Kapitel 19

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Verwirrt schaue ich wie hypnotisiert auf das Blatt

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Verwirrt schaue ich wie hypnotisiert auf das Blatt. Noch ein Tropfen fällt drauf weshalb ich aus meiner Starre erwache und meine Fingerkuppen an meine Nase führe. Ich spüre etwas flüssiges und als ich auf meine Fingerkuppen schaue, bestätigt sich meine Vermutung. Blut. Ich stehe rasch auf, sodass mein Stuhl nach hinten kippt und ein ohrenbetäubendes Geräusch entsteht, weshalb jeder am Tisch aufzuckt. Mein Atem und Herzschlag beschleunigen sich und ich schaue mit aufgerissenen Augen auf meine Finger. Die Angst macht sich in mir breit, weil ich kein Blut sehen kann
„Scheiße, Hayat." zischt Can und steht in Null Komma nichts vor mir. Ich spüre, wie das Blut sich einen Weg zu meinem Lippen bahnt. Meine Finger fangen an zu zittern und meine Augen füllen sich.
„Wir brauchen ein Taschentuch. Schnell." hetzt er jemanden aber ich beachte sie nicht. Meine Augen verharren an dem Blut, das an meinen Fingern klebt.
Can nimmt mein Gesicht in seine Hände und drückt mein Gesicht sanft nach oben, sodass ich direkt in seine wunderschönen Augen blicke.
„Hey, es ist alles gut. Okay?" flüstert er mit einer so sanften Stimme, dass meine Panik wie weggeflogen ist. Ich konzentriere mich nur auf seine karamellbraunen Augen. Ich tauche in seine Augen und komme nicht mehr raus. Ich betrachte seine grünen Spektakel zwischen dem hellen Braun, die man nur beim intensiven Hinsehen bemerkt. Seine Augen verankern in meinen Kopf, hinterlassen ein Denkmal. Mein Atem stockt und mein Herz hämmert mir so stark gegen die Brust, dass ich Angst habe, dass sie mit gleich aus der Brust springt. Wie er mich nur durch seine intensiven Augen beruhigt und mir Schutz bietet. Sein Duft benebeln meine Sinne und rauben mir den Atem. Eine Mischung aus Aftershave und Eigenduft. Er richt unheimlich gut.
Er führt das Taschentuch unter meine Nase und tupft sorgfältig das Blut ab, ohne seine Augen von meinen zu lösen. Ich weiß, dass er das macht um mich zu beruhigen, was auch gut klappt. Ich merke, wie meine Hände und meine Füße anfangen zu kribbeln, was nicht angenehm ist. Alles fängt an, sich zu drehen, weshalb ich mich an Can's Arm festhalte, um mich zu stützen, um einen Halt zu haben. Ich breche den Blickkontakt ab und blicke mit gesenkten Kopf direkt auf seine muskulöse Brust. Alles wird schwarz, aber ich bin noch bei Bewusstsein und versuche mich auf Beinen zu halten. Die Stimmen der Anderen nehme ich nur gedämpft wahr, sowie Can's Stimme, die mich zu erreichen versucht. Ich schließe fest meine Augen, um sie wieder zu öffnen, damit ich wieder klare Sicht habe, was auch geholfen hat. Can drückt mich an den Schultern runter, sodass ich auf einen Stuhl plumpse. Can geht in die Hocke und reicht mir eine falsche Wasser, aus der ich gierig trinke und mich etwas beruhige.
„Du musst deinen Kopf in den Nacken legen."
Während er sanft die Worte ausspricht, haltet er ein neues Taschentuch unter meine Nase. Ich will ihm das Taschentuch abnehmen, dabei berühre ich seine Hand, was mir winzige Stromschläge durch meinen gesamten Körper durchfluten lässt. Mein Hand fängt an, angenehm zu kribbeln. Wie schafft es dieser Mann, so eine Wirkung auf mich zu haben? Mit großen Augen schaue ich hoch in seine geweiteten Pupillen. Auch er scheint es bemerkt zu haben, denn in seinen Augen hat etwas merkwürdig ausgestrahlt, dass ich selbst nicht mal deuten kann. Verlegen senke ich meinen Blick und nehme mit zitternden Händen das Taschentuch aus seiner Hand. Ich merke, wie mir die Hitze ins Gesicht schießt und es mir unangenehm warm wird. Das, was gerade war, war einfach nur komisch. Ich meine, noch gestern haben wir uns angebrüllt und jetzt ist diese komische Situation, die ich nicht einschätzen kann und mich völlig aus der Bahn wirft.
„Hayat, kannst du laufen?" fragt mich Ela, nach gefüllten Minuten, die mich besorgt mustert und mir beruhigend über den Rücken streichelt.
Ich nicke nur und stehe langsam auf, wobei mich Ela am Arm unterstützt. Die Blutung hat zum Glück gestoppt.
Wir laufen langsam in Richtung Toilette, damit ich mir kaltes Wasser ins Gesicht klatschen kann. Ela läuft langsam neben mir her und schaut verträumt durch die Gegend.
„Was ist?" frage ich sie deswegen. Sie schaut mich verschmitzt von der Seite an und wackelt mit den Augenbraun.
„Gott, Can ist sooo süß. Wie er dich behandelt hat und diese Blicke zwischen euch. Sag mal, was ist das zwischen euch?"
Augenblicklich schießt mir die Röte ins Gesicht und ich schaue weg, damit sie meine Röte nicht sieht und irgendwas draus interpretiert.
„Was soll da sein?"
Sie bleibt abrupt stehen, weshalb ich auch stehen bleibe und mich langsam zu ihr drehe. Nachdenklich blickt sie intensiv in meine grünen Augen.
„Wieso stellst du eine Gegenfrage, anstatt klipp und klar zu antworten? Da steckt mehr dahinter. Ich spüre es. Ich rieche es."
Okay...? Sie ist manchmal echt gruselig.
„Ahh. Du bist verliebt. In Can." schreit sie plötzlich und hüpft auf und ab und klatscht sich wie ein kleines Kind in die Hände, weil es Schokolade bekommt. Ich reiße geschockt meine Augen auf. Perplex stehe ich wie angewurzelt da.
„WAS? NEIN!" rufe ich viel zu schnell empört. Das darf doch nicht wahr sein! Was geht nur in ihrem kleinen Köpfen vor sich. Fassungslos raufe ich meine Haare und blicke sie dann mit einem strengen Gesicht an. Bockig verschränke ich meine Arme vor der Brust. Erst meine Mutter, Dafina und jetzt auch noch Ela. Es fühlt sich an, wie eine Verschwörung gegen mich!
„Ela, ich und Can... wir hassen uns. Wir streiten uns nur ununterbrochen... Das was du da von dir gibst, kann nicht mal in deinen schönsten Träumen passieren. Wir sind wie Feuer und Wasser. Wir vertragen uns nicht. Wir würden uns nur gegenseitig vernichten."
Das letzte flüstere ich eher zu mir selbst. Es ist nunmal die Wahrheit. Natürlich bemerke ich die Auswirkung von Can auf mir, wenn er mich berührt oder allein schon seine Augen. Aber ich verdränge es. Ich will es nicht. Ich will diese Gefühle nicht hochkommen lassen. Mein Verstand lässt es nicht zu, auf mein Herz zu hören, denn mein Herz ich gebrochen und hat kein Anspruch mehr zu reden. Es wurde mir aus der Brust gezogen und hat eine Leere hinterlassen, die niemals mehr gefüllt werden kann. Da bin ich mir sicher.
Ich drehe mich um und laufe geradewegs in die Mädchentoilette und stütze mich am Waschbecken ab, um meine Gedanken zu sortieren. Mir wird erst jetzt so richtig bewusst, was Can mit mir anrichtet. Aber ich will das nicht. Ich will mir keine leeren Hoffnungen machen und vor allem möchte ich nicht, dass ich wieder verletzt und enttäuscht werde. Ich richte mich wieder gerade hin und strafe meine Schultern. Als ich in den Spiegel blicke, merke ich erst jetzt, dass mir die Tränen über die Wangen rollen. Schnell wische ich sie weg und lasse eiskaltes Wasser über mein Gesicht fließen. Danach trockne ich mein Gesicht ab, und setzte mein altbekannten kühlen Blick auf. Ich darf Can nicht so nah an mich ran lassen. Das würde nur in einem Desaster enden.
Ela stürmt durch die Tür und beäugt mich kritisch.
„Gehts dir besser?"
Ich nicke daraufhin nur und lehne mich rückwärts am Waschbecken.
„Hast du heute überhaupt was gegessen?"
„Nein, ich hatte ehrlich gesagt keinen Hunger." seufze ich und massiere meine Schläfen.
„Ist es, weil deine Mutter und dein Bruder gegangen sind?"
Ela hat einen guten Instinkt und Menschenkenntnis. Sie hat auch etwas von einer Mutter, zum Beispiel die Fürsorge.
„Weißt du Ela, ich habe noch nie getrennt von meiner Familie gelebt und glaub mir, wenn ich das nicht müsste, würde ich es auch niemals tun. Aber das Schicksal ist ein Arschloch."
„Ich weiß nicht, was du erlebt hast, aber das was du erlebt hast, hat dich geprägt. Und das merke ich nicht nur an deinen schlaflosen Nächte."
„Aber...Woher we-." stottere ich sprachlos, aber sie unterbricht mich.
„Ich hab einen leichten Schlaf. Ich höre dich Nachts immer, wenn du in die Küche gehst oder im Wohnzimmer einen Film schaust."
Sie lächelt mich liebevoll an und umarmt mich.
„Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ich dich immer wecke. Das kommt nicht mehr vor. Versprochen." nuschele ich und drücke sie fest an mich. Ihr angenehmer Duft steigt mir in die Nase, was mich wohl fühlen lässt. Sie ist wirklich eine gute und aufmerksame Freundin.
„Ach Quatsch, schon gut. Habe mich schon praktisch daran gewohnt." lächelt sie mich mit einem typischen Ela-Lächeln an, was ich nur erwidern kann.
„Wenn du es mir irgendwann mal erzählen willst, höre ich dir gerne zu."
Ich habe noch nie jemanden davon erzählt. Alle wussten es von der Gesellschaft. Auch Dafina und Yilmaz. Sie haben versucht, mich zu trösten, mich auf andere Granden zubringen. Die eine mehr, der andere weniger. Aber ich war froh, dass Ela mich nicht damit bedrängt, und so verständnisvoll ist.
„Willst du lieber nach Hause gehen?" fragt mich Ela, nachdem sie sich von mir gelöst hat.
Ich nicke daraufhin nur. Ich sollte wirklich nach Hause gehen, immerhin bin ich gut vorangekommen mit dem Lernen.
Ich öffne gerade die Türe der Mädchentoilette, da erblicke ich Can, der an der gegenüberliegenden Wand lässig angelehnt ist, mit der BurgerKing Tüte in der einen und der Cola in der anderen Hand.
Als er mich erblickt, gibt er nur ein trockenes 'komm' von sich und läuft vor. Stillschweigend folge ich ihm bis in die leere Mensa und setzte mich ihm gegenüber, als er auch Platz genommen hat. Wo ist eigentlich Ela? Hat sie mich jetzt ernsthaft mit diesem Orang-Utan alleine gelassen?
Stumm legt er einen Burger und Pommes vor mir und schaut mich auffordernd an.
Mein Blick fällt auf die kalte Pommes und den Burger. Also jetzt mal im Ernst. Man kann nicht einen Burger kalt essen und Pommes schon garnicht. Das geht einfach nicht. Aber andererseits muss ich auch an die hungernde Leute in Afrika oder in den Kriegsgebieten denken, weshalb ich mich zwinge zu essen. Ich sollte dankbar dafür sein. Immerhin habe ich was zu Essen. Ich fange an, den Berger du verschlingen und nebenbei die Pommes zu essen. Ab und zu nehme ich auch ein Schluck von der Cola. Mir ist durch aus bewusst, dass Can all meine Bewegungen mitverfolgt. Aber ich ignorier es bewusst. Mir macht es nichts aus, vor Leuten zu essen. Mir macht es nur was aus, wenn ich die einzige bin, die isst, weshalb ich den Berger zu Can's Mund führe und ich auffordernd ansehe. Seine Mundwinkeln Zucken kurz nach oben bevor er den Kopf schüttelt. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen und ich drücke praktisch den Burger an seine vollen Lippen. Schmunzelnd und kopfschüttelnd beißt er schließlich rein und kaut es. Zufrieden beiße ich auch ab und trinke ein schluck von der Cola und reiche sie ihm. Er nimmt auch ein Schluck und schiebt es wieder zu mir rüber. Und so ging es weiter. Ich nahm ein Biss und fütterte anschließend Can, bis alle drei Burger verschlingt wurden.
Vollgefressen lehne ich mich zurück und nehme die Nuggetsbox in die Hand und schaue es nachdenklich an. Also wenn ich die noch esse, dann platze ich wahrscheinlich, weshalb ich sie zurück lege und die Cola austrinken.
„Geht es dir besser?" fragt Can nach einer unangenehmen Sille.
Ich beäuge ihn skeptisch und blicke tief in seine Augen, um eine Hinterlistigkeit zu sehen aber seine Augen widerspiegeln nur Besorgnis und Ehrlichkeit. Ich weiß nicht. Vielleicht ist er auch ein verdammt guter Schauspieler.
„Hör auf damit."
Genervt rolle ich meine Augen und packe die Papiere von den Burger wieder in die Papiertüte, um sie wegzuschmeißen.
„Womit?"
Er sieht sichtlich verwirrt aus.
„So zu tun, als ob du dir Sorgen machst." gebe ich bissig von mir.
Er ballt seine Hände zu Fäusten und spannt sein Kiefer an.
„Hayat, ich habe dir eine normale menschliche Frage gestellt, also beantworte sie auch gefälligst wie ein Mensch. Es ist normal, nach dem was passiert ist, dich zu fragen, wie es dir geht. Das nennt man Höflichkeit, falls dieses Wort überhaupt in deinem Wortschatz existiert."
Er spricht so ruhig aber dennoch so bissig, dass ich Gänsehaut bekomme.
Das Feuer in mit entfacht somit vollkommen. Ich stehe ruckartig auf und stemme meine Hände am Tisch.
„Jetzt hör mir mal gut zu, du hirnamputierter Affe. Nur Menschen, die meine Höflichkeit verdienen, kriegen meine Höflichkeit zu spüren. Da du aber kein Mensch bist und es sowieso nicht verdienst, kriegst du sie halt auch nicht zu spüren!."
Er schnappt empört nach Luft und steht ebenfalls auf.
„Ich soll kein Mensch sein? Auf welchem Planeten lebst du? In Behindertenplanet oder was?"
„Nicht jeder kann in Planet der Affen leben." gebe ich provokant von mir und mittlerweile stehen wir uns gegenüber. Sein Gesicht ist meinem so nah, dass nur wenige Zentimeter unsere Nasen trennen, wobei er sich ein wenig vorbeugen muss. Wir blicken uns so tief in die Augen, dass ich sein loderndes Feuer in seinen Augen sehen kann, die nun dunkler wirken. Es brennt in ihm. Immer wieder flackert die Flamme hoch, was bei mir nicht anderes aussieht. Dieses Feuer in mir, diese Wut, ihm gegenüber, will nicht verglühen. Statt, dass wir Wasser auf das Feuer schütten, um dem Brand ein Ende zu setzten, schützen wir noch mehr Benzin drauf, und machen es größer, unkontrollierbar und unbesiegbar.
„Du bist so bösartig und streitsüchtig!" gibt er verächtlich von sich. Empört ziehe ich scharf die Luft ein. Das hat er jetzt nicht gesagt!
„Ich bin bösartig und streitsüchtig? Ich will dich ja ungern an unsere erste Begegnung erinnern."
Ich verschränke meine Arme vor der Brust. Die Wut hatte uns in ihre Fänge gezogen. Sie haben ein Tornado entfacht, kurz davor alles in Schutt und Asche zu legen.
„Glaub mir, du lebst auch nur, weil töten illegal ist und du darauf auch noch eine Frau bist! Sonst würde ich dich jetzt krankenhausreif schlagen!"
„Mach doch, wenn du Eier hast!"
Ich habe wirklich keine Ahnung, woher dieser Mut kommt. Can sieht nämlich so aus, als würde er mich wirklich gleich töten wollen. Ich sollte vielleicht einen Gang zurückschalten. Ich sollte, mache es aber nicht. Mein Ego und Stolz lässt das nicht zu, ihn gewinnen zu lassen. Ich bin einfach zu impulsiv.
„Manchmal habe ich echt das Bedürfnis, dich einfach mal aus versehen zu überfahren."
„Und ich habe manchmal das Bedürfnis, dich aus versehen die Treppen runter zu schupsen."
Ich schnappe die Tüte von Tisch und laufe mit hochrotem Kopf an ihm vorbei und werfe die Tüte weg, bevor ich die Tür der Mensa aufreiße und mich davon mache.
Mein Weg führt mich geradewegs in die Bibliothek. Hinter mir höre ich schwere Schritte und mir ist klar, dass es Can sein muss. Ich öffne die Türe und schließe sie auch wieder, nachdem ich die Bibliothek betreten haben. Bevor ich ihm noch die Tür aushalte. Ich laufe geradewegs weiter, als die Tür sich wieder öffnet und Can hineintretet und ein 'wie ein Kind' vor sich hin flüstert, aber dennoch laut genug, sodass ich es hören kann, weshalb ich ihn nachäffe. Am Tisch angekommen packe ich sauer meine Sachen zusammen. Die fragenden Blicke der anderen ignoriere ich gekonnt, weil ich keine Lust habe, zu reden. Eine Angewohnheit von mir. Wenn ich sauer bin, will ich mit niemanden reden, bis ich mich angeregt habe.
„Wohin?" fragt Can mich barsch.
„Sana ne!" (was geht dich das an?) zische ich.
„Hayat, du solltest in diesem Zustand nicht nach Hause fahren." sagt Ela mit einer sanften Stimme und betrachtet mich besorgt.
„Schon gut. Mir geht es wieder besser. Ich schaffe das schon."
Ich kann ihren besorgten Blick nicht mehr sehen, weshalb ich weiter meine Sachen einpacke.
„Ich fahre dich!" bestimmt Can, weshalb ich verächtlich auflache.
„Nein! Danke. Du bist die letzte Person, die ich jetzt ertragen kann."
„Dann soll dich Enes fahren!" bestimmt er mit einem harten Ton, welches keine Widerrede duldet.
Nachdem ich den Reißverschluss meiner Tasche zugezogen habe, blicke ich Can kühl in die Augen, welches gerade auch Wut widerspiegelt aber auch Besorgnis, weshalb meine Gesichtszüge sanfter werden und ich nur nicke. Egal wie sehr man einen Menschen hasst, man möchte trotzdem nicht, dass dieser Person was zustößt. Das würde Can's verhalten erklären. Nichts weiter... denke ich.

Widerwillig reiche ich Enes meine Autoschlüssel. Ich mag es nicht, wenn fremde Leute mein Baby fahren. Wer weiss, vielleicht fährt er wie ein gestörter. Man kann nie wissen. Bevor er mir die Schlüssel aus der Hand nehmen kann, entziehe ich meine Hand.
„Hast du überhaupt einen Führerschein?" frage ich skeptisch. Sein lautes Lachen hallt durch den Parkplatz.
„Natürlich habe ich ein Führerschein."
„Wie lange schon?"
„Seid ich 17 bin. Also vier Jahre."
„Wurdest du schonmal geblitzt? Oder angehalten, wegen zu schnellem Fahren?"
Wieder lacht er amüsiert. Ich finde daran nichts amüsantes! Ich meine, ich vertraue ihm hier gerade mein Baby an. Mein ein und alles!
„Nicht mal ein Strafzettel."
Ich überlege kurz und reiche ihm schließlich Augenverdreht und Ergeben meine Autoschlüssel.
„Wenn mein Auto nur ein Kratzer hat, werde ich dich eigenhändig erschiessen!"
Wir steigen ein und ich schnalle mich als erstens an. Man kann ja nie wissen. Safety first.
„Du bist ja noch schlimmer als Can."
Natürlich kann er es nicht lassen, ohne eine dumme Bemerkung abzugeben.
„Vergleiche mich nicht mit diesem überheblichen, egoistischen und arroganten Arschloch."
Augenverdreht sehe ich zu, wie er geschickt aus der Parklücke fährt.
„Can ist eigentlich nicht so. Er ist ein sehr guter und loyaler Freund. Ob du es glaubst oder nicht, er ist auch sehr Fürsorglich, gegenüber den Menschen, die er mag."
Ich blicke von der Seite zu ihm, um anhand seiner Gesichtszüge festzustellen, ob es ein Witz war. Aber er blickt nur konzentriert auf die Straße. Es fällt mir nicht schwer, seiner Aussage glauben zu schenken. Ich habe sehr wohl Can's fürsorglichen Seiten kennenlernen dürfen. Schon allein heute. Aber was mich stutzig macht, ist, dass er das nur bei Menschen tut, die er mag. Also mag er mich? Aber das ergibt doch keinen Sinn. Noch gestern hat er mich angebrüllt und gesagt, dass er mich nie wieder sehen will. Der Gedanke an gestern hinterlässt eine Gänsehaut an meinem Körper. Das lodernde Feuer in mir entfacht somit wieder. Gott, ich hasse diesen Typ. Ich würde ihn am liebsten an einen Stuhl fesseln und solange auf ihn einprügeln, bis er ohnmächtig wird oder doch eine geladene Waffe an seinen Kopf halten und abdrücken.
„Wieso ist er dann zu mir so ein überhebliches Arschloch, denkt er wäre der Beste, will dass alle ihm gehorchen, als ob das seine Untertanen sind. Verhält sich wie ein King!"
Can hat ein starkes Selbstwertgefühl und ist sich seinem guten Aussehen bewusst, was er gezielt bei Frauen einsetzt.
Frustriert raufe ich mit die Haare.
„Er ist es wahrscheinlich nicht gewohnt, wenn jemand ihm die Stirn bietet. Und vor allem nicht ein schönes Mädchen, mit grünen Glubschaugen, welches ihm nicht direkt verfällt. Er ist es gewöhnt, wenn Frauen ihn anmachen und er steigert sein Ego dadurch, wenn Frauen ihn mit blicken ausziehen. Es gefällt ihm. Und du machst genau das Gegenteil. Das kratzt stark an seinem Ego." lacht er seinen besten Freund aus. Auch ich muss lachen. Ich stelle mir Can so Nachts in seinem Bett vor, wie er wie ein Baby weint, weil ich ihm nicht verfallen bin. Tolle Vorstellung.
„Jemand muss ihm ja beibringen, dass sich die Welt nicht um ihn dreht."
„Finde ich gut." stimmt er mir zu.
„Aber egoistisch ist er keinesfalls. Er tut alles für das Wohl seiner Mitmenschen, auch wenn er selber darunter leiden muss. Früher zum Beispiel, hat er immer alle schuld auf sich genommen, wenn wir mal scheiße gebaut haben. Einmal, da waren wir vielleicht gerade mal 5 oder 6, habe ich eine teure Vase von seiner Mutter kaputt gemacht. Natürlich ausersehen. Can wusste, wenn meine Eltern das herausfinden, sie die Vase zurückzahlen wollen würden. Du musst wissen, damals waren wir finanziell nicht bodenständig. Meine Eltern meinten immer zu mir, dass wir kein Geld haben. Diese Sorge habe ich natürlich Can und Devrim erzählt. Und als die Vase kaputt gegangen ist, hat Can diese Angst in meinen Augen gesehen. Vor allem, weil seine Mutter uns immer darauf hingewiesen hat, das wir vorsichtig spielen sollen und dass die Vase sehr teuer und unersetzbar war. Er hat die ganze Schuld auf sich genommen und hatte einen Monat Hausarrest und das, weil er mich beschützen wollte."
Es jetzt wird mir die Bindung der Freunde so wirklich klar. Ich hätte Can so niemals eingeschätzt. Er überrascht mich ehrlich gesagt. Er wirkt nicht wie einer, der sein Umfeld beachtet. Vorurteile. Ich merke gerade, was für Vorurteile ich gegen Can hege, ohne es wirklich bewusst zu sein. Aber vielleicht ist Can ja gar nicht so, wie in meinen Vorstellung. Vielleicht ist er sogar liebenswert? Wer weiß...

Seni tam kalbinden vuracam!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt