Neue Perspektiven

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Der Januar verging wie im Fluge. Martin war alle acht bis zehn Tage zu Hause und hatte keine Ahnung, was Silvester auf seinem Sofa vor sich ging. Er bemerkte aber auch nichts, denn Elli war so, wie immer. Das schlechte Gewissen, konnte sie gut für sich behalten. Da die Jungs auf Tour waren, gab es zu ihnen auch wenig Kontakt. Nur das ein oder andere Video von den Auftritten, ließen sie Elli zu kommen. Auch mit Sarah, lief es wieder rund und die Wogen hatten sich geglättet.
Alles in allem war der Alltag wieder normal.
Irgendwie vermisste Elli die Jungs so langsam, die Feiern, das dumme Gequatsche, auch wenn diese nie ohne Komplikationen abliefen.
Sie wollte endlich mal wieder was erleben, eine Ausgleich zum Job, der ihr immer schwerer von der Hand lief. Die Kunden wurden komplizierter und zum Teil aggressiver. Die Zeit hatte sich so gewandelt. Eigentlich funktionierte Elli nur noch. Doch was blieb ihr anderes übrig. Sie war nun mal gelernte Optikerin und in anderen Filialen der Kette, wurden gerade keine Mitarbeiter gesucht, sodass auch ein Wechsel ausgeschlossen war. Zu einem anderen Optiker wollte sie aber auch nicht, da die nicht so gut bezahlen, wie ihr jetziger Arbeitgeber. Also musste sie noch durchziehen, bis sich eventuell was anderes ergeben würde.
Nach einem weiteren Arbeitstag erhielt Elli endlich eine gute Nachricht von Lukas:
Sind wieder in Berlin. Wenn du Zeit hast, können wir uns treffen. Einfach quatschen...
Sie grinste ihr Handy an, als sie das las und sagte sofort zu. In zwei Tagen hatte sie eh frei, sodass es eine willkommene Abwechslung war.
Die zwei Tage vergingen leider nicht, wie im Flug, sondern waren sehr mühsam auf Arbeit. Doch dann endlich war der Tag gekommen. Schon am Morgen stand Elli freudestrahlend auf und machte sich im Bad hübsch. Zwar waren noch knapp vier Stunden Zeit bis zum Treffen mit Lukas, doch Elli hielt es kaum aus. Sie wollte raus, vorallem, weil es die Nacht zuvor endlich einmal geschneit hatte, was in Berlin nicht oft der Fall war und wenn, dann blieb der Schnee eh nie liegen.
Nach etwas drängeln stimmte Lukas zu, sich jetzt schon mit ihr zu treffen. Treffpunkt war der See in Köpenick, bei den sie sich vor einigen Monaten den Sonnenaufgang ansahen. Elli hatte keine Lust auf Straßenbahn, sodass sie sich mit dem Auto über die verschneiten Straßen traute. Obwohl Autofahren nicht ihr Ding war, tat sie es in letzter Zeit öfter und fand Gefallen daran. Auch die vollen Straßen konnten sie nicht mehr aufhalten, Spaß dabei zu empfinden.
Sie parkte auf dem selben kleinen Parkplatz ein, den ihr Lukas zeigte. Da sein Auto noch nicht da stand, wartete sie. Keine zehn Minuten später, kam auch er angefahren. Elli stieg aus, schloss ihre Jacke und beide umarmten sich, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen, dabei war es nur ein Monat. Sie konnte das grinsen kaum aus dem Gesicht bekommen. Alles war so vertraut.
"Na Schildkrötchen, alles gut?", fragte er und Elli zuckte mit den Schultern. Klar war alles gut, es musste ja. Seit wann nannte er sie Schildkrötchen? Es war nicht der schönste Spitzname, aber okay. Vielleicht spielte er auf Halloween an, als sie an dem Ort schon einmal, verkleidet waren. "Und bei dir so? Tour gut überstanden?", fragte nun Elli und Lukas nickte. "Es werden immer mehr Leute. Irgendwie schön, aber auch erschreckend, denn die Verkaufszahlen steigen nicht." Elli lachte und sagte: "Willkommen in der Zeit des Internets. Jeder lädt illegal runter... Als Kind habe ich das auch gemacht, aber pssss." Beide lachten und machten sich auf den Weg zum See. Der Schnee quitschte unter ihren Schuhen. Alles war sehr verlassen. Den Leuten war es scheinbar zu kalt, also genau die richtige Jahreszeit für Elli, um aufzublühen.
Nach einigen Minuten kamen am See an und die Bank, auf der sie damals saßen, war vom Schnee bedeckt. "Wo setzen wir uns hin?", fragte Lukas, dem die Kälte scheinbar auch nichts ausmachte. "Nun warte doch Mal... Ich wäre nicht die Elli, wenn ich nicht vorbereitet wäre." Flink packte sie einen kleinen Handfeger aus, mir dem sie die Bank von Schnee befreite. Eine große Mülltüte schützte die Decke vor Nässe, die sie darüber ausbreitete. Zum Schluss zauberte sie eine weitere Decke aus ihrem großen Rucksack, damit die beiden nicht frieren würden. "Ich bin stark begeistert!", sagte Lukas, der es sich jetzt auf den Decken bequem machte. Elli setze sich dazu und nun saßen beide mitten im Schnee, zugedeckt an dem nicht ganz zugefrorenen See. Die Enten suchten nach essbaren und die Ruhe war einfach herrlich. Lukas erzählte von der Tour und den After Show Partys. Ein wenig Neid kam in Elli auf. Sie wäre gerne dabei gewesen. Das sagte sie auch Lukas und er grinste. "Was ist bei dir so los?", fragte er und Elli fing an zu reden: "Ach das übliche... Arbeit ist scheiße. Kein Bock mehr auf Kundenkontakt. Als Kind habe ich andere nervige Kinder gehauen, das kann ich heute leider nicht mehr. Das ist nicht gut fürs Führungszeugnis, glaube ich.", sagte sie grinsend. "Mach doch was anderes. Ich weiß ist leichter gesagt, als getan, aber vielleicht musst du einfach Mal mutig werden.", sagte Lukas sehr überzeugend. "Ja, aber ich weiß nicht was. Gerade werde ich verdammt gut bezahlt und wie du weißt, brauche ich das Geld.", klärte sie ihn auf. Er überlegte kurz und wollte sie nun auf einen anderen Job bringen: "Was wolltest du denn als Kind werden? Vielleicht ist ja da was passendes dabei." Elli überlegte einen Moment und sagte: "Ich wollte Eiskunstläuferin werden, doch der Zug ist abgefahren. Und eine Zeit lang wollte ich Busfahrerin werden, wie mein Vater. Nun bin ich Optikerin. Das stand nie auf meinem Wunschzettel. Die waren halt die ersten, die mich einstellen wollten." Elli sah in ihren Berufswünschen von früher, keine Perspektive. Ganz im Gegensatz zu Lukas: "Mach doch nen Busführerschein. Hab gehört, die verdienen auch nicht schlecht. Und wenn du Glück hast, fährst du Omis und Opis in den Urlaub und bist immer mit dabei, an den schönsten Orten." Elli schaute Lukas skeptisch an. Das konnte jetzt nicht sein Ernst sein. Doch seine ernste Mine verriet Elli das Gegenteil. Er legte seinen Arm um sie und versuchte ihr bildlich alles zu erklären: "Doch stell dir das Mal vor. Du als Frau, in einer Männerdomäne. Du fühlst dich eh unter Männern wohler, das weiß ich. Dann in einem hübschen großen Bus, vorne ein Schild wo Schildkrötchen drauf steht. Der Hammer!" Elli konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Diese Vorstellung war krank. Zum einen konnte sich Elli nicht wirklich vorstellen, ein so schweres Geschoss zu fahren, hatte sie sich doch gerade erst so richtig ans Auto gewöhnt. Zum anderen wollte sie nicht den Rest des Lebens damit verbringen, Rentner in den Urlaub zu fahren und permanent Schlager zu hören. Doch Lukas war unglaublich überzeugend in seiner Art und Weise, sodass Elli sich es noch früh genug vorstellen konnte, was sie jedoch jetzt noch nicht ahnen konnte.
Der Tag verging, im Gegensatz zu den letzten, wie im Fluge. Elli genoss es mit Lukas zu reden oder einfach bei ihm zu sein. So glücklich wie an diesem Tag, ging sie schon lange nicht mehr zu Bett. Das reden, der Kaffee danach, alles war einfach nur schön...

Teufelskreis (Alligatoah FF Fanfiction)Where stories live. Discover now