Kapitel 40 - Familie

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Nach einer halben Stunde in der ich und die anderen die Nachbarschaft abgesucht hatten um Milo zu finden, erreichten ich und Lucian schließlich den Park wo ich immer mit ihm spazieren ging.
Ich schrie nach Milo und suchte den Spielplatz ab, konnte nicht fassen was der kleine mir hier für sorgen bereitete und wäre Lucian nicht bei mir gewesen, wäre ich womöglich in Tränen ausgebrochen.
Ich hatte gewusst das es ihm nicht gut ging. Mir ging es ja auch noch nicht gut! Es war gerade mal ein Jahr seit dem Vorfall vergangen und während ich meine Dunkelheit immer unterdrückt hatte, konnte ich mir wohl nicht vorstellen was Milo alles durch machte. Vielleicht hatte er genauso Schwierigkeiten wie ich, aber er war noch ein Kind und ich konnte und sollte es nicht zulassen das es ihm schlecht ging, das er noch weitere Schäden davon trug.
Ich hatte ihn in letzter Zeit so sehr vernachlässigt, Lucian hatte mir den Kopf verdreht und ich hatte nicht auf ihn aufgepasst. Ich wusste doch das Milo es nicht gerne sah wenn ich jemandem zu nahe kam, der kleine war doch nicht blöd und hatte eins und eins zusammengezählt als er mich und Lucian gesehen hatte. Ich könnte mich in diesem Moment selbst schlagen und ich war wütend auf mich selber aber genauso auf Lucian. Dabei konnte dieser doch nichts dafür und machte sich bestimmt unglaubliche sorgen und hatte Schuldgefühle. Doch in meinem Chaos konnte ich mich darum nicht kümmern, denn die Angst um Milo trieben mich bösartige Sachen zu denken und in diesem Moment  wünschte ich, ich wäre Lucian niemals begegnet.

Als wir eine Baumallee entlang liefen und zu dem großen Fußball Platz kamen, hielt Lucian plötzlich abrupt inne.
"Manu, ich glaub ich sehe ihn." sagte er, versucht eine ruhige Stimme zu haben und deutete auf eine Bank unter einer der großen Linden.
"Milo!" schrie ich verzweifelt und rannte los, meine Füße wurden von dem kalten Tau auf dem Gras benetzt und ich zitterte immer noch als ich die kleine Gestalt erkannte, aber als diese mich hörte und erkannte, sprang sie auf und rannte davon.
Es war Milo und er wollte mich nicht sehen.
Ungläubig von dem was ich sah, merkte ich das ich anfing vor Wut zu kochen.
"BLEIB SOFORT STEHEN MILO! Ich finde das überhaupt nicht lustig und es reicht mir langsam!" und dann sprintete ich los, mit meiner letzten Kraft und holte ihn ein. Ich hielt ihn an den Schultern fest und wir stolperten beinahe.
"Lass mich los!" hörte ich den kleinen aufgebracht rufen und das machte mich noch wütender.
"Sag mal hast du sie noch alle?! Was denkst du dir eigentlich was du hier machst? Ich dachte du hast mir versprochen so etwas nie wieder zu tun!! Ich könnte umfallen vor sorge!" schrie ich ihn an.
"Kann mir doch egal sein, du brauchst mich doch sowieso nicht mehr!" kam eine schreiende Antwort zurück und Milo konnte vor Wut nicht einmal mehr weinen. Er funkelte mich an und hatte die Hände zu Fäusten geballt.
"Milo ist dir vielleicht mal in den Sinn gekommen das ich dich vielleicht genauso sehr brauche wie du mich?!" sagte ich bestürzt und sah zu ihm herunter.
"Aber wie genau kann man das wissen? Vielleicht kommst du eines Tages nicht mehr zur Schule um mich abzuholen oder du bleibst bei Lucian und vergisst mich. Ich weiß doch gar nicht wie sehr du mich brauchst, vielleicht bin ich ja auch nur ein Klotz am Bein." nun kamen dem kleinen doch die Tränen und in mir schnürte sich alles zusammen.
