Kapitel 19

12 1 0
                                    


Ich vermisse sie. Ich versuche nicht an sie zu denken, doch es gelingt mir nicht. Wenn ich trinke verschwindet sie wie hinter einem dunklen Schleier, oder steht in strahlendem weißen Licht direkt vor mir, mit ausgebreiteten großen, weißen Flügeln, wie ein Engel, der zu mir vom Himmel herunter kam mit dem alleinigen Auftrag mich davon abzuhalten noch mehr von dem flüssigem Gift in meinen Körper zu schicken. Ich saß mit Nick auf der Ladefläche seines Pickup-Trucks, wir wollten die einzige klare Nacht diese Woche laut Wettervorhersage nutzen und etwas draußen an der frischen Luft sein. Zuvor hielten wir noch an einer Tankstelle, wo ich das Übliche kaufte. Parliament Vodka, 4 Dosen Red Bull und ein paar Plastikbecher. Für Nick eine Schachtel seiner Lieblingszigaretten und eine Dose mit gesalzenen Erdnüssen. Und so saßen wir hier nebeneinander, stillschweigend. Ich konnte ihm nicht von ihr erzählen. Ich will darüber mit niemandem sprechen, aber das Gefühl gerade sie zu vermissen überwiegt und schaltet alles andere aus. Ich war nie leicht, mit mir war es nie einfach auszukommen und meine vielen traurigen Momente zu ertragen. Ich gab immer mein Bestes, aber wo auf dieser Welt ist das Beste von einem schon genug? Sie sagte zuletzt, dass es an mir nichts Liebenswertes gibt. Nichts. Dieses 'Nichts' kriege ich nicht mehr aus dem Kopf, es verfolgt mich seit Stunden. Aber seien wir mal ehrlich, es ist gut, dass sie so denkt. So ist es für sie einfacher mich gehen zu lassen, wie sie es schon so oft wollte, es aber nie geschafft hat. Ich bin immer wieder hinterhergelaufen, wie ein treuer Hund, den man im Wald auf der Jagd verloren hatte. Doch dieser Hund rannte kilometerweit und fand sein Zuhause, bevor die Nacht einbrach. Aber auch Hunde haben Gefühle und irgendwann keine Kraft mehr sich verloren zu fühlen und dann bleiben sie auf dem Fleck des mit Ahornblättern übersäten Waldbodens einfach sitzen und hoffen, dass irgendwas passiert, was ihnen erlaubt jegliche Gefühle auszuschalten. Nun sitzt dieser Hund auf der Ladefläche eines amerikanischen Geländewagens und wartet eben auf die Möglichkeit seine Gefühle ausschalten zu können, doch es gibt keine die wahrscheinlich alles nur noch verschlimmern würde. Ich liebe sie und ich werde niemals ein schlechtes Wort über sie verlieren, das unterschreibe ich mit Blut vor den Toren der Hölle auf einem Pergamentstück eines der gefallenen Engeln, zu denen ich auch in nicht allzu langer Zeit gehören werde. Sie wird Jemanden finden, der ihr all das geben wird, was ich wohl nie konnte und dann ist es doch in Ordnung, hm? Ich setzte mich sachte von der Ladefläche von Nicks Auto ab und fragte ihn, wie lange es wohl dauern würde, bis ich wieder ohne Krücken laufen könnte. Laut die Erdnüsse kauend schätzte er die Dauer noch auf zwei Wochen. Lächelnd gab ich ihm meine Liste mit den Medikamenten, welcher Nicks Arzt für mich besorgen wird. 'Damit wird es Dir bestimmt besser gehen für die nächste Zeit und keine Sorge, ich werde auf die Dosierung bei dir immer ein Auge haben.' Ich bedankte mich und überlegte ihn zu fragen, ob er in all den Jahren eine frau kennengelernt hatte, die auch nur im Ansatz angefangen hat ihm etwas zu bedeuten. Doch er grinste gerade so sorgenfrei, also verschob ich den Gedanken für eine bessere Gelegenheit. 