7 | Toilettendrama

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Ich fühlte mich wie die Tochter einer wohlhabenden Familie, die wegen ihrer Visionen in eine Reiche-Leute-Anstalt geschafft wurde, damit ihre Familie behaupten konnte, sie wäre irgendwo auf Kur in der Schweiz, um sich nicht der Schande preiszugeben.

Der Grund dafür war teilweise das Gebäude, in dem ich mich seit vier Tagen befand. Es war groß, weiß und gepflegter als alles, was diese Welt jemals zu bieten hatte. Außerdem schienen die Möbel darin äußerst modern zu sein. Und ich durfte sogar ein weißes Kleid tragen, das sich wunderbar eignete, um in den Fünfzigern mit offenem Haar und lachenden Freundinnen barfuß über eine Blumenwiese zu laufen.
Von diesem Kleid hatte ich drei, aber eines davon war immer gerade dabei gewaschen zu werden.

Allerdings war es auch so kalt in den meisten Räumen, dass ich immer eine übergroße, kratzige, wollweste (mehr grau als weiß) und lange Socken tragen musste.
Der zweite Grund für mein Ich-bin-ein-reiches-Mädchen-Gefühl war, dass ich anders behandelt wurde, als die meisten. Die Betreuer gingen mit mir um, wie mit einer Lieblingsschülerin. Vermutlich, weil ich nicht so war wie andere junge Leute hier. Ich tat mir nicht weh, hungerte nicht und zeigte keine Anzeichen einer Depression. Für die Therapeuten war ich eine richtige Erfrischung. Zumal da ich nicht wie die meisten geistig Behinderten in dieser Anstalt mit toten Augen an die Wände starrte. Ich hatte hin und wieder dabei beobachtet und jedes Mal wollte ich sie wachrütteln. Oder nur mit ihnen reden. Aber selbst ihrer Lieblingsschülerin erlaubten die Betreuer das nicht.

Aber wichtiger noch: Sobald ich hier aufgewacht war, schien der ganze Wahnsinn mit meinen Fantasiefreunden vorbei zu sein. Sie waren wieder früher. Sie sprachen mit mir, heiterten mich auf, hielten sich aber dezent im Hintergrund auf, wenn es nötig war.

Weißt du, wir mussten dich hierher bringen. Wenn Sangster nicht mehr hinter Gittern sitzt, muss du es eben tun, erklärte Alice kleinlaut in der ersten Nacht.

Hauptsache es gibt Gitter zwischen euch, nickte der Hutmacher.

Ich weiß, was er fühlt, liebe Ruby, und er will dir wehtun. Wir wollen das nicht, Ruby, fügte Grins hinzu.

,,Er will mich also wirklich holen?"

Ja.

,,Und hier bin ich sicher?"

Sicherer als im Haus deiner Eltern. Aber vielleicht wärst du im Gefängnis besser aufgehoben.

Ich schauderte. Sie hätten mich wirklich dazu bringen können, eine Straftat zu begehen. Einen Mord zu begehen.

Aber Grins, wir haben uns doch schon darauf geeinigt, dass wir Ruby nicht in ein Gefängnis bringen wollen. Das wäre zu gefährlich gewesen, immerhin gibt es da vielleicht böse Leute, warf Alice ein.

,,Es wurde darüber diskutiert?!"

Natürlich! Hältst du uns für unverantwortlich?, antwortete der Hutmacher schockiert.

Ich biss die Zähne zusammen und starrte mit rasendem Blick an die Decke. ,,Nein, gar nicht."

Na bitte!

Ich schlief schneller ein, als gedacht. Die Decke war warm und die Matratze nicht zu hart. Außerdem hatte ich von meiner Betreuerin eine halbe Stunde zuvor ein Stück Schokolade bekommen, deren Geschmack immer noch in meinem Mund war, was mir das Träumen versüßte.

Und das Träumen hier war wundervoll. Jede Nacht unternahmen Grins, Alice und der Hutmacher etwas mit mir. Sogar die rote Königin hatten wir besucht. Sie zeigte sich etwas herrischer als sonst, weshalb wir dachten, dass es amüsant wäre, ihr einen silbernen Spiegel zu stehlen. Die Verfolgungsjagd durch ihre Kartenritter war aufregend gewesen.

criminal manWhere stories live. Discover now