Kapitel 26

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Kapitel 26 : 




„Was ist passiert?“, fragte er sanft und strich mir über die Wange. 
„Leo .. meine Eltern ..“

Meine Stimme versagte. Die ganzen Tränen die ich bislang zurück gehalten hatte, liefen mir plötzlich meine Wangen herunter und das Atmen fiel mir total schwer. Leo sah mich hilflos an. Ich musste mich zusammen reißen, um die nächsten Worte über meine Lippen zu bringen. 

„Sie wollen mich verloben.“, sagte ich leise. 

Jegliche Farbe wich aus Leos Gesicht. Fassungslos richtete er sich auf, machte ein paar Schritte zurück und stand wie angewurzelt da. 

„Aber .. aber .. wie ..“, stotterte er. 

Ja er war … sprachlos. Wie auch nicht?

„Mein Papa hatte schon lange so was angedeutet, aber ich hab nicht erwartet, dass er es ernst meint. Als er mir .. verboten hat zu studieren .. da ..“

Ich musste an Lule denken. Damals konnte ich für einen Moment vergessen wie es mir geht und konnte für jemanden da sein, der Hilfe brauchte. 

„Was!?“, fragte er mit erstickter Stimme. 
„Meine Gedanken waren zu dem Zeitpunkt ganz woanders .. ich hätte es wissen müssen … aber was hätte das geändert?!“, heulte ich deprimiert. 
„Alles!“

Er schrie so laut, dass ich vor Schreck zusammen zuckte. 

„Wieso hast du mir nichts erzählt?“, brüllte er. 
„Was sollte ich dir denn sagen?“, brüllte ich zurück. 
„Ehm Leo, mein Papa will mich verloben, hast du Interesse?“, fügte ich ironisch hinzu. 

Das war nicht der richtige Zeitpunkt für einen Wutausbruch. Ich atmete schwer und sofort fing ich wieder an zu heulen. Leo kam vorsichtig näher und nahm mich in den Arm. 

„Ist okay, alles wird gut. Beruhige dich.“, flüsterte er in meine Haare. 

Er wischte mir die Tränen weg und nahm dann mein Gesicht in seine Hände.
 
„Liebst du mich?“, fragte er plötzlich. 

Er sah mir tief in die Augen, während ich von der Frage total überrascht war. 

„Was soll das Leo, du weisst ..“
„Liebst du mich?“, ließ er mich nicht ausreden. 
„Ja. Ich liebe dich, sonst würde ich jetzt nicht vor dir stehen.“, antwortete ich schließlich. 

Erleichtert atmete er aus und drückte mir dann einen Kuss auf die Stirn. 

„Ich werde mit meinem Vater reden. Wir kommen dann zu euch.“, sagte er voller Hoffnung. 
„Meinst du .. meinst du das wird was?“, fragte ich skeptisch. 
„Ishallah (So Gott will), du musst aber mithelfen. Rede mit deiner Mutter.“

Ich nickte und Leo schenkte mir ein zuversichtliches Lächeln. 

„Ich muss kotzen, wenn ich an Armend denke. Allein der Gedanke ihn zu heiraten ..“
„Wen?“
„Ja der Typ da... mein Papa denkt er ist der richtige für mich.“, antwortete ich angewidert. 
„Woher kommen die?“, wollte Leo auf einmal wissen.
„Aus Stuttgart .. wieso?“, fragte ich überrascht.
„Wie heisst der mit Nachnamen?“


Er schien nervös, aber ich verstand nicht wieso. Was sollten die ganzen Fragen? 

„Wie heisst der mit Nachnamen man?“, schrie er diesmal. 
„Ich weiß nicht, keine Ahnung hab nie gefragt. Aber was spielt das für eine Rolle?“

Er fuhr sich aufgebracht durch die Haare und ballte dann die Hände zu Fäusten. 

„Leo .. was soll das?“, fragte ich verwirrt. 

Ohne auf meine Frage zu achten, ging er zum Fernsehschrank und kramte in einer Schublade nach. Er warf alles mögliche auf den Boden neben sich, bis er schließlich aufstand und mir ein Bild vor die Nase hielt. Ein Bild von Armend und ihm! Mein Herz hörte auf zu schlagen... 

„Ist er das?“, wollte Leo wissen. 

Mein Verstand schien plötzlich eingefroren zu sein, mehrmals öffnete ich meinen Mund um etwas zu sagen, aber es gab kein Ton von mir. Meine Kehle war wie zugeschnürt. 

„Adelina .. bitte .. bitte sag mir, dass du nicht diesen Armend meinst. Bitte!“, flehte er. 

Seine Augen füllten sich mit Tränen und versetzten mir ein Stich ins Herz. 

„Wer ist das?“, fragte ich kaum hörbar. 
„Mein Cousin .. unsere Väter sind Brüder.“

Er sah mich hoffnungsvoll an, aber seine Worte trafen mich wie ein Eimer kaltes Wasser. Es war wie ein Schlag in die Magengrube, der dir jegliche Luft zum Atmen nimmt. Der kleine funke Hoffnung, an dem wir uns vorhin geklammert hatten, war weg. Er war weg! 

„Das ist er nicht oder? Adelina ..“
„Doch. Doch das ist er...“, fiel ich ihm ins Wort. 

Ungläubig schüttelte er den Kopf. 

