Prudence

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Prudence

Point of View Prudence


Verdammt. Ich braucht mehr als nur Abstand von Zuhause. Ich brauchte Abstand von dem ganzen Savant-Mist. Von diesem Leben, dass nichts als Ärger brachte. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass dieser ganze Seelenspiegel-Quatsch einen nur in die Scheiße ritt. Nun hatte dieses Gefühl sich endgültig bestätigt. Verdammt. Und zwar auf eine Art und Weise, mit der ich nicht zurecht kam. Wütend stand ich vor meinem Kleiderschrank und packte meine Klamotten in die große Reisetasche. Ich musste raus aus Ohio, raus aus Parma. Wer wollte auch schon in einer Stadt leben, die an Schinken erinnerte. Verdammter Mist.

Es wurde Zeit alles hinter mir zu lassen. Einen Neuanfang zu starten. Hier war mir nichts mehr geblieben. Verfluchter Seelenspiegel-Quatsch. Dieser Mist hatte alles zerstört. Ich würde so viel Strecke wie möglich zwischen mich und dem mickrigen Rest meiner Familie bringen. Ich wollte nichts mehr wissen von Savants. Glücklicherweise würde mich von meiner Familie auch keiner so leicht finden und mich von meinem Vorhaben abbringen. Irgendwann vielleicht, wenn ich unachtsam wurde. Aber so schnell würde das nicht passieren.

In meiner Wut rauschte ich in Valors kleines Schlafzimmer, versuchte ihr Zimmer komplett auszublenden, und an meine Bücher auf ihrem Nachttisch zu kommen. Alles in der kleinen, spärlich eingerichteten 3-Zimmerwohnung erinnerte mich an sie. Meine Schwester war das beste Beispiel dafür, dass Savant zu sein ein Fluch war. Ich warf die Bücher im Gang grob in einen Karton. Packwütig rauschte ich in der kleinen Wohnung umher. Stopfte alles Mögliche in kleine Kartons und Taschen. Ich wollte weg. Sofort. Mein ganzes Leben lang wurde mir erzählt wie toll es war seinen Seelenspiegel zu finden. Doch diesen zu finden, hatte das Ende meiner Schwester bedeutet. Nichts mit endlosem Glück. Nichts mit absoluter Zufriedenheit.

Valor kannte ihren Seelenspiegel auf den Tag genau 3 Monate. Eine recht kurze Zeit. Doch wenn man seinen Seelenspiegel findet, ist alles klar für einen.

Ich hätte bei diesem Pseudo-Quark, den mir Vale immer aufgetischt hatte am liebsten geheult. Nichts war klar. Meine Schwester hatte sich von ihrem Glück blenden lassen. Zu sehr blenden lassen.

Erschöpft lehnte ich mich an eine Wand im Flur. Wie konnte ein gesamtes Leben sich innerhalb so kurzer Zeit, so verändern? Ich merkte gar nicht wie ich langsam an der Wand Richtung Boden rutschte bis, ich einsam auf dem Boden saß. Ich stellte meine Beine an, und legte den Kopf auf meine Knie. Zwischen all den halbgepackten Kartons und der Unordnung, die ich in meinem Wahn angerichtet hatte, fühlte ich mich plötzlich seltsam verloren. Meine Wut verschwand langsam, wie schon so oft an diesem Tag und machte wieder der endlosen Trauer Platz.

Mit seinem Seelenspiegel will man sein ganzes Leben teilen. Zu Beginn war ich eifersüchtig. Furchtbar eifersüchtig. Es war ungerecht dass sie ihn fand und ich nicht. Valor und ich waren Zwillinge, wir teilten vieles doch dieses eine konnte man nicht teilen. Dennoch, wir hatten uns immer vorgestellt in einem anderen Zwillingspaar unsere Seelenspiegel zu finden.

Gemeinsam.

Doch so kam es nicht.

