„Es wäre sein Geburtstag gewesen." Noahs Finger hörten auf, die Gitarrenseiten zu bearbeiten. „Er ist tot, Mum."

Charlotte schluckte. „Hast du Lust, die Briefe von deinem Dad heute alle nochmal zu lesen?"

„Nein Danke."

Sie hatte keine andere Antwort erwartet, wusste insgeheim, dass sich all dies langsam anbahnte. Während Harrys Briefe in Noahs Kindheit zu seiner täglichen Gute Nacht Geschichte geworden waren, wurden sie im Laufe der letzten Jahre immer seltener gelesen. Mittlerweile verstaubten sie in seinem Nachtischschrank, sammelten neue Geheimnisse und versteckten die Worte, die jedoch nie ihren Zauber verlieren würden.

Es war keine Überraschung, bloß die unvergängliche Wahrheit. Doch heute traf es sie mit voller Wucht.

„Ich glaube, dass uns das guttun würde", murmelte das Mädchen mit den Sternenaugen, während sie nachdenklich über eines der Fotos strich. Es zeigte sie und Harry, beide mit einem breiten Lächeln an einem runden Tisch, die Augen glitzernd durch das Kerzenlicht.

Das Bild war längst an den Rändern vergilbt, bereits mehrere Jahrzehnte alt und dennoch würde Charlotte Styles den Moment nicht vergessen, denn es war ein besonderer Tag für sie gewesen. Harry hatte darauf bestanden, sie für ihren ersten Jahrestag in das teuerste Restaurant in der Umgebung einzuladen und dabei waren sie sich so unfassbar erwachsen vorgekommen. Dabei war die Wirklichkeit so furchtbar unschuldig, so furchtbar anders, denn sie hatten damals noch nichts vom Leben verstanden. Das Wichtigste wussten sie doch bereits damals, dass ihre Liebe stark genug war, um dem Universum zu trotzen.

„Was soll das denn bringen, Mum? Dad bleibt trotzdem tot." Noahs Stimme war leise, sanft wie der Wind, der den Schnee draußen vor den großen Fenstern auf die Erde rieseln ließ. Dennoch schlug sie ein wie eine Bombe in dem Herzen seiner Mutter. „Ich will die Briefe nicht lesen und du solltest das auch nicht. Sie bringen dich bloß zum Weinen. Ich weiß, dass Dad es gut meinte, aber es wird Zeit, dass du endlich damit abschließt und andauernd seine Briefe zu lesen, hilft dabei nicht."

„Er ist mein bester Freund. Mit so etwas kann man nicht einfach abschließen", murmelte Charlotte. „Das verstehst du nicht, Noah."

„Doch, ich verstehe es nur zu gut", entgegnete er, die Stimme langsam zu einem Wirbelwind anschwellend. „Du bist diejenige, die nicht versteht, Mum! Er ist tot und das wird er auch bleiben! Es bringt nichts, seine beschissenen Briefe zu lesen! Sie hindern uns daran, verdammt nochmal zu leben!"

Jedes seiner Worte bohrte sich wie Messerstich in Charlottes Herzen, doch sie zwang sich mit aller Kraft, nicht in Tränen auszubrechen. Das verdiente ihr Sohn nicht. Er hatte schon genug Schmerz ertragen müssen.

„Wirklich, Mum, es wird Zeit, dass du diese verdammten Briefe endlich vergisst!"

Mit sanften Griffen, die so gar nicht zu seinen funkelnden Augen passten, legte Noah Styles die Gitarre auf ihren Ständer und stapfte dann aus dem Wohnzimmer. Charlotte lauschte mit leeren Herzen seinen Schritten. Sie wurden leiser, bis sie schließlich nur noch an Federstriche erinnerten und passten so gar nicht zu dem lauten Knall, als Noah die Haustür fester als nötig hinter sich zuzog.

Erst dann erlaubte sie sich, den ersten Schluchzer über die zitternden Lippen entgleiten zu lassen.

Charlotte fühlte sich so alleine, so verdammt einsam, in diesem riesigen Haus, das so viele Menschen vermisste. Es erdrückte sie und war gleichzeitig doch ihr einziger Trost, war dieses Gebäude doch eines der wenigen Dinge, die ihr noch von ihrem Sternenjungen blieben. Er steckte in jeder Ecke dieses Gemäuers.

Harry war unter dem zerkratzten Fußboden von eines aus der Kontrolle geratenen Abends, der mit zu viel Wein und wenig Kleidung im Boden neben dem Sofa endete, weil sie beide zu ungeduldig gewesen waren, es noch bis ins Bett zu schaffen. Damals, als ihre Liebe alleine reichte.

boy in the stars || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt