Kapitel 18

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Ein letztes Mal umarme ich meine Mutter und drücke sie fest an mich

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Ein letztes Mal umarme ich meine Mutter und drücke sie fest an mich.
„Pass auf dich auf, mein Schatz und sei immer vorsichtig. Und komm über's Weihnachten."
Sie zerdrückt das letzte Mal meine Wangen und hinterlässt anschließend ein Kuss drauf.
„Und immer die Türen verschließen, wenn's Nacht ist und die Fenster."
„Tamam, mach ich, Anne." lächele ich sie traurig an, was sie erwidert und ihre Tränen weg wischt. Ich spüre einen Druck auf der Brust und ich kann die aufkommenden Tränen nicht verhindern. Es bildet sich ein Klos in meinem Hals, was ich schwer runter Schlucke. Ich hasse Abschiede. Ich hasse es, mich von geliebten Menschen zu trennen, von Menschen, die ich fest in mein Herz gesetzt habe. Die mich mit viel Liebe erfüllen. Erst bei einem Abschied wird mir so richtig klar, wie kostbar jeder Moment doch war. Gerade bereue ich meine Entscheidung, weggezogen zu sein. Entrissen von meiner Familie. Aber vielleicht ist es auch mal Wichtig und Nötig, sich auf eine Reise zu begehen, loszulassen und mutig zu sein. Alles stehen und liegen lassen, um glücklich zu sein. Ich sage nicht, dass ich jetzt glücklich bin, dass ich meine Familie nicht mehr so oft sehe, aber ich bin glücklich einen Neuanfang gewagt zu haben. Eine neue saubere Seite, die ich mit neuen Menschen, neuen Erinnerungen ausfülle.
„Ich liebe dich, mein Schatz."
„Ich dich auch, Annem."
Mit diesen Worten hinterlässt sie mir ein Kuss auf die Wange.
„Wir sehen uns Kleines." umarmt mich auch mein kleiner Bruder. Kopfschüttelnd erwidere ich seine Umarmung. Ist ja nicht so, dass ich älter bin oder so...
Und schon laufen sie zu der Sicherheitskontrolle. Ein letztes Mal dreht sich meine Mutter um und winkt mir zu, was ich ihr nachmache. Als sie aus meiner Sichtweite verschwinden, laufe ich zurück zur Tiefgarage, wo ich davor noch mein Ticket bezahle.

In der Wohnung angekommen, ist es todstill. Wahrscheinlich schläft Dafina noch, da es grade mal 9 Uhr ist. Mit einem teuflischen Grinsen nehme ich mir ein Glas aus dem Schrank und fülle es zur Hälfte mit Wasser. Hinterhältig kichere ich vor mich hin. Ich brauche diese Ablenkung jetzt, um meine Laune zu puschen, sonst ersticke ich noch in Selbstmitleid. Leise tapse ich in Ela's Zimmer und sehe eine tief und fest schlafende Dafina vor mir. Hehe. Ich hole mein Handy raus und filme das Ganze. Mit einem Mal klatsche ich ihr das Wasser ins Gesicht, weshalb sie sich keuchend aufschreckt und sich aufrichtet.
„Junge bist du behindert?" brüllt sich mich an, während ich schon vor lachen Tränen in den Augen habe. Gott, ist das herrlich.
„Na warte." murmelt sie und steht energisch auf, weshalb ich aufschreie und durch die ganze Wohnung rennen. Als sie mich fängt, schleudert sie mich auf den Boden und stemmt sich über mich. Ich verrecke gerade vom Lachen, was sie nur noch mehr verärgert.
„Na warte." flüstert sie vor sich hin, eher sie meine Arme unter ihre Beine klemmt, damit ich mich nicht wehren kann. Sie lacht teuflisch auf, während ich immer noch lauthals lache und mein lautes Lachen durch die ganze Wohnung zuhören ist. Sie klatscht mich lacht an der Wange mehrmals, wodurch mein Lachen nur noch stärker wird und ich mein Kopf hin und her wackele, damit sie es schwerer hat mich zu erzielen.
„Okay, okay. Das reicht."
Ich schnappe erschöpft nach Luft.