"Oh Milo, ich vergesse dich niemals!" rief ich verzweifelt.
"Ich glaube dir nicht! Ich mag Lucian nicht, ich mag Isabella nicht, ich wünschte du würdest sie alle nicht kennen! Ich möchte das sie verschwinden!"
"Jetzt hör aber auf Milo, du belügst dich doch nur selber! Was soll ich denn tun damit du dich sicher bei mir fühlst? Damit du mir glaubst?" fragte ich zittrig und wusste nicht mehr was ich tun sollte.
"Ich möchte nicht mehr das Lucian bei uns ist." sagte der kleine sofort.
Mein Herz hatte einen Aussetzer. Für einen Moment sahen wir uns gegenseitig stillschweigend und mit glühenden Augen an, dann kehrte meine Wut wieder zurück.
"Kleiner was soll das?! Erst Isabella und jetzt Lucian? Und wenn ich dann wieder jemanden anderen treffe der mich glücklich macht dann soll der auch weg gehen, ja? Ich verstehe nicht was du mir sagen willst, ich weiß das du sorgen hast das ich weg gehe, aber das werde ich nicht!"
"Das kannst du mir nicht versprechen!" schrie Milo nun außer sich.
"Nein ich kann nicht versprechen das mir nie etwas passiert und das kann ich genauso wenig wenn ich andere weg schicke die mir etwas bedeuten und dir nebenbei genau so. Aber ich kann dir versprechen das ich niemals von dir weggehe um woanders hin zu gehen, dafür habe ich keinen Grund! Wovor genau hast du Angst Milo?" fragte ich ihn direkt und dann hielt ich mich nicht mehr zurück:
"Hast du Angst das ich wie Mama und Papa einfach weg gehe und nicht wieder komme?"
Milo hielt die Luft an und ich fuhr gnadenlos fort:
"Mama und Papa sind bei einem Auto Unfall verunglückt, die konnten nichts dagegen tun und die wollten das nicht. Sie sind nicht abgehauen Milo, sie haben dich ganz dolle lieb und es tut ihnen bestimmt schrecklich leid wie es passiert ist. Aber ich passe auf dich auf und es gibt nichts auf dieser Welt was mir nicht wichtiger ist als du es bist, also macht dir bitte keine sorgen. Lucian nimmt mich nicht weg, ich gehe nirgendwo hin und ich werde dich ganz bestimmt niemals vergessen. Du bist mein größter Schatz!" sagte ich eindringlich und dann ließ ich mich auf die Knie fallen um in die hocke zu gehen und sah ihn ganz sanft und liebevoll an. "Milo ich liebe dich, und Mama liebt dich und ich vermisse sie auch ganz schrecklich, aber ich habe immer noch dich." und dann nahm ich sein Gesicht in die Hände und sah in seine großen dunkeln Augen die mit Tränen gefüllt waren.
"Mama kommt nicht wieder." sagte Milo leise wie eine bittere Feststellung.
"Nein." flüsterte ich.
"Ich will nicht alleine sein." weinte Milo.
"Kleiner das bist du nicht, ich bin immer da für dich."
"Aber du kannst mir das nicht versprechen."
Ich blieb einen Moment still. Er war so scharfsinnig, das war er schon immer gewesen und Alicia hatte mir mal erzählt das Milo, als er noch Kleiner war, nach Sachen gefragt hatte und geantwortet hatte, die für ein Kind normalerweise noch gar nicht zu verstehen waren. Ich wusste ganz genau was er meinte, aber ich wusste nicht ob ich die richtige Antwort finden konnte.
"Versprechen ist etwas ganz schwieriges Milo, da hast du recht. Ich kann dir nicht versprechen das mir nie etwas passiert, aber ich kann dir sagen wie ich mich fühle und das wir herausfinden werden was für uns möglich ist zu versprechen oder nicht, damit wir uns glauben können. Weist du, ich habe jedesmal eine solche Angst wenn du weg läufst, das kannst du dir nicht vorstellen. Du kannst mir auch nicht versprechen auf einen Baum zu klettern und nicht herunter zu fallen, weil der Ast dir nicht versprechen kann das er dich halten wird, aber du kannst versuchen den richtigen Ast zu finden und es mir sagen wie du dich fühlst, damit wir zusammen den besten Baum finden können. Das klingt jetzt kompliziert... Aber ich denke du weißt was ich meine." räusperte ich mich nervös.
"Du hattest Angst?" fragte er leise.
"Ich habe immer Angst um dich. Ich möchte das es dir gut geht und das was ich dir versprechen kann ist das ich immer versuchen werde es dir zu versprechen das ich zurück komme, denn das ist was ich will. Wir haben nur noch uns beide und wir sind eine Familie, wir halten zusammen und nehmen uns unsere sorgen, okay? Glaubst du mir wenn ich dir das sage?"
Langsam nickte Milo.
"Wir sind Familie, und Familie bleibt zusammen." sagte ich nochmal wie als wollte ich es in seinen Kopf einsetzen, dann wagte ich zu fragen:
"Kleiner warum bist du weg gelaufen?" und Milo zögerte, sah kurz hinter mich weil dort Lucian stand und wusste nicht wie er anfangen sollte. Es schien ihm unangenehm.
"Hast du mich und Lucian küssen gesehen?" fragte ich leise und behutsam, versuchte sanft zu klingen um ihm Mut zu machen.
"Ja." nuschelte Milo und mied meinen Blick.
"Und wovor hast du genau Angst?" wiederholte ich meine Frage, daher ich es wirklich wissen wollte.
Milo trat von dem einen Fuß auf den anderen und ich sagte beruhigend:
"Du kannst es mir erzählen, ich möchte es gerne wissen damit ich dir helfen kann."
"Du... Du bist immer in meinen träumen." murmelte Milo nun Ängstlich.
"Und was passiert da?"
"Du... Läufst immer weg und lässt mich alleine." gestand der kleine und wagte es nun wieder mich an zu sehen als ich liebevoll meine Hände an seinen Armen ablegte. "Du siehst glücklich aus wenn du mit anderen bist, ganz anders als wenn... Als Mama gestorben ist. Du bist immer so abwesend wenn jemand anderes da ist, ich hab Angst du vergisst mich."
Ich schluckte schwer. Ich hatte es mir schon gedacht, doch hatte mein verhalten völlig falsch eingeschätzt, ich war wohl auffälliger als mir lieb war. Es war unbewusst geschehen, mehr als ich wollte hatte ich mir den Kopf verdrehen lassen.
"Du hasst aber Lucian nicht, oder?" fragte ich leise und in der Hoffnung auf Bestätigung.
Milo schüttelte den Kopf. "Ich hasse es wenn ihr soviel... Zusammen macht. Aber ich hasse ihn nicht... Ich war nur wütend."
Er war eifersüchtig.
"Seid ihr jetzt zusammen?" fragte Milo möglichst gelassen.
Ich wusste nicht was ich darauf sagen sollte. Ich musste ehrlich sein. "Ich mag Lucian sehr sehr gerne und er bedeutet mir viel." sagte ich und zögerte mit dem Rest fortzufahren.
"Wohnt er jetzt bei uns?"
"Was? Oh nein nein, ich... Wir wollen gerne versuchen zusammen zu sein, versteht du?"
"Ich möchte aber nicht das er bei uns wohnt." gab Milo trotzig von sich.
"Aber... Du hast nichts dagegen das wir uns... Gerne haben und -"
"Und küssen?" fragte Milo schlicht.
"J-ja, hast du was dagegen?" unsicher fuhr ich mir durch das Haar und kratzte mich am Nacken.
"Nein, aber ich will nicht das ihr zu viel Zeit miteinander verbringt. Ich weiß das wenn man sich gerne hat dann wohnt man zusammen wie in einer Familie, aber noch sind wir eine Familie und ich möchte nicht noch mehr Familie haben. Daran muss ich mich erst gewöhnen." erklärte Milo nun ohne zu zögern.
"Oh okay." gab ich von mir. Ich musste ihm wohl Zeit lassen.

Du bist meine Familie (Man×Man)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt