27 | Fake-Bärte und Fallschirme

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Ob ich kurz davor war, mich zu übergeben, wusste ich nicht genau. Die Übelkeit kam eher durch die Schmerzen. Am liebsten hätte ich meinen Kopf ein paar mal gegen die Wand geschlagen, in der Hoffnung bewusstlos zu werden.
Den Balkon hatte ich bald gefunden. Anstatt mich aber wie eine Disneyprinzessin mit wundervollem Outift und einem melancholischen Gesichtsausdruck über das Geländer zu lehnen und die Aussicht zu beseufzen, krümmte ich mich auf dem Boden zusammen.
Mein Keuchen war alles, was ich hörte. (Auch, wenn der Straßenverkehr sich bemühte, in elf Stockwerken Höhe immer noch eine Belästigung abzugeben)

Immerhin, selbst wenn sie nicht gut wurden, die Schmerzen wurden besser.

Dadurch hatte ich nun die Möglichkeit, mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass ich Sangsters großen Moment verpasste.
Und, wie sehr ihn das vielleicht enttäuschte.
Und was für ein Arsch mein Körper doch war.
Und über die Gestalt in schwarz, die gerade über das Geländer kletterte.

Warte, was.

Im ersten Moment dachte ich, ein Ninja hatte den Balkon betreten. Dann erkannte ich eine viel zu große Jogginghose (dem Anschein nach aus der nächsten Mülltonne gefischt) und einen ebenfalls gigantischen Kapuzenpulli. Um die Hüfte trug die Gestalt einen Gürtel mit einer unidentifizierbaren, länglichen Waffe.
Vielleicht hätte ich ohne Schmerzen schneller reagiert.
Vielleicht auch nicht.
Sehr wahrscheinlich nicht, meinte Grins streng.

So blieb ich jedenfalls wie erstarrt in meiner Durchfallpose sitzen und starrte hilflos auf den Eindringling, der sich im Sprung vom Geländer umdrehte und sich die Kapuze runter zog.

,,Oh, hi, genau zu dir wollte ich gerade.", stellte Lydia fest. Sie trug einen buschigen Oberlippenbart.

,,Mit einem Knüppel?", fragte ich mit den einzigen Worten, die mein Hirn momentan bilden konnte.

,,Ja also, mein Plan war eigentlich, dich KO zu schlagen und an einen sicheren Ort zu schleifen."

Jetzt gab es noch weniger Worte, die mir einfielen.

Ich dachte stark nach. Sekunden verstrichen.

,,...du trägst einen Fake-Bart?", brachte ich hervor.

,,Woher willst du wissen, dass er fake ist?"

,,Guter Punkt."

Wir schwiegen uns kurz an.

,,Also ist er echt?", hakte ich beiläufig nach.

,,Nein.", gestand sie. Hörte ich da Enttäuschung heraus?

,,...Wieso?"

,,Mit weiblichen Hormonen einen krassen Bart zu bekommen, geht eben schwer." Sie zuckte mit den Schultern, als wäre das offensichtlich die richtige Antwort auf mein "Wieso" gewesen.

,,Nein, wieso hast du den Fake-Bart auf?", versuchte ich es noch einmal, jetzt allerdings leicht verzweifelt.

,,Hey, du kennst ja nicht die ganze Verkleidung!", verteidigte sie sich pikiert. ,,Und du musst nicht darauf rumreiten, dass er nicht echt ist. Sag einfach Bart. Lass das Fake weg."

***

,,Kommen wir zum Organisatorischen." Gott, ich klang wie ein Lehrer. ,,Ich biete jedem, der mich unterstützt einen Platz in meinem... Gefolge. Allerdings kann nicht jeder am ersten Platz sein." Ich legte eine Kunstpause ein. Das waren gefährliche Worte, ich musste aufpassen, was ich sagte. Damit konnte ich mir jetzt ein paar Feinde gemacht haben.
,,Wer an welcher Stelle steht, habt ihr jetzt zu entscheiden." Ein Raunen ging durch dem Raum, ich spürte eine Mischung aus Misstrauen, Aufregung und Feindseligkeit gegen die baldigen Mitstreiter. Gut.
Es sollte keine Verbrüderlichung gegen mich geben.

criminal manWo Geschichten leben. Entdecke jetzt