16 - Von Erbsen und anderen Gesprächen

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Gedankenverloren schob mein Dad seine Erbsen auf dem Teller vor ihm von links nach rechts und das jetzt schon seit fast zwei Minuten.

Als der Sekundenzeiger sich zum dritten Mal der zwölf näherte, riss ich meinen Blick von unserer Küchenuhr, die direkt über unsere Tür hing, los und fixierte Dad mit zusammengekniffenen Augen wachsam.

Natürlich bekam er das nicht mit. Er war wieder dabei, die fünf Erbsen nach rechts zu schieben.

Laut seufzte ich auf, legte mein Besteck beiseite und stützte meinen Kopf auf meinen Händen ab. "Dad?"

Als hätte ich einen Silvesterknaller direkt vor seiner Nase hier auf dem Esstisch angezündet, zuckte er zusammen und schaute mich erschrocken an. Es vergingen weitere Sekunden, bis er sich wieder gesammelt hatte und mich mit seiner sonst so gewohnt gefassten Miene ansah. "Ja, Iva?"

Wenigstens war er jetzt wieder ansprechbar.

Natürlich machte ich mir um ihn Sorgen, gerade weil er so... alleinstehend war. So ohne Mom... obwohl er ihre Abreise seltsamerweise schnell verkraftet hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich ernsthaft gefragt, ob er sie überhaupt über alles geliebt hatte... Denn es schaute jetzt eher so aus, als würde er sein Leben ohne feste Bindung mehr lieben.

Er war schon immer mehr oder weniger ein Träumer, der mir schon so viele Geschichten erzählt hatte. Ausgedachte oder seine eigenen Erlebnisse, die mir oft zum Einschlafen geholfen haben als ich kleiner war.

Und genauso wie er fantasievoll war, so war er auch von Humor - gerade von sarkastischen Humor - und aufgeweckter Energie nicht zu übertreffen. An manchen Tagen war er wie ein männlicher Schmetterling, der durch die Wohnung oder auf unseren Spaziergängen durch die Umgebung hüpfte.

Auch liebte ich sein Verständnis für so viele Sachen. Gerade, wenn ich ziemlich beschissene und dumme Fehler gemacht hatte und ich sie ihm sagte, er verurteilte mich dafür nicht.

Er sagte nur jedes Mal, dass ich daraus lernen und es nächstes Mal besser machen würde, dann starrte er untypisch für eine kurze Zeit ins Leere... was für mich bedeutete, dass er anscheinend schon irgendwann mal einen großen Fehler oder mehrere getan hat. Sonst würde er das niemals so sehen.

Denn Mum hatte sofort immer mit einer Standpauke angefangen, als sie noch da war. Es war selten, dass sie mein Handeln in manchen Situationen auch wirklich verstand.

Ich versuchte diese Erinnerungen, denn der Gedanke an ihr schmerzte noch immer, kopfschüttelnd zu verscheuchen und meine Aufmerksamkeit meinem Dad zu schenken. "Du wolltest mir doch noch irgendetwas erzählen."

"Mhm." Er nickte langsam, erneut verlor er sich.

Was zur Hölle?

"Dad?"

Seine Augen zuckten zu mir. "Entschuldigung... es ist nur..", er hielt inne und atmete laut aus. "Es ist nur... schwierig... zu sagen."

Ich runzelte meine Stirn. "Inwiefern? Hast du jemanden Neues kennengelernt oder wie?"

"Was? Nein", erwiderte er augenblicklich und lachte zum ersten Mal locker, nachdem wir uns an diesen Tisch gesetzt haben, um gemeinsam Abendbrot zu essen. Meinem Dad war es sehr wichtig, dass wir zusammen aßen, wenn er mal nicht wegen seiner Mannschaft unterwegs war. Er wollte immer alles wissen, mit mir erzählen und, wie hat er es gesagt, einfach für mich da sein und die Zeit zusammen genießen.