'Dean, ich habe gestern Nacht meine Medizin nicht genommen, ich mache das bewusst nachts, damit Du mich nicht ín der Rolle von, naja Du weißt schon wem siehst, Ich durchforstete das Internet, schrieb mit ein paar von meinen Männern, die ich Dir wenn Du willst natürlich nur, auch vorstellen werde. Wie dem auch sei, wir recherchierten gründlich, belegten alles mit Beweisen und stoßen auf einen Menschenhändler, der amerikanische Kinder in Teile Asiens bringt und sie dort an reiche Familien verkauft. Natürlich wird nicht jedes dieser Kinder das Glück, wenn man es so nennen kann, haben in eine dieser Familie aufgenommen. Nur die schönsten und makellosesten wecken das Interesse auf diesen Auktionen. Die Mädchen und Jungs, die ihren Familien entrissen werden und in der späten Nacht bei Ende der Auktion übrig bleiben, werden an Zuhälter verkauft und zur Prostitution gezwungen. Asiaten zahlen viel Geld für Geschlechtsverkehr mit westlich aussehenden jungen Mädchen.' In mir stieg eine große Wut auf und auch in Nicks Gesicht konnte ich lesen, dass er sich nur mäßig zurückhalten konnte zu zeigen, wie es ihm dabei ging von diesen Bestien und nicht Menschen zu sprechen. 'Dean, ich möchte niemals ein Geheimnis vor dir haben. Als einzige Gegenleistung, wie Du dir denken kannst, erwarte ich das gleiche von Dir. Absolute Ehrlichkeit und Loyalität. Denkst Du, du bist dazu bereit, mir das zu versprechen?' Ich nickte, umarmte ihn und schrie ihm ins Ohr: 'Natürlich, aber Natürlich Nick. Ich werde dich nie enttäuschen.' Wieder fing ich an zu weinen, dieses Mal konnte ich es nicht zurückhalten, die tränen liefen wie ein Wasserfall. Nick drückte mich fester, massierte etwas meinen Rücken und sagte, dass ab sofort alles gut sein wird. Als keine tränen mehr liefen, wischte ich die letzten mit meinem Ärmel weg und bat Nick, dass wir zurück zur Farm fahren sollten, es sich schon deutlich abgekühlt hatte. Während seiner Umarmung habe ich die Gänsehaut auf seinen Armen gespürt, er trug fast immer bloß ein T-Shirt, auch schon als wir Kinder waren. Nicht um als Held dazustehen, oder bei den anderen damit anzugeben, sondern weil er meinte, dass es kein besseres Gefühl gäbe als frische, kühle Luft auf den Armen zu spüren. Während der Fahrt zurück erklärte Nick mir, wie er es geschafft hat über Monate, durch verschiedene Dosierungen von verschiedenen Medikamenten zu unterschiedlicher Zeit und Konditionen, von denen ich nicht wirklich etwas verstand die Wechsel seiner Persönlichkeiten zu kontrollieren und zu steuern. Am wichtigsten war dafür sein schwarzes Notizbuch, zu dem nur er einen Schlüssel hatte. Er gab mir aber zu verstehen, dass ich zu jeder zeit, wann immer ich möchte keine Scheu haben brauche ihn zu fragen, wenn ich es lesen wollen würde. Ich nickte dankbar, es war beeindruckend wie Nick es geschafft hat aus seiner unheilbaren Krankheit etwas Positives zu schaffen. Natürlich wird es Menschen geben und deren Meinung dazu respektiere ich, die sagen, dass er ein einfacher Mörder sei und genauso den Tod verdient wie all die, die er getötet hat. Aber diese Chance, wird niemals Jemand bekommen, solange ich auf dieser Welt bin, schwor ich mir in genau dem Augenblick als vor uns ein Hirsch auf der Fahrbahn zu stehen kam und direkt in den Kegel der Scheinwerfer blickte. Nick reagierte sofort, bremste ohne nach links oder rechts zu schwanken und blieb bloß ein paar Zentimeter vor dem Hirsch stehen, in dessen Augen man die Panik förmlich ablesen konnte. Wir wurden in unsere Sitze gedrückt und lachten erleichtert. 'Das hätte unser Abendessen sein können, für die nächsten Tag, so ein Jammer.' scherzte Nick während der Geweihträger seinen Kopf drehte und mit großen Schritten in den Tiefen des Forsts verschwand. Den noch übrig gebliebenen Weg nach Hause überstanden wir ohne Herzrasen und ich legte mich sofort ins Bett. Ich war sehr müde und hoffte, dass Nick mir morgen ein Paar von den guten Schlaftabletten mitbringt und ich endlich wieder mehr als 2 Stunden schlafen könnte. Dieser Halbschlaf, in dem ich mich sonst befand strengte meinen Körper und Kopf nur noch mehr an und wenn ich aufstand war ich noch müder als vor dem Zubettgehen. Ich hörte noch wie Nick in den Keller ging und die Türe schloss und leerte dann den Rest der Flasche, der mich so umhaute, dass mir die Augen zufielen und ich nichts mehr merkte.

Caught in glassWo Geschichten leben. Entdecke jetzt