„Nein ..“, flüsterte er. 
„Doch. Wir wissen beide, was das zu bedeuten hat...“

Mein Körper zitterte, meine Knie drohten nach zu geben. Leos Vater würde nie im Leben zu meinem gehen. Es war eine Frage der Familienehre .. niemals würde man nach einem Mädchen schauen, bei dem der Bruder schon angefragt hatte. Das gehörte sich bei uns nicht. Und diese Tatsache sorgte dafür, dass unsere Chancen gleich null waren. Das war die niederschmetternde Realität, die mein Gehirn gerade zu verarbeiten versuchte. 

„Nein! Verdammte scheisse!“, schrie Leo laut.

Er fluchte, schlug mehrmals mit voller Wucht gegen die Wand und hinterließ so eine Delle. Seine Hand blutete, aber er achtete nicht darauf. Stattdessen zerstörte er alles, was ihm in die Finger kam.

„Nein!“, brüllte er und warf den Glastisch um. 

Es zersprang in tausend kleine Stücke, die sich auf dem Teppich verteilten. Ängstlich hielt ich mir fest die Ohren zu und kniff die Augen zusammen. Ich hatte das Gefühl, dass der Boden unter meinen Füßen nachgab und meine Knie sackten zusammen. Ein paar Augenblicke später, hörte das Geschrei auf. Ohne meine Augen zu öffnen, spürte ich wie Leo sich vor mir hin kniete. Er nahm meine Hände in seine und flüsterte leise meinen Namen. 

„Was sollen wir jetzt machen?“, fragte er kraftlos. 

Ich biss mir in die Lippe, damit sie aufhörte zu beben und zuckte kaum merklich mit den Schultern. Leos Augen füllten sich mit Tränen und sorgten dafür, dass mein Herz sich schmerzhaft zusammen zog. Niedergeschlagen legte er seinen Kopf auf meinen Schoß. Sanft strich ich über seine Haare und meine Tränen wollten nicht stoppen. Fakt war, dass wir vor einer Sackgasse standen. Die Situation war aussichtslos. Zwei Optionen hatten wir an dieser Stelle. Entweder wir beendeten das ganze, ich heirate Armend und keiner wird je über unsere Beziehung erfahren. Oder .. 

„Wir können nichts machen Leo .. du weißt selber, dass ..“

Ruckartig fuhr er hoch und legte mir einen Finger an den Mund. 

„Shht ..“, flüsterte er mit roten Augen. 
„Wir finden eine Lösung ..“, fügte er hinzu. 
„Leo .. die einzige Lösung ist … dass wir durchbrennen.“, antwortete ich. 
„Dann tun wir es!“, er küsste meine Hände und nahm mich in den Arm. 

Wisst ihr, ich hab früher immer die Mädchen ausgelacht, die mit Jungs durchgebrannt sind. Ich dachte mir immer, wie kann man sowas seinen Eltern antun? Der Familie den Rücken zu zukehren, für einen Mann. Männer kommen und gehen, Familie bleibt für immer. Das stimmte ja alles auch, aber jetzt wo ich in dieser Situation war, spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken es selbst zu tun. Leo war nicht irgendein Junge. Er war DER Junge für mich. Durch ihn hab ich gelernt was Liebe ist, mit ihm hatte ich meinen ersten Kuss. Für eine milisekunde musste ich beim Gedanken daran lächeln. Er hatte mir damals den Verstand geraubt, genauso wie mein Herz. 

„Aber Leo .. weißt du was für Konsequenzen das haben wird?“, fragte ich zitternd. 

Mein Inneres fing an zu beben, wie eine Bombe, die kurz vorm Explodieren stand. 

„Ja, dessen bin ich mir Bewusst. Aber Adelina .. zemer .. meinst ich sehe zu, wie du meinen Cousin heiratest? Meinst du ich sehe zu, wie du die Frau eines anderen wirst?“, antwortete er zärtlich. 

Schweigen folgte. Es war so still, dass ich hören konnte, wie mein Herz laut gegen meine Brust hämmerte. Ich sah zur Seite und fing leise an zu weinen. Leo griff nach meinem Kinn. 

„Adelina .. du bist mein Leben. Ich liebe dich! Bitte sag ja .. bitte.“, flehte er leise. 

Ich schloss kurz meine Augen. Aber nicht um nachzudenken, denn mein Entschluss stand schon lange fest. Ich drückte fest Leos Hand und nickte dann... 


Als ich später wieder meine Augen öffnete, lag ich in Leos Bett. Ich war wohl eingeschlafen, denn als ich einen Blick auf mein Handy warf, zeigte es schon 23 Uhr an. 12 verpasste Anrufe und viele Nachrichten. Egzon hatte mir geschrieben .. 

'Komm sofort nach Hause! Papa dreht durch und Mama kippt gleich um vor Sorge!' 

Ich setzte mich auf und rieb mir müde die Augen. Gerade als ich Egzon anrufen wollte, vernahm ich leise Stimmen aus dem Wohnzimmer nebenan. Die Tür war nur angelehnt, ich tapste leise davor und spitzte die Ohren. 

„Verschwinde einfach, oder muss ich dich rauswerfen?“, zischte Leo leise. 
„Leonard wieso tust du mir das an? Was hab ich dir getan?“, heulte jemand. 
„Hau ab Jehona!“
„Aber ich liebe dich doch!“, jammerte die Mädchenstimme. 

Ich dachte ich höre nicht richtig. Geschockt presste ich die Innenfläche meiner Hand gegen meinen Mund, damit man den entsetzten Schluchzer nicht hörte, der von mir kam.... 

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