Ich wusste, dass ich sehr wichtig für ihn war und obwohl er mich ebeneso oft zur Weißglut brachte wie ich ihn, war er natürlich auch sehr wichtig für mich.

Wahrscheinlich machte er mir deswegen so einen Stress wegen der Suche einer Uni oder eines Colleges. Oder generell nach irgendwas, womit ich Fuß im Leben fassen konnte. Er hatte einfach Angst.

Verständlich.

Aber genauso so sehr sorgte ich mich auch um ihn. Besonders, wenn er so ratlos wie jetzt wirkte.

"Es... es ist etwas anderes", rückte er nur langsam mit der Sprache heraus.

Schweigend bilckte ich ihn weiterhin abwartend an.

Es schien, als würde er nochmal alles genau im Kopf abspulen, was es auch immer war, bevor er weiterredete. "Kannst du dich noch erinnern, als ich dir immer Geschichten von meiner damaligen engen Freundesgruppe erzählt habe?"

Wie kam er denn jetzt darauf?

"Ja", gab ich wage zurück. "Die Gruppe, wo ihr euch wegen einem Missverständnis alle so ein bisschen getrennt habt?"

"Naja Missverständnis... na egal. Wir haben uns außerdem alle eh nicht mehr so oft sehen können, weil viele woanders hingezogen sind. Aber das ist ja jetzt Nebensache. Es geht eigentlich darum, dass ich wieder mit einem meiner besten Kumpel von damals Kontakt habe und er hat uns zum Abendessen bei ihm eingeladen", gestand er endlich.

Und was war jetzt daran so schlimm?

Ich lächelte ihn nur an, so einige Fragen stellten sich mir. "Hört sich doch ganz gut an. Wie heißt er denn und wo wohnt er? Und wie kam es dazu, dass ihr wieder Kontakt habt?""

Endlich piekste Dad eine Erbse auf, um sie zu essen, statt mit ihr den Teller zu dekorieren. "Puh, wie das dazu gekommen ist... das war eigentlich ein Zufall. Ich habe ihn letzte Woche getroffen, beim Bäcker."

"Ach deswegen hast du auch so lange gebraucht die Brötchen zu holen", lachte ich nun, ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie ich verzweifelt und etwas verwirrt am Tisch saß, nachdem ich den gedeckt hatte und er einfach nicht mit diesem verfluchten Gebäck auftauchte.

Warmherzig lächelte er mich an. "Richtig, das war eben, weil ich ihn getroffen habe... nun ja, was wolltest du noch wissen? Ach ja, wie er heißt. Ian, Ian ist sein Name und er wohnt in Brokenhill, zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn. Der müsste jetzt zweiundzwanzig sein, wenn ich das richtig gerechnet habe... naja, über kurz oder lang... zusammengefasst, wir sind Mittwochabend eingeladen. Wärst du dabei?"

Mittwochabend?

Ich lächelte breit.

Konnte ja fast gar nicht besser laufen. Hier war meine passende und glaubwürdige Ausrede, warum Tate mit Venice eben allein in den Club gehen musste.

Innerlich rieb ich mir zufrieden die Hände.

Lieber ein nettes Abendessen und neue Leute kennenlernen, anstatt arroganten Kerlen wie Charon oder Easton nochmals im Club über den Weg zu laufen und wegen Mitleid beachtet zu werden.

Ich legte meinem Vater kurz meine Hand auf seinen Arm und strahlte ihn an. "Aber natürlich bin ich dabei."

Etwas argwöhnisch schaute er mich an, nickte das dann jedoch ab. Er war wohl auch nur froh, dass er mich somit einen Abend in seinen Fängen hatte und ich mich nicht ungesehen wegstibitzen konnte. Vielleicht lag es ihm auch einfach sehr am Herzen, dass er mich seinem besten Kumpel aus Jugendzeiten vorstellen konnte.

Wie auch immer, ich war gespannt auf den nächsten Mittwochabend.

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