Eine Träne kullerte mir nun meine Wangen hinab. Sie hatte mich verlassen. So hatten wir das nie geplant. Entweder wir gemeinsam-alleine oder gemeinsam mit unserem jeweiligen Seelenspiegel vereint. Doch Valor ließ mich im Stich. Markus war Einzelkind, also kein Seelenspiegel für mich. Nur für sie. In den wenigen Monaten drehte sich alles nur um Markus. Unsere gemeinsame Wohnung betrat sie kaum noch. Sie lebte praktisch bei ihm. Verbrachte nur Zeit mit ihm. Wie ich ihn dafür hasste. Er stahl sie mir und ihr viel es nicht einmal auf.

Ich wollte ihr, ihr Glück gönnen, doch innerlich fraß es mich auf, sie so glücklich zu sehen. Ich war neidisch, erschreckend neidisch. Wollte ihr Glück. Ich ließ sie, wann immer ich sie sah, meine Wut spüren. Wir stritten von da an fast immer wenn wir uns sahen. Etwas was wir nie getan hatten. Meine Laune war ständig an einem Tiefpunkt, und ich dachte, schlimmer könnte es nicht werden. Doch ich irrte. Sie zog sich von mir zurück und widmete all ihre Aufmerksamkeit und Zeit Markus. Vergötterte ihn und wurde vergöttert.

Ein Seelenspiegel tut alles für seinen Gefährten. Der Seelenspiegel steht an erster Stelle.

Und genau das war das Problem an der ganzen Sache.

Vor zwei Tagen rief mich die Polizei an, es sei etwas Schreckliches passiert. Wie betäubt hatte ich dem jungen Polizisten zugehört. Saß angespannt auf der alten Eckbank in der Küche. Man hatte die beiden überfallen, wurde mir gesagt. Nachts im Park. Anscheinend hatte Markus Valor beschützen wollen. Die Situation eskalierte. Schüsse fielen.

„Wie geht es ihnen?" Hatte ich mit zittriger Stimme gefragt, obwohl ich die Antwort erahnte. Am anderen Ende des Hörers hatte plötzliche Stille geherrscht. Zögerlich sprach der offentsichtlich recht junge Polizist.

„Es tut mir leid Ma'am, ihre Schwester verstarb vor wenigen Stunden im Krankenhaus. Ihr Freund noch am Tatort. Die Ermittlungen laufen."



Und in diesem Moment ging meine kleine Welt unter...



Seelenspiegel opferten sich ohne groß nachzudenken füreinander. Andere waren unwichtig, traten für sie in den Hintergrund. Sie schätzen Situation falsch ein, wenn es um ihre Partner ging. Zu zweit waren sie am Stärksten, und doch am Verwundbarsten.

Heute hatte die Beerdigung stattgefunden und ich hasste mich zu tiefst. Ich hatte ihr, ihr Glück nicht gegönnt. Ihr Glück das nur von so kurzer Dauer war. Hatte mich nie bei ihr entschuldigt und würde es nie wieder können. Valor war tot. Begraben in einem hässlichen Vorort, in einer Stadt mit hässlichem Namen. Meine geliebte Zwillingsschwester war tot. Ich wollte weg, einfach vor den Schuldgefühlen fliehen, vor den Erinnerungen, vor dem Savant-Ballast.

Ich hatte mich nach der Beerdigung einfach davon geschlichen. Vermutlich würde man sich bald fragen wo ich war. Doch ich hatte noch ein bisschen Zeit, ohne Vale würden sie mich nicht so schnell finden. Vermutlich.

Noch immer in meinem schwarzen Kleid, das ich auf der Beerdigung getragen hatte, nahm ich meine Reisetasche.

Klamotten, Papiere und Geld reichten, beschloss ich, und ließ die halb gepackten Kartons und Taschen stehen. Zögerlich legte ich den Schlüssel meiner Wohnung gut sichtbar auf die Fußmatte. Sollten wer auch immer mit meinem Kram machen was er wollten, je weniger Erinnerung desto besser. Fluchtartig verließ mein altes Leben durch das Treppenhaus des Mehrfamilienhauses und stieg in meinen klapprigen, weißen 106 Peugeot. Einfach nur weg....

Persuading PrudenceWhere stories live. Discover now