„Hättest du wohl gern." lacht sie innerlich und fängt an, mich zu kitzeln. Ich schlage vergeblich um mich und versuche sie von mir runter zu kicken, was nicht gerade leicht ist, da ich mit dem Lachen beschäftigt bin.
„Dafina... hör... auf. Ich kriege keine Luft."
Endlich lässt sie von mir ab. Grinsend steht sie auf und reicht mir ihre Hand. Skeptisch betrachte ich ihre Hand und nehme sie dann an, um aufzustehen aber sie wäre nicht Dafina, wenn sie ihre Hand nicht entzogen hätte.
„Hättest du wohl gerne, du Giftzwerg." lacht sie und läuft an mir vorbei. Seufzend stehe ich auf und laufe ihr nach, in die Küche.
Sie öffnet den Kühlschrank und schließt ihn wieder seufzend.
„Wir haben nichts mehr zu essen." lässt sie mich wissen.
„Morgen gehe ich wieder mit Sevgi Teyze einkaufen." informiere ich sie.
Seid unserem Zusammentreffen mit Sevgi Teyze gehen wir immer Mittwochs zusammen einkaufen. Ich will nicht, dass sie die ganzen schweren Tüten tragen muss, weil sie schon ziemlich alt ist, weshalb ich ihr helfe.
Sie nickt nur daraufhin und setzt sich an den Tisch, was ich ihr nachtue.
„Wieso hast du mich nicht geweckt? Ich wäre mit dir gekommen."
„War nicht nötig. Ich musste sie ja nur zum Flughafen fahren."
Sie schaut intensiv in meine Augen und lächelt mich aufmunternd an.
„Ich vermisse sie jetzt schon." seufze ich traurig.
„Ich weiß. Aber wir fliegen doch über die Weihnachtstage nach Hause." muntert sie mich auf. Zuhause. Zuhause ist ein Ort, wo dich Wärme und Liebe erwartet. Wo Liebe und Herzlichkeit den Raum erfüllen. Zuhause ist ein Ort, wo du dich sicher und geborgen fühlst. Wo Erinnerungen geboren werden. Wo man sich wohl fühlt und hemmungslos ich sein kann. Aber warum erdrückt mich dann mein Zuhause? Wegen den Erinnerungen.
Weil mein Vater diesen Ort zerstört hat. Er hat diesen Ort für mich fremd gemacht. Ich fühle mich in diesem Haus nicht wohl. Ich fühle mich fremd, als ob ich in diesem Haus nie aufgewachsen bin. Die Wände meines Zimmers erdrücken mich, engen mich ein, denn nur diese vier Wände wissen, was ich alles durchgemacht haben. Nur sie haben mein Leid gespürt, durchlebt.
„Was hast du heute vor?" fragt sie mich, während sie den Knopf der Kaffeemaschine drückt.
„Ich habe die ersten Vorlesungen verpasst. Allerdings muss ich heute lernen, weshalb ich in die Bib gehe. Später kommt auch Ela dazu. Was hast du vor?"
„Ich bleibe heute hier."
Ich nicke daraufhin nur, weil es sich für sie nicht lohnen würde, in die Uni zu gehen. Am Anfang kam sie immer mit, aber mittlerweile hat sich das gelegt. Die Arme, muss immer stundenlang auf uns warten.
„Wie läufts mit Enes?" frage ich, dabei wackele ich mit den Augenbrauen.
Sie stellt die Kaffeetassen auf den Tisch und läuft rot an.
„Was soll da schon laufen?" tut sie einen auf unwissend.
„Ach komm schon, Dafina. Jeder Blinde würde eure Anspannung spüren."
Sie blickt mir traurig in die Augen und seufzt.
„Hayat, auch wenn sich da etwas entwickelt, würde es nicht klappen. Ich wohne in Hamburg und er hier. Ich fange nächstes Jahr mit meiner Ausbildung an und werde nicht mehr hier sein. Die Entfernung ist einfach zu groß. Okay sagen wir mal, es entwickelt sich zu einer Beziehung. Es würde nicht halten, weil wir uns sehr selten sehen würden. Ich weiß nicht ob ich dieser Sehnsucht standhalten kann. Es würde uns beide kaputt machen."
