Kapitel 15

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Kapitel 15

Wie an den letzten paar Tagen davor sitze ich um sieben Uhr morgens im Bus, der mich zur Schule bringt und lasse meinen Blick über die Häuser und die großen Gärten schweifen, an denen wir vorbei fahren. Ich bin es nicht gewöhnt, dass so gut wie jede Familie ihren eigenen Garten und ein paar Leute sogar einen Bauernhof haben. In meiner alten Stadt findet man so viel Grünzeug auf einem Haufen nur, wenn man sich in einem Park oder etwas Derartigem befindet.

„Ist hier noch frei?“, fragt plötzlich Kyle und somit nehme ich meine Tasche, die den Sitz neben mir besetzt hat, weg und er setzt sich neben mich.

„Sag mal, verfolgst du mich?“, frage ich nach ein paar Sekunden.

„Das gleiche könnte ich dich fragen, Schneewittchen.“ Er wirft mir ein unschuldiges Lächeln zu, das ich kopiere und ihm wie ein Spiegelbild oder wie einen Bumerang zurück schleudere.

Irgendwann breche ich den kurzen Augenkontakt wieder ab und wende mich erneut dem spannenden Fenster zu. Trotzdem weiß ich, dass er mich immer noch ansieht und herausfordernd darauf wartet, dass ich meinen Kopf zurück in seine Richtung drehe. Vielleicht klingt es komisch, aber ich denke fast, es macht ihm Spaß, dass er mich so leicht nervös machen kann. Was ich absolut nicht nachvollziehen kann.

„Tust du mir einen Gefallen?“, fragt er jetzt verlegen.

Ich richte meine Augen schließlich doch in seine Richtung. „Das... das kommt ganz da-darauf an. Was für einen... Gefallen meinst du?“

„Komm heute zu meinem Basketballspiel. Bitte.“ Das Lächeln ist aus seinem Gesicht verschwunden und ich frage mich wieso. Was kann schon so schlimm an einem Spiel sein? Ich dachte, es macht ihm Spaß? Wenn nicht, wieso spielt er dann überhaupt?

„Wann... Also um wie viel Uhr?“, frage ich erstmal.

„16 Uhr geht’s los“, antwortet er knapp.

„Okay, ich...“ Verdammt. Ich will eigentlich schon zustimmen, immerhin habe ich die gesamte letzte Woche jeden Nachmittag in meinem Zimmer verbracht, also denke ich, dass es vielleicht nicht so schlecht ist, etwas Abwechslung zu schaffen. Aber da fällt mir wieder ein, dass Audrey einen „Job“ für mich organisiert hat. „E-es tut mir leid, Kyle. Ich kann nicht.“

„Wieso?“ Er wirkt etwas geknickt und enttäuscht, obwohl er sich das wahrscheinlich nicht anmerken lassen will. Ich weiß, dass er versucht, dieses Gefühl vor mir zu verstecken. Aber dabei ist er so erfolgreich wie ein Elefant, der sich hinter einer Ameise versteckt. Okay, vielleicht doch etwas erfolgreicher.

„Ich bin heute zum Babysitten eingeteilt. Naja, sie ist kein Baby mehr, aber allein lassen kann man sie trotzdem nicht.“ Ein Wunder, dass ich diesen Satz ohne ein Stottern herausgebracht habe.

„Oh, ist gut. Nicht, dass du denkst, ich wäre jetzt enttäuscht oder so. Ich wollte dich nur mal fragen“, sagt er und lacht verlegen.

„Sei nicht traurig, Kleiner. Es werden bestimmt viele andere Zuschauer dort sein, die dich anhimmeln“, versuche ich ihn zu trösten.

Doch er zuckt bloß mit den Schultern. „Ach. Weiß ich doch. Dir wird so einiges entgehen.“

Und jetzt grinst er wieder und steckt mich damit ein kleines bisschen an.

„Wann ist denn deine Babysitter-Schicht zu Ende?“

„Ähm. So gegen 18 Uhr? Schätze ich. Ich-ich bin mir nicht ganz sicher.“

„Okay“, sagt er und geht nicht weiter darauf ein, was mich ein wenig nachdenklich macht.

Wozu fragt er überhaupt? Aber bevor ich noch etwas erwidern kann, hält der Bus vor der Schule an und Kyle springt bereits von seinem Platz auf.

SternträumerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt