Kapitel 32

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Kapitel 32 : 




„Wie meinst du das?", fragte Dilara sichtlich verwirrt. 
„Ja ich treffe mich gleich mit ihm.", antwortete sie. 
Dilara: „Für ihn kommst du her aber bei deinen Freundinnen lässt du dich nicht blicken?"
„Da bin ich doch.", gab sie zurück. 
„Das mit Leo .. ich weiss nicht .. mal schauen. Er ist ein netter Kerl und Single. Vielleicht schnappe ich ihn mir.", fügte sie lachend hinzu. 
In mir drinn brach gerade alles zusammen, aber äußerlich ließ ich mir nichts anmerken und bewahrte die Fassung. Weil ich musste! Meine Kiefermuskeln spannten sich an und ich wusste nicht, wie ich die Folgenden Worte aus meinen staubtrockenen Mund bekam. 
„Na dann, viel Glück.", sagte ich leise. 
„Danke.", grinste Lule amüsiert und tippe in ihrem Handy herum. 
Dilara warf mir einen geschockten Blick zu, den ich mit einem Kopfschütteln quittierte. 
„Und wann wolltest du dich bei mir melden?", fragte ich Lule stattdessen. 
„Ich .. na ja ..", zögerte sie. 
„Na ja?!", stieß ich unglaubwürdig hervor. 
„Dein Vater man! Der lästert voll über mich ab.", sagte sie endlich. 
Das war es also! Zum ersten mal in meinen Leben musste ich zugeben, dass er recht hatte. 
„Kein Wunder.", gab ich zurück. 
„Was soll das denn heissen?", zickte sie mich an. 
Dilara stand hilflos im Zimmer und starrte auf den Boden. 
„Überleg mal?! Deine Freundin heiratet bald. Deine Freundin, die du seit Jahren kennst! Statt dich mal bei ihr zu melden und zu fragen wie es ihr geht, kommst du für einen Typen her, den du nicht mal richtig kennst. Du weisst doch absolut gar nichts über ihn!", sagte ich ziemlich laut. 
„Stop mal!", rief Lule. 
„Ich kann nicht .."
„Nein ich stoppe nicht!", fiel ich ihr ins Wort und hob meine Hand um sie zum Schweigen zu bringen. 
„Nicht nur mein Vater lästert Lule! Alle tun es! Jetzt streng mal dein Köpfchen an und frag dich warum? Du bist diejenige, die sich jedes Wochenende auf Partys besauft! Du bist diejenige, die sich an jeden Kerl schmeisst! Du bist diejenige, die sich schwäng .."
Ich hielt inne und schnappte keuchend nach Luft. Vielleicht war ich zu weit gegangen ja, aber irgendwann muss das alles raus, was sich über Tage, Wochen und Monate anstaut. 
„Na los. Sag es. Ich bin diejenige, die sich schwängern lässt und dann abtreibt.", brachte Lule meinen Satz tonlos zu Ende. 
„Ich glaube es ist besser, wenn ich gehe.", sagte ich mit bebender Stimme zu Dilara. 
Die Arme hielt gerade noch so ihre Tränen zurück. 
„Nein lass. Ich gehe schon.", sagte Lule und stand auf.
„Ich bin hier eh Fehl am Platz. Hab nie richtig zu euch gehört. Zu den braven vorzeige Töchtern." 
„Lule hör auf jetzt bitte, übertreibt nicht.", schluchzte Dilara. 
„Ist doch so. Die eine glücklich verheiratet und schwanger. Die andere Verlobt. Mal schauen, vielleicht heirate ich Leo, dann gehöre ich endlich auch zu euch.", erwiderte sie eiskalt. 
Sie stürmte aus dem Wohnzimmer und knallte kurz darauf die Haustür zu. Dilara und ich standen regungslos im Zimmer und sagten kein Wort. Zu tief saß der Schock über das soeben erlebte.



Die letzten Tage vor der Hochzeit war es erschreckend still im Haus. Mein Henna Abend sollte daheim stattfinden. Am Anfang hatte ich dagegen protestiert, ich wollte diesen Abend gar nicht. Aber Mama hatte mich darum gebeten und ich schaffte es nicht nein zu sagen. Im Nachhinein dachte ich mir, dass es gar nicht mal so übel werden würde, sich den ganze Frust und Schmerz von der Seele zu weinen, ohne sich dafür ins Zimmer zu verkriechen. Denn dazu war der Henna Abend da.... 


Zwei Tage vor der Hochzeit rief Armend mich an. Erst wollte ich nicht abnehmen, aber er ließ nicht locker und versuchte es mehrere Male. 
„Was ist?", ging ich schließlich genervt ran. 
„Tolle Begrüßung zemer.", antwortete er. 
Beim Wort zemer zog mich mein Herz schmerzhaft zusammen. 
„Nenn mich nicht so!", zickte ich ihn an. 
„Wie dann? Shpirt, loqk, e dashur? (Albanische Kosenamen)", lachte er sichtlich amüsiert. 
Es war mir scheiss egal wie er mich nannte, hauptsache nicht zemer! Leo hatte mich immer so genannt und wenn er es in Zukunft nicht mehr kann, dann sollte keiner mich so nennen! 
„Ach egal, in zwei Tagen kann ich dich meine Frau nenne. Das reicht mir schon." 
„Armend ich hab jetzt keine Lust zu reden, ich will schlafen.", änderte ich das Thema. 
„Okay du hast Recht. Die nächsten Tage werden bestimmt anstrengend. Die Nächte natürlich auch.", lachte er und deutete wieder auf die Hochzeitsnacht an. 
Ich verzog angewidert das Gesicht und legte dann auf. Noch immer wollte mein Verstand nicht akzeptieren, dass ich bald ihm gehören würde .. 


Kurz darauf kam Mama schwer atmend in mein Zimmer. Ruckartig stand ich auf und setzte sie auf mein Bett. 
„Cka ki? (Was hast du?)", fragte ich besorgt. 
Ihr Röcke passten ihr schon lange nicht mehr, auch ihre Oberteile waren ihr mittlerweile viel zu groß. Ihr wunderschönes Gesicht hatte an Farbe verloren, ihre Augen waren gerötet und unter ihnen lagen dunkle Schatten. Tatenlos musste ich mit ansehen, wie sie immer mehr Lebenskraft verlor. 
„Ach es sind nur die Treppen. Es wird jedes mal anstrengender.", antwortete sie schwach. 
Ich drehte ihr den Rücken zu und tat so als ob ich etwas im Schrank suchte. In Wahrheit jedoch hielt ich mir eine Hand vor dem Mund um mein Schluchzen zu unterdrücken. Es war so schlimm all das mit anzusehen. 
„Adelin ..", flüsterte Mama. 
„Ja?", fragte ich ohne mich umzudrehen. 
„Qika jem e vogla... (Meine kleine Tochter ..)", sagte sie kaum hörbar. 
Schnell wischte ich mir die Tränen weg und drehte mich um. Ich lächelte tapfer und Mama klopfte neben sich auf das Bett. 
„Ulu. (Setzt dich.)", sagte sie. 
Ich nahm neben ihr Platz und griff nach ihren Händen. 
„Verzeih mir, dass .."
„Jo! (Nein!)", unterbrach ich sie. 
„Mos t'lutna .. (Bitte nicht ..)", fügte ich leise hinzu. 
Ich fing an zu weinen. Zurückhalten war einfach nicht mehr drinn. Irgendwann bricht jeder Mensch zusammen, selbst wenn dieser noch so stark ist! 
„Bleib heute bei mir okay? Ich will in deinen Armen schlafen, so wie früher.", heulte ich. 
„Ein letztes Mal?", fragte sie ebenfalls weinend. 
Die Frage war wie ein Messerstich ins Herz. 
„Ein letztes Mal.", antwortete ich schluchzend. 
Mama wischte mir die Tränen weg und drückte mir einen langen Kuss auf die Stirn. Dann legte sie sich hin und ich folgte ihrem Beispiel. Ich kuschelte mich in ihre Arme, wo ich letztendlich erschöpft und unter Tränen einschlief. 



Den nächsten Morgen hatte ich zum größten Teil in meinem Bett verbracht. Meine Cousinen, kamen immer wieder in mein Zimmer und gaben mir Bescheid, wie es mit den Vorbereitungen für heute Abend aussah. Das interessierte mich zwar nicht wirklich aber ja .. Auf der Kommode lag ein rotes Tuch und an der Schranktür hing ein roter Schlafmantel. Die Zeit verging erschreckend schnell, gegen 22 Uhr kamen zwei meiner Cousinen in mein Zimmer, genauso wie Aida. Ich setzte mich auf meinen Stuhl und ließ mir teilnahmslos meine mittlerweile schwarzen gefärbten Haare bürsten. 
„Shihe kta, nata e kanagjegjit e asnje pik loti nuk pi shkon. (Schau dir die an, ihr Hennaband ist heute und sie vergießt keine Träne.)", ärgerte Besjana mich. 
Sie war die Tochter von Onkel Nexhat, aber ich wusste, dass sie es nicht böse meinte. Sie war ein sanftmütiges Wesen, das sich damals ihrem Schicksal damals widerstandslos ergeben hatte, genauso wie ich es nun tat. Erst 22 war sie und erwartete bereits ihr zweites Kind. Komischerweise weinte ich gerade wirklich nicht, keine Ahnung wieso! Aber wenn sie auch nur eine klitze kleine Vorstellung gehabt hätte, wie viele Tränen ich in den letzten Wochen und Monaten vergossen hatte..
„Wieso sollte sie weinen? Sie heiratet ja nur.", sagte meine andere Cousine. 
„Nur?! Mos ban hajgare (Mach keine Witze), das Leben ist zu Ende, wenn sie erst mal verheiratet ist. Ein Kind nach dem anderen machen.", lachte Besjana. 
Ach, wenn die beiden nur wüssten .. Sie wollten nur die Stimmung lockern, das wusste ich. Aber ich hatte irgendwie keine Lust mir all das anzuhören. 
„Lene qiken rehat! (Lasst das Mädchen in Ruhe!)", mischte Aida sich ein. 
Sie umarmte mich von hinten, während ich noch auf dem Stuhl saß. Weinend drückte sie mir einen Kuss auf die Wange und suchte meinen Blick im Spiegel. Ich legte meine Hand auf ihre Wange und lächelte sie tapfer an. Sie war so ein toller Mensch, ich hatte sie schon lange in mein Herz geschlossen. Ich wusste, dass Mama bei ihr in guten Händen war. Eine Tatsache, die meinen Schmerz wenigstens ein bisschen linderte. 



Kurze Zeit später stieg ich in den Schlafmantel. Wie ein Roboter, dessen Bewegungen schon vorprogrammiert waren. Offiziell war ich schon Armends Frau, das Standesamtliche hatten wir vor zwei Tagen erledigt. Die Zeremonie hatten wir klein abgehalten. Für mich spielte das keine große Rolle, es war nur ein Stück Papier .. Aida legte mir das Tuch über den Kopf und geführt von meinen zwei Cousinen stieg ich die Treppen runter ins Wohnzimmer. Es waren nur Frauen und Mädchen da, die Männer waren bei meinen Onkel. Als ich auf den Stuhl in der Mitte des Zimmers platz nahm, fühlte ich mich richtig komisch. Ich kam mir fremd vor, in meinen eigenen Haus. Obwohl .. ab Morgen würde das nicht mehr mein zu Hause sein. Ich würde hier nur noch zu Besuch sein. Ein paar Mädchen setzten sich zu meinen Füßen und fingen an zu singen. Schon nach dem ersten Satz flossen auf einmal meine Tränen. Man kann diesen Moment nicht beschreiben, man muss ihn erleben! Von Lied zu Lied stieg mein Schmerz ins unermessliche .. 


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