitel 36

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Kapitel 36 : 



„Ein bisschen laufen .. ich konnte nicht schlafen.“, antwortete ich leise. 
Ich musste mich stark zusammenreißen damit meine Stimme nicht zitterte. 
„Ich leg mich jetzt lieber doch ein bisschen hin, sonst kippe ich auf der Hochzeit noch um.“, sprach ich schnell weiter. 
Onkel Nexhat rieb sich müde die Augen und gähnte. 
„Ja geh hoch los. Ruh dich aus.“, gab er zurück und verschwand dann in der Küche. 
Puh das war knapp! Erleichtert stieg ich die Treppen hoch in mein Zimmer. Ich warf meine Tasche in die Ecke und ließ mich auf mein Bett sinken. Ich konnte nicht glauben was in den letzten Stunden passiert war. Vor der Brücke zu stehen und in die Tiefe zu blicken .. mit der Absicht dem ganzen nun ein Ende zu setzten. Nein .. wie Leo schon sagte, das konnte ich Mama nicht antun. Es war ohnehin falsch .. Allah hatte mir mein Leben gegeben und nur er wird es mir nehmen. Ich stand auf und tapste leise ins Bad. Dort zog ich mich aus und stieg unter die Dusche. Die ganze Zeit über kamen mir die Bilder in den Kopf. Von Leo und mir. Wie er jeden Zentimeter meines Körpers berührte und mich liebte. Meine Tränen vermischten sich mit dem angenehm warmen Wasser. Ich fühlte mich wund, aber das machte mir absolut nichts aus. Ausserdem hatte ich im Moment ganz andere Sorgen. Wie würde Armend reagieren, wenn er sieht, dass ich keine Jungfrau mehr bin? 



„Adelina aufstehen.“
Nein, Nein, Nein. Ich wollte nicht aufstehen! Schnell zog ich mir die Decke über den Kopf. Es war so schön warm und so flauschig. Ich wollte schlafen! 
„Adelina!“, hörte ich Aida wieder laut rufen. 
„Ich steh gleich auf.“, nörgelte ich verschlafen unter meiner Decke hervor. 
„Ja beeil dich bitte, wir fahren gleich zum Friseur.“, antwortete sie. 
Als ich hörte wie meine Tür ins Schloss fiel, zog ich die Decke weg und setzte mich auf. Es war kurz nach 7 Uhr .. ich hatte also grade mal 1 Stunde geschlafen. Viel zu lange hatte ich nachgedacht und die Hoffnung auf ein wenig Schlaf schon komplett abgehakt, aber ich war dann doch eingeschlafen. Irgendwann gegen Morgengrauen. Wisst ihr was das komische war? Ich fühlte mich topfit … diese 1 Stunde Schlaf hatten mir so gut getan, wie schon lange nicht mehr. Nachdem ich mir etwas angezogen hatte, ging ich ins Bad und wusch mir das Gesicht. Eingehend musterte ich mein Spiegelbild. Die gleichen braunen Augen. Die gleichen vollen Lippen. Der gleiche traurige Blick, den ich seit Monaten mit mir herum schleppte. Aber etwas was anders .. ich fühlte mich anders. Angenehm anders .. Klar ich war noch immer am Boden zerstört, dass ich Armends Frau werde und ich wusste, dass es keine Zukunft für Leo und mich geben würde. Aber die letzte Nacht .. der Gedanke daran ließ mein Herz höher schlagen. Unsere letzte Erinnerung .. 


Als ich fertig nach unten ging, war das ganze Haus schon wieder voll. Egzon kam auf mich zu. 
„Bist du fertig? Ich fahr dich mit Besjana zum Friseur.“, sagte er. 
„Ja aber wo ist ..“
Ich brachte den Satz nicht zu Ende, denn Besjana kam gerade durch die Haustür. 
„Guten Morgen moter (Schwester), hast du dich auch ausgeruht?“, fragte sie. 
Lächelnd drückte sie mich an sich und küsste mich auf die Wangen. Ich nickte und ging dann ins Wohnzimmer um noch kurz nach Mama zu sehen, aber ich fand sie nicht. 
„Wohin willst du? Komm jetzt, sonst verspäten wir uns.“, mahnte Egzon mich. 
„Warte doch mal, wo ist Mama?!“, wollte ich wissen. 
„Keine Ahnung, die wird schon irgendwo hier sein.“ 
Irgendwo hier sein, bla bla. Als ob ich mich damit zufrieden geben würde. Jeden Raum suchte ich ab und fand sie schließlich in Dardans Zimmer. Sie saß auf einem Stuhl am Fenster und starrte in die Luft. 
„Mam?“
Keine Reaktion. Langsam näherte ich mich ihr. 
„Mam?“, fragte ich erneut und tippte ich dabei vorsichtig auf die Schulter. 
Erschrocken fuhr sie hoch und ich gab einen erleichterten Seufzer von mir. 
„Mam was machst du hier?“, fragte ich sie. 
„Nichts shpirti jem (mein Liebling), ich wollte nur ein bisschen allein sein.“
Ich bewunderte diese Frau. Sie war so stark .. es ist wirklich nicht einfach, den ganzen Leuten ein heiles Familienleben vorzuspielen, obwohl man weiss, dass man am Ende ist. Aber diese Frau, meine Mutter schaffte es. Aber jetzt da wir allein waren, hielt sie ihre Tränen nicht zurück. Dieser Anblick versetzte meinem Herz einen schmerzvollen Stich. Ich wischte ihr die Tränen weg und küsste sie auf die Wangen. Jetzt musste ich stark sein! Für sie .. 
„Mam nicht weinen. Wir haben genug geweint. Komm bring mich zur Tür, ich geh jetzt zum Friseur, ich muss doch eine hübsche Nuse (Braut) werden.“, sagte ich lächelnd und nahm ihre Hand.
Zitternd küsste sie mich auf die Stirn und legte eine Hand auf meine Wange. 
„Du bist wunderschön. Auch ohne Schminke. Sowohl von innen, als auch von außen strahlst du. I lumi Armendi cka ka me shti ne shtepi. (Der glückliche Armend, was er ins Haus bringen wird.)“ 
Als Armends Name fiel, bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Trotzdem lächelte ich, wenn auch gezwungen und ging mit Mama nach unten. 


„Bitte halt still, sonst verschmiere ich dich.“ 
Die Friseurin warf mir einen strengen Blick zu. 
„Tut mir leid ..“, entschuldigte ich mich. 
„Du sollst doch hübsch werde.“, lächelte sie mich gleich darauf wieder an. 
Meltem war eine hübsche Frau Ende dreißig. Ihre tollen Locken und ihr makellos geschminktes Gesicht zeigte, dass sie Ahnung hatte. Dilara hatte mir sie empfohlen und nachdem ich sie auf ihrer Hochzeit gesehen hatte war sofort klar, dass nur sie in Frage kam. Nach gut zwei Stunden war sie endlich fertig. Meine Haare waren wunderschön hochgesteckt worden und die Schminke war perfekt! Nicht zu viel und nicht zu wenig. Genau passend! 
„Kuku kan mu tranu njerzt. (Oh man, die Leute werden durchdrehen.)“, meinte Besjana. 
„Mos e tepro bre. (Übertreib doch nicht.)“, antwortete ich gleichgültig. 
„Einer nach den anderen wird umfallen.“, lachte sie. 
Na ja, mir war nicht nach Lachen zumute, aber ich schenkte ihr trotzdem ein Lächeln. Ich nahm mein Handy aus der Tasche und rief Dilara an. Keine 10 Minuten später war sie auch schon da. 
„Canim .. du siehst traumhaft aus! Mashallah! (Gott behüte dich!)“ 
Sie umarmte mich fest und als sie sich von mir löste, waren ihren Augen gefüllt. Sie war eine der wenigen, die von meinem düsteren Schicksal wusste. 
„Hey! Wehe du weinst du jetzt!“, mahnte Besjana mich.
Ich schüttelte wortlos mit dem Kopf und zusammen fuhren los. 



Die Stunden vergingen so unglaublich schnell, es kam mir vor als ob die Zeit rannte. Ich stand in einem der extra Räume des Saals und ließ mir von Mama das Brautkleid zuschnüren. Eigentlich hätte das Besjana oder meine andere Cousine übernommen, aber ich wollte dass Mama es macht. Gleich würde Armends Familie kommen um mich abzuholen. Mein Herz pochte wie wild und meine Knie drohten jetzt schon nachzugeben. Ich hatte solche Angst vor dem Kommenden, das war nicht zu beschreiben. Als Mama fertig war und ich mich zu ihr drehte, weinte sie schon wieder. Diesmal konnte ich nicht anders, auch mir kullerte eine Träne die Wange herab. 
„Adelina!“, mahnte Besjana und tupfte mir die Träne weg. 
„Hajde Teze dolim jasht. (Komm Tante gehen wir raus.)“, sagte meine andere Cousine und führte Mama nach draußen. 
Es tat einfach weh Mama alleine zu lassen. Selbst wenn sie nicht krank wäre, sogar wenn Leo an Armends Stelle wäre, würde ich in diesen Moment einfach traurig sein und Wehmut empfinden. So war das nun mal bei uns, man verlässt das Elternhaus um eine eigene Familie zu gründen. Man wird von heute auf Morgen zu einer „richtigen“ Frau. Tief nahm ich Luft, als ich lautes Autogehupe wahr nahm. Es war so weit .. 




Kurze Zeit später machte Besjana mir das rote Tuch über den Kopf und führte mich in den Saal. Die laute Musik dröhnte in meinen Ohren. Ich schwöre euch, als Egzon das Tuch hob und mir einen Kuss auf die Stirn drückte, zitterte mein ganzer Körper. Alle fingen an zu jubeln und klatschten laut. Die nächsten Momente vergingen wie im Flug und schon fand ich mich im Braut Auto wieder. Ich hielt mich an den Sitzen fest und blieb gebückt im Wagen stehen. Eine alte Tradition, man darf sich erst setzten bis das Haus der Eltern bzw. in diesem Fall halt, der Saal nicht mehr in Sicht waren... Ich unterdrückte meine Tränen und versuchte dieses unangenehme Gefühl aus meinem Magen zu kriegen... 



„Endlich dürfen wir auch gleich tanzen.“, grinste Armend. 
Wir liefen gerade Hand in Hand in den Saal. Nachdem wir uns ein paar Stunden bei ihm zu Hause ausgeruht hatten. Es war riesengroß und der Saal platzte trotzdem aus allen Nähten. Die Gäste jubelten laut, als wir die Mitte der Tanzfläche betraten. Die Musik änderte und meine Schwägerin Violeta schrie mir ins Ohr, dass wir jetzt schon tanzen sollten. Na toll .. Armend strahlte wie ein Honigkuchenpferd und irgendwie tat er mir leid. Aber auch nur für eine klitzekleine Sekunde. Er wusste ganz genau, dass ich ihn nicht liebte und trotzdem wollte er mich. Auf einmal musste ich wieder an später denken. Was wenn .. was wenn er mich zurück schickt? Oh mein Gott … bitte Allah hilf mir! Als mein Blick am Eingang hängen blieb, war der Gedanke jedoch wie verflogen. Mehrmals blinzelte ich ungläubig, es verschlug mir die Sprache. Mit der Person die da stand, hatte ich niemals gerechnet … 

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