Kapitel 10

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Kapitel 10

Alles ist schwarz. So dunkel und leer, dass ich nicht mal meine Hände oder Füße betrachten kann. Ich kann nicht sagen, ob das hier echt ist. Ob es gerade wirklich stattfindet oder, ob diese seltsame Welt nur in meiner Fantasie existiert. Irgendetwas sagt mir, dass ich diesen Ort kenne, aber das ist so gut wie unmöglich, wenn ich nicht mal weiß, wie es hier aussieht.

Meine Beine tragen mich unermüdlich weiter – sie scheinen sich hier bestens auszukennen. Der Weg, den sie eingeschlagen haben, führt nach einer leichten Steigung nach rechts. Dann wieder nach links. Rechts. Links. Und so weiter. Es fühlt sich beinahe so an, als würde ich in einer Schlangenlinienform gehen, aber trotz der ständigen Bewegung, bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt voran komme. Mein Pfad scheint sich immer mehr in die Länge zu ziehen, er dehnt sich aus, denn der Abstand zwischen den Kurven wird immer länger.

Und plötzlich bleibe ich stehen. Ich öffne vorsichtig meine Augen – obwohl mir nicht einmal bewusst war, dass ich sie geschlossen hatte, aber anscheinend ist das so – und werde von dem Licht einer Straßenlaterne geblendet. Nachdem ich mich an die Sehverhältnisse angepasst habe, mustere ich meine Umgebung gründlich.

Ich stehe auf einer großen, dunklen Asphaltebene – vermutlich eine Art Parkplatz. Ein paar Meter rechts von mir ragt die Laterne empor und taucht alles in ein gelb-grünliches Licht. Vor mir geht es steil bergab. So steil, dass ich die Erfahrung, hinunterzufallen lieber nicht machen möchte. Bei dieser Vorstellung zieht sich mein Magen unangenehm zusammen. Ich blicke über meine Schulter zurück und erkenne hinter mir eine schmale Straße, die sich unendlich nach links und rechts zu schlängeln scheint. Von der anderen Seite wird diese – nicht ungefährlich wirkende – Verkehrsverbindung von einer hohen Mauer aus Erde und Steinen abgegrenzt. Ein kurzer Blick nach oben in den Himmel – nichts. Kein einziger Stern. Kein Mond. Keine erkennbaren Wolken. Nur Finsternis, die sich wie ein riesiges Zelt unendlich weit über mir ausgebreitet hat.

Ich denke angestrengt darüber nach, wo ich bin und was ich hier mache. Aber wer bin ich denn überhaupt? Diese Gedanken bereiten mir Kopfschmerzen, also schließe ich meine Augen wieder und will meine Schläfen massieren. Meine Fingerspitzen sind eiskalt und fühlen sich irgendwie... fremd an. Anders kann ich es nicht beschreiben. Im Moment könnte ich schwören, dass hier eine zweite Person bei mir ist, deren Hände gerade versuchen, mein Gehirn zu entspannen. Ziemlich erfolglos, denn die Schmerzen lassen nicht nach.

Das hier ist nicht real. Ich träume schon wieder, stimmt´s? Aber wenn man schläft, sollte man doch eigentlich keine Art von Schmerz spüren, oder? Um das nochmal bewusst zu testen, beiße ich mir so fest ich kann auf die Zunge. Ein unangenehmes Stechen geht von meinem Mund aus, aber es ist auszuhalten. In der Hoffnung, mich irgendwie aus dieser seltsamen Welt zu befreien, – mich aufzuwecken, oder was weiß ich – presse ich meine Zähne noch stärker auf einander, solange, bis ich irgendwann Blut schmecke.

Meine Augenlider öffnen sich diesmal wie von selbst – anscheinend gibt es da etwas Wichtiges, das ich sehen muss. Aber erstmal muss ich mich wieder orientieren, denn ich habe meinen Ausgangsort verlassen. Jetzt sehe ich die Straßenlaterne nur noch von Weitem. Ich stehe mitten auf der Fahrbahn und das auch noch in einer riskanten Kurve. Drei falsche Schritte zu viel nach links und ich falle über 20 Meter in die Tiefe.

Ich schlucke laut hörbar, jedoch scheint dieses Geräusch nur in mir selbst zu existieren. Es schafft den Weg in die Freiheit nicht – genau so wenig wie alle anderen Laute hier. Es ist so leise, dass ich sogar meinen eigenen Puls als lautes Trommeln wahrnehme, wenn ich mich darauf konzentriere. Ich zucke leicht zusammen, als sich ein neuer Ton hinzu gesellt – was ist das?

SternträumerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt