Schatten

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Sie klopfte drei Mal nacheinander an die Holztür der Hütte.

''Gleich,'', fing sie nach einer Minute erdrückenden Schweigens an, ''treffen wir die letzte Familie dieses Dorfes, dessen Vorfahren teils mit in die Ruinen gegangen sind. Ihr haltet euch im Hintergrund, verstanden?''

Yamato und ich nickten.

Sie seufzte kurz. Erst hätte ich es als ein erleichtertes Seufzen wahrgenommen, doch ihre Stimme schwankte so sehr, dass es sich nur noch kraftlos und mutlos anhörte.

Die Tür öffnete sich mit einem Ruck und wir wurden von einem Paar von braunen Augen begrüßt. Diese gehörten einem kleinen Mädchen, das nicht älter als 10 sein konnte.

''Was wollt ihr?'', fragte sie neugierig und ging direkt zur Seite, um uns rein zu lassen. Anscheinend war sie es gewohnt, Leute zu empfangen und empfand uns nicht als Bedrohung.

Als wir die Hütte betraten wurde es direkt wärmer und angenehmer. Draußen war es nicht unbedingt kalt gewesen, aber drinnen gab es ein Kaminfeuer, in welchem nicht nur Holz sondern auch die Überreste verschiedener Kräuter und Nüsse waren.

Vor dem Kaminfeuer schien eine große Figur zu sitzen.

Das Mädchen lief zu ihm herüber und tippte dieser auf die Schulter. Nach einer kurzen Zeit erhob sich die Figur stöhnend und drehte sich zu uns um.

Ein alter Mann mit dünnem, grauen Bart lächelte uns mit großen, runden Augen an.

''Willkommen meine Freunde.'', sagte er schließlich mit einer tiefen, rauen Stimme. Es war ein Satz mit freundlichem Unterton, jedoch konnte man die Müdigkeit des Mannes leicht heraushören. Er hatte viel erlebt und diese Begrüßung schien in ihm einige Erinnerungen zu wecken.

''Anaj, bitte bringe unseren Gästen doch etwas zu trinken.'' Diese nickte nur und flitzte durch die Tür in das hintere Zimmer.

''Was bringt euch denn hierher?'', fragte er nun mit einem Lächeln versteckt unter den weißen Haaren. Er hatte seine Hände vor sich gefaltet. Es waren zitterige Hände eines Arbeiters. War er all diese Jahre für den Friedhof zuständig gewesen?

Erst dann fiel mir auf, dass sich in dem Zimmer um den Kamin nur ein Tisch befand, auf dem sämtliche Kräuter, Stöcker und andere Dinge abgelegt waren. Dies waren die einzigen Gegenstände außer den Fenstern und Vorhängen, die den Raum schmückten. Keine Stühle, Teppiche oder sonstiges.

Arisu war die Erste, die auf seine Frage antwortete: ''Wir sind wegen Anaj hier.''

Und diese 5 Worte ließen das Lächeln des Mannes verschwinden. Anscheinend wusste er genau, was dies bedeutete. Und er mochte es ganz und gar nicht.

Nun musste ich mich an das erinnern, was Arisu zu der alten Dame gesagt hatte.

Nicht jeder mochte uns.

Yamato und ich wussten bis jetzt zwar immer noch nicht, was genau mit den Personen, die den Tempel betreten, geschehen, aber anscheinend kamen sie nicht mehr zurück. Dies legte eine Möglichkeit sehr nahe, die niemandem im eigenen Familienkreis gutheißen würde.

''Sie- sie...'', fing er an. Der Mann schien verwirrt und überfordert nach den richtigen Worten zu suchen.

Als ich etwas einwerfen wollte, fing ich mich wieder, kurz bevor ich sprach. Arisu hatte uns auf dem Weg hierhin darum gebeten, so zurückhaltend wie möglich zu sein, da wir als Wache und andere Dienste für sie zuständig wären. Das bezog diese Umstände nicht mit ein.

Es fiel mir schon im Hotel schwer, mich zu zügeln. Zudem habe ich auch aktiv Fragen gestellt, aber man merkte, wie dünn die Luft in der Diskussion war. Nicht zu vergessen als Arisu die Frau hat einschlafen lassen. Hatte sie es auch bei dem Mann vor, wenn er ihr nicht zusagte?

Arisu rührte sich keinen Zentimeter. Sie wartete ab. Nach ein paar Minuten heftigen Atmens schien er kurz hastig auf den Tisch zu gucken und griff dann eilig nach ein paar Dingen, verzweifelnd am Lächeln.

''Bitte, bitte i-ich habe hier wertvolle Gewächse. Diese..'' Er ging hoffnungsvoll und demütig auf Arisu zu und hielt ihr die Kräuter entgegen. ''Diese Gewächse sind höchst wertvoll und wachsen nur alle 3 Jahre, sie müssen vorsichtig geerntet werden und sind sowohl in Medizin als auch in Speisen höchst wirkungsvoll. Ich bin sicher...''

Sie hingegen trat jedoch nur zurück und zog ihre Kapuze weiter über ihr Gesicht.

''Sie wissen, dass das nicht-'' Sie wurde von einer freundlichen, noch verzweifelteren Stimme unterbrochen.

''Ich bitte sie meine Dame, sie können mir jeden Preis nennen, jeden erdenklichen Preis. Auch wenn er zu hoch für mich ist, ich bin sicher, wir können uns auf eine erdenkliche Art und Weise einigen Madam.''

''Sie können nicht-'', warf Arisu mit ruhiger Stimme ein, ihre Hände zu leichten Fäusten geballt. Die Verletzungen schienen ihr immer noch zuzusetzen.

''Ich bitte sie. Ich tue alles, alles was sie wollen.'', entgegnete er ein letztes Mal entkräftet. Seine Stimme war nun höher und heiserer, als vorher. Seine Augen wurden gläsern, als er die Kräuter wieder zurück auf den Tisch legte und Arisus Hände ergriff. Sie zuckte bei seiner harschen Berührung kurz zusammen, zog ihre Hände jedoch nicht weg.

''Meine kleine Anja... Sie ist diesen Monat erst 11 geworden, ja noch vor 2 Wochen erst. Ich... Wir.. haben schon so viele gehen sehen. Und sie will nicht alleine sein meine Dame. V-verstehen sie das? Und ich, ich als ihr Großvater will ihr das, was sie sich wünscht geben... Wie sie bestimmt sehen, habe ich nicht viel, das ich meinem kleinen Engel geben kann, aber diesen Wunsch, diesen einen Wunsch wollte ich ihr erfüllen...'' Mit den letzten Worten fielen die ersten Tränen und er schluchzte kurz.

''So lange war es nun schon her... Mein Engel kennt ihre Mutter ja noch nicht mal mehr. Wir dachten alle, es hätte aufgehört, es wäre vorüber. Warum seid ihr denn wiedergekommen? Wollt ihr wieder anfangen, uns unsere Familie wegzunehmen?'' Er sprach die letzten Sätze nun im Weinen. Der Mann war fertig mit den Nerven, seine Schultern zuckten unaufhörlich. Er meinte diese Sätze noch nicht einmal böse oder vorwurfsvoll. Er konnte nur auf ihre Hände schauen und seine Bitte mit nun fast lautloser Stimme äußern.

Gerade, als Arisu antworten wollte, hörte man mehrere Tassen zerspringen.

Das Mädchen stand in der Tür, mit Furcht in den Augen. Arisu drehte sich zu ihr, doch im selben Moment sprintete Anaj zur Eingangstür und riss sie auf, um mit unglaublicher Geschwindigkeit dahinter zu verschwinden.

''Mist!'', fluchte Arisu und preschte ihr schnell hinterher.

Der alte Mann stöhnte nur und setzte sich zitterig auf den Holzboden.

''Oh mein kleiner Engel...''

Unter den Wolken [GER]Where stories live. Discover now