Darauf kann ich nichts erwidern. Sie hat nun mal recht. Selbst wenn sie hier eine Ausbildung finden würde, würden es ihre Eltern nicht erlauben. Sie musste ihre Eltern lange überreden, dass sie hier länge bleiben durfte. Ihre Augen verraten sie, wie traurig sie deswegen ist. Ich merke ihr an, dass sie schon die ein oder andere Gefühle entwickelt hat. Ist ja auch verständlich. Enes ist ein sehr guter Mensch. Hilft Menschen gerne und hat eine offene Art. Er ist ziemlich ruhig und fällt nicht so auf. Aber Dafina ist das Gegenteil. Sie fällt sehr durch ihre aufgedrehte Art auf und so ergänzen sie sich. Sie würden perfekt zusammen passen. Währe da nicht diese Entfernung, die sie zu ihrem Glück verhindern.

Nach dem wir unser Kaffee ausgetrunken haben, habe ich mir meine Jogginghose, ein enges schwarzes Oberteil und zu guter letzt meine weißen Sneakers angezogen, weil wir wahrscheinlich den ganzen Tag in der Bibliothek verbringen werden. Da will ich nicht in unbequemen Hosen sitzen. Meine Haare sind zu einem unordentlichen Dutt frisiert und ungeschminkt bin ich ebenfalls. Ich brauche mich nicht zu schminken. Oder habe eher kein Bock dazu. Am Anfang hatte ich noch die Motivation, mich zu schminken, um nicht wie ein gesellschaftlicher Zombie auszusehen. Aber mittlerweile ist mir das auch egal. Ich will die Uni einfach schnellstmöglich hinter mir haben. Und außerdem kann ich so morgens 10 Minuten länger schlafen. Diese 10 Minuten länger schlafen ist morgens Goldwert.
Auf dem Weg in die Uni hole ich mir noch einen Caramel Macchiato on Ice aus Starbucks. Ich brauche diese Verstärkung jetzt, weil ich die Nacht wieder nicht schlafen konnte.
Schlendernd laufe ich durch die Uni, geradewegs in die Bibliothek. Ich setzte mich an einen großen Tisch, in der hintersten Ecke, damit mich niemand stört. Ich schalte mein Tablett an und stöpsele meine AirPods in meine Ohren. Ich gehe auf Spotify und schalte meine Old-School-Playlist an. Früher gab es einfach die besten Songs. Von Beyonce, bis hin zu Rihanna. Ich setzte meine Brille auf und packe meine Unterlagen aus und fange an, sie sauber abzuschreiben. Die Themen, die ich nicht verstehe oder nicht nachvollziehen kann, tippe ich auf YouTube ein und schauen mir dort die Erklärungen an, die meistens sehr simple erklärt werden. Ich könnte mein Kopf gegen den Tisch hauen. Hätte ich doch viel früher damit angefangen, damit ich jetzt nicht so viel zutun habe.
So vergehen einige Stunden, bis ich eine Nachricht von Ela bekomme. Sie fragt mich, wo genau ich in der Bib bin und ich beschreibe es ihr.
„Hey." gegrüßt mich eine glücklich strahlende Ela.
„Hey." kommt es weniger motiviert von mir.
Als ich hochblicke sehe ich Ela und Devrim und hinter ihnen Enes und Can, die auf mich zulaufen. Hätte ich gewusst, das dieser Orang-Utan kommt, hätte ich zuhause gelernt. Hätte ich nicht, den das verlockende Angebot meines bequemen Bettes würde mich gezwungenermaßen davon abbringen.
Ich würdige Can nur ein kleiner, hasserfüllter Blick, in der ich feststelle, dass er auch er mich hasst. Juckt mich das? Nein! Ich habe mir fest vorgenommen, Can nie wieder so an mich ranzulassen. Nur ein kleines Lächeln von ihm, hat mich verzaubert, sodass sein Hass mich verletzt hat. Aber das kommt nicht mehr vor. Eine einmalige Sache. Und schon gar nicht mehr werde ich eine Träne wegen ihm verlieren. Ich weiß nicht was in mich gefahren war aber war eine einmalige Sache. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er mich angebrüllt hat. Aber davor hat er es ja auch getan, da hat es mich nicht so getroffen. Ach, keine Ahnung. Zurzeit läuft alles einfach schief. Augenverdreht widme ich meine ganze Aufmerksamkeit wieder meinen Notizen.
Ela hält mir plötzlich ein Burger von BurgerKing vor die Nase. Ich spüre, wie die Glückshormone durch mein Körper fließt. Ich habe heute nicht mal gefrühstückt, weil es nichts daheim gab.
Glücklich reiße ich ihr den Burger aus der Hand und bleibe in meiner Bewegung stehen. Ich blicke mit zusammengezogenen Augenbrauen in Elas Gesicht.
„Denkst du wirklich, ein- ich betone 'ein'- Burger macht mich satt?"
Sie lacht auf und deutet auf die Tüte in ihrer Hand.
„Nein. Natürlich nicht. Ich habe außerdem noch ein Chickenburger, ein doppelter Hamburger, 6er Nuggets und natürlich eine große Portion Pommes und Cola, natürlich ohne Eis." grinst sie und reicht mir die Tüte. Ich quicke erfreut auf und reiße auch die Tüte aus ihrer Hand. Sie stellt die 0,5 l Becher vor mir ab und setzt sich, wie die anderen.
Neben mir nimmt Ela platz und neben ihr Devrim. Gegenüber von mir Can und neben ihm Enes.
Ich begrüße Enes und Devrim noch neben bei und mir wird bewusst, dass keiner Essen dabei hat, wahrscheinlich haben sie schon dort gegessen. Irgendwie schäme ich mich jetzt zu essen, da niemand sonst isst. Eigentlich bin ich hemmungslos, vor anderen, beziehungsweise vor Jungs zu essen, aber wenn niemand sonst mitisst, wird mir das unangenehm.
„Eigentlich habe ich noch kein Hunger. Ich esse es später einfach."
Ich stelle die Tüte zu Seite und blicke auf, direkt in Cans Augen, die mich skeptisch mustern. Ich senke schnell meinen Blick und nehme mein Kugelschreiber zu Hand und lerne weiter. Ab und zu spüre ich Can stechende Blicke auf mir und sobald er wegguckt, blicke ihn an. Wie konzentriert er lernt. Sobald er nachdenkt, ziehen sich seine Augenbrauen zusammen, was ihn streng wirken lässt. Dabei tippt er mit der Spitze seines Kugelschreibers auf seine fülligen Lippen. Ich muss ehrlich sagen, dass er sehr schöne Lippen hat, so leicht rosa und weich. Was er wohl alles mit diesen Lippen anstellen könnte? HALT STOPP! Über was denke ich da nach. Ich spüre, wie die Hitze ihren Weg in meine Wangen bahnen. Plötzlich glitt sein Blick hoch, direkt in mein Gesicht, weshalb mir die Hitze noch mehr ins Gesicht schießt und meine Augen sich erweitern. Als sein linker Mundwinkel in die Höhe geht, wende ich den Blick sofort wieder auf meine Notizen und erst dann merke ich, dass ich die ganze Zeit an meinem Kugelschreiber geknabbert habe. Peinlich! Du bist einfach nur peinlich! Er hat mich erwischt, wie ich ihn mit meinem Blick fast ausgezogen habe. Und dann höre ich ihn auch noch leise lachen. Ich will gerade einfach nur liquidieren. Liquidieren? Ernsthaft, Hayat? Jetzt mutiere ich mich noch zu Dafina. Ich will gerade an einem Herzstillstand sterben. Kurz und schmerzlos.
Ich versuche weiter zu lernen und ich habe mir versprochen, egal wie groß das Verlangen ist, ihn anzuschauen, ich muss mich zügeln! Sowas wie gerade eben darf nicht nochmal passieren.
Es vergeht ungefähr eine halbe Stunde, die für mich wie 10 Minuten vorkommt, als zwei Blutstropfen auf mein weißes Blatt tropft...

Seni tam kalbinden vuracam!Where stories live. Discover now